Als Atomkraftgegner war Dieter Ehret in der FDP lange isoliert. Nach den Ereignissen in Japan folgt ihm die Partei – für ihn zu spät.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Wenn Dieter Ehret gefragt wird, wie glaubhaft ihm der Sinneswandel seiner Parteifreunde in Sachen Atomkraft erscheint, gibt er eine wohlabgewogene Antwort. "Ich hoffe und wünsche mir", sagt der FDP-Landtagsabgeordnete aus dem südbadischen Weisweil, "dass es jeder ernst meint". Bei ihm selbst bestehen da nicht die geringsten Zweifel. Der 51-jährige Bauingenieur ist seit eh und je bekennender Gegner der Kernenergie und hat die Verlängerung der Laufzeiten strikt abgelehnt. Bisher galt er bei den Liberalen damit eher als Außenseiter, der von den derzeitigen Spitzenpolitikern belächelt wurde. Doch seit der Katastrophe von Fukushima erfährt er Zuspruch wie noch nie: Plötzlich stehen auch solche Freidemokraten an seiner Seite, die ihn für einen idealistischen Träumer gehalten haben.

 

Der Umgang mit Ehret zeugt von einer bemerkenswerten Wendigkeit der Parteioberen. Geprägt wurde seine Haltung zur Atomkraft in den siebziger Jahren, als es im Nachbarort Wyhl massive Proteste gegen den Bau eines neuen Reaktors gab. Seither blieb er sich und seiner Linie treu: den Ausstiegsbeschluss der rot-grünen Bundesregierung hielt er für richtig, die Rücknahme durch die schwarz-gelbe Koalition für einen schweren Fehler. Seine Begründung: Der Umstieg auf erneuerbare Energien sei schon jetzt möglich, "die Brücke ist da".

In der FDP fand Ehret durchaus Sympathisanten, aber keine breite Mehrheit. Vergeblich kämpfte er bei einem kleinen Parteitag für den Atomausstieg. Bald darauf aber bekam er unversehens einen prominenten Unterstützer: den damaligen Fraktionschef Ulrich Noll. Angesichts der Bilder aus dem maroden Atomlager Asse schlug Noll ganz neue Töne an. Man müsse "die Stimmung in der Bevölkerung berücksichtigen", sagte er in einem Interview, und dürfe das ungelöste Entsorgungsproblem "nicht weiter wegdrücken". Auf die erstaunte Frage, ob er damit nicht einen Kurswechsel einläute, legte der Oberabgeordnete noch nach: "Wenn es sich tatsächlich um eine Übergangstechnologie handeln soll, warum dann den Übergang strecken und den Druck von einer Entwicklung hin zu alternativen Energien nehmen, die wir doch eigentlich alle befürworten?"

Druck in der eigenen Partei

Bei den Grünen erntete Noll dafür Beifall, in der eigenen Partei massiven Druck. Vor allem der wirtschaftspolitische Sprecher Hans-Ulrich Rülke wollte das Abweichen von der offiziellen Linie nicht dulden. Gemeinsam mit Wirtschaftsminister Ernst Pfister drohte er, die Haltung des Fraktionschefs zur Abstimmung zu stellen. Die absehbare Niederlage wäre wohl Nolls Ende als Vorsitzender gewesen. Also rang er sich zu der Erklärung durch, er stehe voll hinter dem Koalitionskurs und sei nur "falsch interpretiert" worden. "Ich freue mich", triumphierte Rülke, "dass der Fraktionsvorsitzende wieder mit mir übereinstimmt." Wenig später wurde Noll dann doch hinterrücks gestürzt und durch Rülke ersetzt.

Heute dürften Ehret und Noll staunen, wie gründlich der Pforzheimer seine Meinung geändert hat. Man sei ja schon immer für den Ausstieg gewesen, die "Geschehnisse in Japan" zeigten, dass die Kernkraft langfristig keine Zukunft habe. "Ich freue mich über jedes Kernkraftwerk, das abgeschaltet wird", bekundete auch der - maßgeblich an Nolls Sturz beteiligte - Justizminister Ulrich Goll; die Atomkraft sei eben "keine wirkliche Technik für die Zukunft". Rülke gibt sich nun sogar radikaler als die CDU, die den Meiler Philippsburg I zunächst nur vorläufig stilllegen will: ein Wiederanfahren der Anlage lasse sich den Menschen kaum vermitteln. Den Vorwurf, nicht glaubwürdig zu sein, wies der Fraktionschef im Landtag entrüstet als "schäbig" zurück: Es sei "verantwortliche Politik", angesichts der Katastrophe von Fukushima "eine Neubewertung vorzunehmen".

Für Dieter Ehret kommt diese zu spät. Nur wegen der starren Linie der FDP in der Atomfrage entschied er sich, nicht wieder für den Landtag zu kandidieren. Das Ja zu längeren Laufzeiten, so seine Begründung, könne er nicht verantworten - nicht vor seinem Gewissen und nicht vor seinen Wählern. In der letzten Plenarsitzung zeigte Ehret seinen Kollegen noch einmal, was Konsequenz bedeutet: mit der Opposition stimmte er für das sofortige Aus von Neckarwestheim I und Philippsburg I.