Die Behörden in Bern erklären die Vorteile des Standorts für ein Schweizer Atommüllendlager in Grenznähe. Aber auf deutscher Seite besteht noch Skepsis.

Der geplante Standort für das Schweizer Atommüllendlager nahe der Grenze zu Baden-Württemberg ist nach Überzeugung von Schweizer Experten der sicherste Ort für radioaktiven Abfall. Die Region Nördlich Lägern unweit von Hohentengen (Kreis Waldshut) sei aus rein geologischen Gründen die beste Wahl unter den drei geprüften Standorten, sagte Matthias Braun, Chef der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), am Montag in Bern. „Es ist ein eindeutiger Entscheid. Die Geologie hat gesprochen.“

 

Bricht der Ton, heilt er sich von selbst

Die nötige Gesteinsschicht von Opalinuston liege dort am tiefsten unter der Erdoberfläche, die Schicht sei am dicksten und der mögliche Bereich für das Endlager am größten. In Nördlich Lägern seien in der Gesteinsschicht Spuren des ältesten Wassers gefunden worden: 175 Millionen Jahre alt. Das gebe ihm Vertrauen, auf lange Sicht Prognosen zu machen, so Braun. „Das Gestein ist sehr dicht, bindet radioaktive Materialien wie ein Magnet, und sollte es doch einmal brechen, heilt es sich von selbst wieder.“

Verpackungsstation am Zwischenlager

Die Verpackungsstation für die Brennelemente soll am Zwischenlager Würenlingen – rund 15 Kilometer Luftlinie vom badischen Waldshut-Tiengen entfernt – entstehen, da dort bereits Bauten vorhanden sind. Verpackt werden sollen dort die etwa 3,5 bis 4,5 Meter langen und zwei Kilo schweren Brennstäbe. Etwa 100 bis 300 Brennstäbe werden zu jeweils einem Brennelement gebündelt.

Baubeginn könnte 2031 sein

Das Bundesamt für Energie und das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) wollen die Vorschläge der Nagra im Bewilligungsverfahren prüfen. In der Expertengruppe geologische Tiefenlager des Ensi sind neben vier Schweizern auch vier deutsche Professoren vertreten. Im Lager sollen die radioaktiven Abfälle aus Atomkraftwerken, Industrie und Forschung in 800 bis 900 Metern Tiefe eingebettet werden. Über die Bewilligung sei noch nicht entschieden, betonte das Bundesamt. Im günstigsten Fall könnte mit den Bauten 2031 begonnen werden, mit der Einlagerung 2050.

Skepsis auf der badischen Seite

Die deutschen Gemeinden reagierten mit Skepsis auf die Entscheidungen. Sie wollen prüfen, ob die Erklärungen der Nagra plausibel sind, zumal der Standort Nördlich Lägern 2015 als zweite Wahl zurückgestellt worden war. Man verlange eine „sehr gute Begründung“, warum der Standort plötzlich bevorzugt werde, so Martin Benz (CDU), Bürgermeister von Hohentengen. Nach Angaben von Nagra-Chef Braun waren für die Zurückstellung damals Unsicherheitsfaktoren ausschlaggebend, da die Tonschicht dort so tief liege. Weitere Prüfungen hätten sie aber eines Besseren belehrt: „Es hat sich herausgestellt, dass die Festigkeit des Gesteins etwa doppelt so gut ist wie es damals im vorsichtigen Szenario bewertet wurde.“

Kompensation für deutsche Gemeinden möglich

Die umliegenden Gemeinden sollen Kompensationszahlungen erhalten, bestätigte Monika Stauffer, Leiterin der Sektion Radioaktive Abfälle beim Bundesamt für Energie. „Die Abgeltungsverhandlungen werden herausfordernd sein“, sagte sie. Das Geld – freiwillige Zahlungen der Entsorgungspflichtigen – solle für regionale Entwicklung eingesetzt werden. Wer wie viel Geld erhalte, müsse ausgehandelt werden. Das Bundesamt bestätigte auf Nachfrage, dass auch deutsche Gemeinden zur „Standortregion“ gehörten und damit Geld erhalten könnten. In einem Kostenszenario waren für die Abgeltungen einst 800 Millionen Franken (829 Millionen Euro) vorgesehen. Die Gesamtkosten fürs Lager liegen bei 18,2 Milliarden Franken (18,9 Milliarden Euro).

Strahlenwerte sind festgelegt

Das Ensi hat als Rahmenbedingung für das Endlager festgelegt, dass die Strahlung höchstens 0,1 Millisievert im Jahr betragen darf, so der Leiter des Bereichs Entsorgung, Felix Altorfer. Bei dem geplanten Lager rechne das Ensi nach jetziger Datenlage aber nur mit maximal 0,001 Millisievert Strahlung. Im deutschen Strahlenschutzgesetz liegt der Grenzwert für die effektive Dosis zum Schutz von Einzelpersonen bei 1 Millisievert im Jahr.

Trinkwasserschutz macht Sorgen

Die Gemeinden auf deutscher Seite beschäftigt vor allem die Frage der Trinkwasserversorgung. „Wir haben überall Trinkwasserbrunnen, wir haben Aare und Rhein in der Nähe“, so Martin Steinebrenner vom Regionalverband Hochrhein-Bodensee. Die Frage nach dem Trinkwasserschutz sei eine große Sorge der Bevölkerung. Auch für die Waldshuter SPD-Bundestagabgeordnete und Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter sind noch viele Fragen offen, etwa zu den radiologischen Auswirkungen des atomaren Tiefenlagers auf die Menschen, die grenzüberschreitende Umwelt und die Trinkwasserversorgung.

Deutsche Experten reden mit

Die Nagra weist die Befürchtungen zurück. Der Gewässerschutz spiele für sie eine wichtige Rolle, so ein Sprecher. „Wir bauen deshalb das Tiefenlager in einer weitestgehend wasserundurchlässigen Gesteinsschicht, dem Opalinuston. Darin fließt nachweislich kein Wasser.“ Man werde den Dialog mit allen Beteiligten fortführen, dazu gehöre der Austausch mit der deutschen Expertengruppe Schweizer-Tiefenlager.