Tausende fordern die Abschaltung des veralteten Atommeilers in Fessenheim im Elsass. Der Stromkonzern EnBW profitiert von ihm.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Wenn es nach deutschen Maßstäben ginge, wäre das französische Kernkraftwerk Fessenheim derzeit abgeschaltet und würde wohl auch nicht mehr ans Netz gehen. Europaweit zähle es zu den ältesten Atommeilern, erinnerte unlängst Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne). Zwei Jahre vor dem Reaktor Philippsburg I sei es einst in Betrieb gegangen, nach den Erkenntnissen der Landesatomaufsicht verfüge es "über keine größeren Sicherheitsreserven" als der wohl dauerhaft stillgelegte deutsche Meiler. Angesichts der Katastrophe von Fukushima, empfahl Untersteller den Franzosen, sollten sie den Weiterbetrieb des Atomkraftwerks infrage stellen.

 

Nur der Rhein trennt den Doppelmeiler von Südbaden, wo Kernkraftgegner ihre Proteste in den letzten Monaten deutlich verstärkt haben. Doch auf der anderen Seite des Stromes wird eine völlig andere Diskussion geführt. Derzeit prüft die französische Atomaufsicht, ob die Betriebsgenehmigung von Block 1 um weitere zehn Jahre verlängert wird. Die Behörde stellte dem von der Électricité de France (EdF) betriebenen Reaktor kürzlich ein gutes Zeugnis aus. "Die Leistungen in den Bereichen Sicherheit und Umweltschutz entsprechen dem Durchschnitt aller französischen Kernkraftwerke", attestierte sie den beiden Anlagen in Fessenheim und Cattenom. Auch die EdF sieht offenbar keine Gründe, das Kraftwerk stillzulegen.

Die Verbindung zwischen EnBW und Fessenheim ist wenig bekannt

Der Stuttgarter Umweltminister reagierte auf den Zwischenbescheid mit "starkem Bauchgrimmen". "Wir halten es für ein großes Versäumnis, dass die Grundsatzfrage der Stilllegung des für seine Störanfälligkeit bekannten Altmeilers ausgespart wurde", kritisierte er. In der Landespolitik eint die Skepsis gegenüber Fessenheim praktisch alle Parteien: Nach Fukushima forderte auch die damals noch regierende CDU ein zumindest vorläufiges Aus für den Reaktor. Er erwarte "die gleichen Anforderungen in puncto Sicherheit" wie in Baden-Württemberg, sagte der Nochministerpräsident Stefan Mappus (CDU). Fessenheim solle ebenfalls vom Netz gehen, bis offene Fragen geklärt seien, sekundierte der CDU-Fraktionschef Peter Hauk. Doch für ein seit einem halben Jahr fast zur Hälfte landeseigenes Unternehmen wäre die Abschaltung durchaus zwiespältig: der Karlsruher Energiekonzern EnBW profitiert nämlich zumindest mittelbar vom Betrieb des Reaktors.

Die Verflechtungen zwischen der EnBW und Fessenheim sind zwar kein Geheimnis, aber öffentlich gleichwohl wenig bekannt; auf den EnBW-Internetseiten findet sich dazu fast nichts. Das französische Kernkraftwerk wurde nämlich einst von ausländischen Energieversorgern mitfinanziert: mit 17,5 Prozent beteiligte sich die EnBW, mit 15 Prozent ein Konsortium von drei Schweizer Unternehmen. Nach Angaben der EdF tragen die Karlsruher zudem jedes Jahr einen entsprechenden Anteil an den Betriebs- und Investitionskosten. Eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung besteht laut Umweltministerium nicht, Fessenheim befinde sich "im vollständigen Eigentum der EdF", erklärt die EnBW.


Bezahlt werden die EnBW und die Schweizer Konzerne in Sachleistungen: Sie erhalten einen ihrer Finanzierungsquote entsprechenden Anteil an der Stromproduktion. Jahrzehntelang war die EnBW mithin ein Großabnehmer des französischen Atomstroms, dessen Produktion auf deutscher Seite so kritisch gesehen wird. Im Jahr 2009 tauschte das Unternehmen das Bezugsrecht dann im Rahmen eines größeren Geschäftes mit dem Eon-Konzern; seither erhalte man Strom aus deutschen Eon-Kraftwerken. Auch sonst beziehe EnBW derzeit "keinen Atomstrom aus ausländischen Beteiligungen", heißt es aus dem Umweltministerium. In Fessenheim durfte die EnBW zwar mitbezahlen, aber nicht mitreden. Man habe "faktisch keinen Einfluss auf betriebliche und sicherheitsbezogene Entscheidungen", so ein Unternehmenssprecher. Die Verträge sahen dies offenbar nicht vor. Auch das Ministerium bestätigt, es bestünden "keine Einflussmöglichkeiten". Für den BUND-Regionalverband Südlicher Oberrhein, der seit Langem gegen Fessenheim kämpft, ist das höchst unbefriedigend.

Die neue Landesregierung solle dafür sorgen, dass EnBW die Verbindung zu Fessenheim löse, fordern die Umweltschützer. Die Franzosen selbst scheinen allerdings davon auszugehen, dass sie ihren Atomstrom - ungeachtet der Wende in der deutschen Atompolitik - weiter nach Deutschland liefern können. In einem ZDF-Beitrag sagte der Kraftwerksdirektor Thierry Rosso kürzlich, er habe nicht den Eindruck, dass die Kooperationspartner an dem Stromkontingent nicht mehr interessiert seien.