Atomkraftwerk Fessenheim Neue Dimension eines alten Störfalls

Der Atommeiler im französischen Fessenheim war im Jahr 2014 offenbar zeitweise außer Kontrolle. Wird das Kraftwerk nun früher abgeschaltet als bisher geplant?
Straßburg - Am 9. April 2014 muss Reaktor 1 des Atomkraftwerks Fessenheim in einer Notaktion heruntergefahren werden. Ein Abflussrohr ist verstopft, ein Kühlwasserreservoir läuft über. Es kommt zu einer Überflutung in mehreren Stockwerken, so dass eines der Systeme zur Notabschaltung versagt. Eine Neubewertung der Ereignisse von damals lässt nun daran zweifeln, dass der Betreiber den Reaktor noch unter Kontrolle hatte.
Nach Einschätzung des deutschen Nuklearsachverständigen Manfred Mertins hatte der Krisenstab vor Ort damals zeitweise keine Informationen über den Zustand des Reaktorkerns. Die Mannschaft habe Block 1 zeitweise quasi blind gefahren, zitieren der WDR und die Süddeutsche Zeitung (SZ) Manfred Mertins.
Nach dem Vorfall vom April 2014 waren Details zum Hergang des Zwischenfalls im ältesten französischen Akw erst nach und nach an die Öffentlichkeit gelangt. Thierry Rosso, damals Direktor des zu Electricité de France (EdF) gehörenden Akw Fessenheim, berichtete in der lokalen Informations- und Überwachungskommission wenige Wochen später von einer geringen Wassermenge, die sich nach dem Überlaufen eines Reservoirs angeblich nur im Maschinenraum ausgebreitet hatte. Er hakte das Vorgehen seiner Leute als „zufriedenstellendes Management der Ereignisse durch den Betreiber“ ab.
Zum Abschalten wurde Bor in den Kühlkreislauf geleitet
Tatsächlich hatten Mitarbeiter zunächst Wasser auf dem Boden zum Kontrollraum von Block 1, danach auch auf den darunter liegenden Niveaus auf 11, 7 und 4 Meter entdeckt. Ursache war eine 80 Zentimeter dicke Verstopfung aus Feilspänen und Schmutz in einem Abflussrohr. Die Überschwemmung erstreckte sich, wie aus einem Schreiben der französischen Atomaufsicht Asn vom 24. April 2014 hervorgeht, also weit über den Maschinenraum hinaus. Schlimmer: Sie zog wichtige Schaltschränke in Mitleidenschaft und machte eines von zwei Systemen zur Notschaltung unbrauchbar.
Handelte es sich um einen harmlosen Vorfall, wie EdF vorgab? Mertins bezweifelt dies. Denn der eilends zusammengestellte Krisenstab entschied sich für ein ungewöhnliches Mittel. Die Steuerstäbe, mit deren Absenken eigentlich die Leistung des Reaktors gedrosselt wird, waren nicht mehr manövrierbar, wie aus einem Brief des damaligen Asn-Chefs aus Straßburg an EdF deutlich wird. Daraufhin entschloss man sich im Akw, dem Kühlkreislauf Bor zuzuführen.
Baden-Württemberg fordert vollständige Aufklärung
„Mir ist kein Fall bekannt, wo ein Leistungsreaktor hier in Westeuropa störfallbedingt durch Zugabe von Bor abgefahren werden musste“, sagt dazu Mertins in der SZ. Der Nuklearexperte Christian Küppers vom deutschen Ökoinstitut kritisiert zudem, die Abkühlung sei zu rasch erfolgt, also unkontrolliert. Er sprach schon im September 2014 in einem StZ-Interview von einer fatalen Schlamperei. Florien Kraft, damals Chef der Asn in Straßburg, antwortete am Freitag auf StZ-Nachfrage, der Reaktor sei gemäß dem Betriebshandbuch heruntergefahren worden. „Eine Schnellabschaltung über die Steuerstäbe ist somit nicht nötig gewesen.“ Die aus Paris angekündigte Stilllegung des Akw Fessenheim ist für die Kritiker keine Beruhigung, zumal sie immer hinausgezögert wird. Derzeit ist von 2018 die Rede.
Der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) fordert nun von seiner französischen Kollegin Ségolène Royal einen klaren Zeitplan für die Abschaltung des Atomkraftwerks. Zugleich verlangte er in einem Brief an sie die vollständige Aufklärung des Zwischenfalls vom April 2014. Baden-Württembergs Finanzminister Nils Schmid (SPD) sagte, die Abschaltung von Fessenheim sei längst überfällig.
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