Ferngesteuerte Maschinen zerlegen zurzeit das stillgelegte Atomkraftwerk Obrigheim. Die Experten sammeln wichtige Erfahrungen für die Energiewende. Größtes Problem ist die ungesicherte Endlagerung des aussortierten Atommülls.

Ferngesteuerte Maschinen zerlegen zurzeit das stillgelegte Atomkraftwerk Obrigheim. Die Experten sammeln wichtige Erfahrungen für die Energiewende. Größtes Problem ist die ungesicherte Endlagerung des aussortierten Atommülls.

 

Obrigheim - Im stillgelegten Atomkraftwerk Obrigheim nimmt eine ferngesteuerte Bandsäge eine Metallumfassung auseinander. Stück für Stück wird der 2005 vom Netz genommene Reaktor im Neckartal abgebaut. Die Arbeit in der relativ kleinen Anlage liefert wichtige Erfahrungen für die Energiewende: Nach der Entscheidung zum beschleunigten Atomausstieg im Gefolge der Nuklearkatastrophe von Fukushima am 11. März 2011 müssen die letzten Meiler bis Ende 2022 abgeschaltet werden.

Meike Gundermann, Mitarbeiterin der Energiewerke Nord (EWN) im fernen Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern), steuert die Säge routiniert durch den kritischen Bereich im Reaktordruckbehälter, in dem einst die Kettenreaktion in den Brennelementen ablief. Bevor das Teil der Umfassung ganz abgetrennt ist, wird der „Verpackungsmanipulator“ darauf zugesteuert. Dessen Greifvorrichtung hält das Teil fest, bevor es abfällt, und lässt es in einen Container gleiten.

„Das ist unsere starke Hand im Becken“, sagt der Leiter des fernbedienten Abbaus im Kernkraftwerk Obrigheim (KWO), Michael Hillmann, über den Greifer. Die Maschine könne Bauteile bis zu 500 Kilogramm greifen und erreiche eine Tauchtiefe bis neun Metern. 17 Kameras erfassen den Einsatz der ferngesteuerten Maschinen. In der Leitstelle ist auch das von einem Mikrofon erfasste Kreischen der Säge zu hören, wie es sich durch das dicke Metall frisst.

Die Stilllegung des Druckwasserreaktor mit seiner einstigen Leistung von 375 Megawatt hat Modellcharakter. Der Rückbau, wie der Fachbegriff lautet, begann schon 2008. Zuerst wurden die Turbinen und Generatoren aus dem 60 Meter langen Maschinenhaus ausgeräumt, das gleich nördlich von der Reaktorkuppel liegt. Es dient heute als Lager für leere Container.

Danach begann die Dekontamination - also quasi die Entgiftung - des Primärkreislaufs: Arbeiter spülten chemische Substanzen durch die Rohrleitungen, die so von radioaktiven Ablagerungen befreit wurden. Außerdem wurden die beiden Dampferzeuger, die Haupt-Kühlmittelpumpen und andere große Teile unter der Kuppel des Reaktorgebäudes ausgebaut. „Jetzt befinden wir uns in der dritten Phase, dem fernbedienten Abbau des Reaktordruckbehälters“, erklärt Manfred Möller von der Geschäftsführung der Betreiberfirma EnBW Kernkraft GmbH (EnKK). Dafür wurde mit einer Seilsäge bereits der Deckel aufgeschnitten.

Die Materie der Anlage umfasst 275.000 Tonnen

„Die Werkzeuge, die wir für den Abbau nutzen - etwa Bandsäge, Plasmaschneider oder das Kohlenstoffschwert - gehören zum Industriestandard“, sagt Möller. „Wir haben als Zusatzanforderungen den Strahlenschutz. Das muss mit entsprechender Ruhe und Sicherheit durchgeführt werden, das ist ja schon ein ziemlich komplexes Projekt.“

Die Materie der Anlage umfasst 275.000 Tonnen. Ziel des Rückbaus ist es, den Anteil des schwach- und mittelradioaktiven Abfalls so weit wie möglich zu reduzieren, auf etwa ein Prozent, das wären 2750 Tonnen. Dieser Abfall müsste irgendwann in ein Endlager geschafft werden - dafür ist das stillgelegte Bergwerk Schacht Konrad in Salzgitter vorgesehen.

Hinzu kommen 342 abgebrannte Brennelemente, die in Obrigheim in einem isolierten Gebäude hinter der Reaktorkuppel unter Wasser gelagert werden. Die EnKK will diese in 15 Castorbehälter passenden hoch radioaktiven Abfälle auf dem Neckar in ein Zwischenlager nach Neckarwestheim bringen - dieses Atomkraftwerk gehört ebenso wie das in Philippsburg zum EnBW-Konzern. In beiden Anlagen ist jeweils ein Reaktor abgeschaltet und ein zweiter noch aktiv.

Im Leistungsbetrieb von 1968 bis 2005 hatte das Kraftwerk Obrigheim zuletzt rund 300 Mitarbeiter. Jetzt kümmern sich nach Angaben Möllers 170 bis 190 Mitarbeiter um den Abriss. „Die Änderung in der Aufgabenstellung ist zwar nicht ohne Emotionen abgelaufen, aber positiv angenommen worden„, erklärt Möller im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. „Wir haben keine Motivationsprobleme.“

EnBW will aus den Erfahrungen in Obrigheim ein Geschäftsmodell schmieden. Acht Kernkraftwerksblöcke wurden schon abgeschaltet, die verbliebenen neun Reaktoren müssen bis Ende 2022 folgen. Und auch im übrigen Europa werden zahlreiche Anlagen an das Ende ihrer Laufzeit kommen. „Da ergibt sich ein realistisches Potenzial, um unsere Fähigkeiten einzubringen“, sagt Möller. Die Arbeitsschritte beim Rückbau werden möglichst so organisiert, dass sie sich ohne großen Aufwand auf andere Standorte übertragen lassen - vom Leitstand für die ferngesteuerte Zerlegung bis zur 1,10 Meter langen und 0,90 Meter breiten Gitterstapelbox, in der die zerschnittenen Bauteile zur Strahlenmessung in die Freimesseinrichtung gebracht werden.

Wann ist der Rückbau abgeschlossen? Die Antwort auf diese Frage hängt entscheidend von der ungeklärten Endlagerung für Atommüll ab. „Wir sind für die sichere Zwischenlagerung an den Standorten verantwortlich, bis ein Endlager zur Verfügung steht“, sagt Möller. „Der Abbau ist erst dann vollständig, wenn das Endlager zur Verfügung steht. Die Verantwortung dafür liegt aber in staatlicher Hand.“