Das Atommülldepot Asse ist nicht das gefährlichste Erbe der Kernkraft – aber es ist der Ort, wo Sicherheit am ehesten bedroht ist.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Stuttgart - Wolfram König ist, trotz allem, zum Scherzen aufgelegt. "Das ist hier fast schon meine Zweitwohnung", witzelt er. Gemütlich ist es hier unten nicht. Unwirtlich sieht es aus in dem weiten niedrigen Raum, der von spärlichem Licht nur notdürftig erhellt wird. Gerade hat König sich in einen der weißen Pritschenwagen gesetzt, in denen die Besucher durch das Bergwerk gefahren werden. Einige Hundert Meter unter dem lieblichen, mit Buchenwald bestandenen Höhenzug, nach dem der Landstrich bei Wolfenbüttel benannt ist, liegt die Schachtanlage, die diesen Namen - man muss es so sagen - kontaminiert hat.

 

Die Asse - das ist die mit Abstand schwierigste Baustelle von Wolfram König. Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz soll die Anlage wieder sicher machen. Seine Behörde hat die Verantwortung für diese vom Forschungsbergwerk zum Endlager umdeklarierte Anlage übernommen, nachdem der vorherige Betreiber das atomare Kapitel in der Geschichte dieses niedersächsischen Salzstocks gründlich verpfuscht hatte.

Asse steht für Leichtsinn, Ignoranz und Misswirtschaft

Seither denkt bei diesem Namen niemand mehr als Erstes an das Naturschutzgebiet, das im Frühjahr und Sommer mit Märzenbechern, Himmelsschlüsseln, Lerchenspornen und seltenen Orchideen die Ausflügler begeistert. Heute, wo der Ausstieg beschlossen und der Herbst der Atomkraft in Deutschland angebrochen ist, steht Asse für Leichtsinn, Ignoranz und Misswirtschaft, die in den Früh- und Hochzeiten der Kernkraft im Umgang mit Nuklearmüll an den Tag gelegt worden ist. Asse ist ein von der Helmholtz-Gemeinschaft betriebenes und außer Kontrolle geratenes Forschungsendlager. Dort liegen 126.000 Fässer mit schwach und mittelradioaktivem Abfall, bei denen niemand weiß, welche radioaktiven Stoffe genau darin stecken, weil bei der Deklaration des Inhalts getrickst und getäuscht worden ist. Asse steht für ein Bergwerk, dessen Kammern teilweise feucht sind, und das schon beim Salzabbau bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts so stark durchlöchert wurde, dass seine Stabilität nur noch für zehn Jahre garantiert werden kann.

Wie das marode Atomlager sicher gemacht werden soll, weiß trotz aller Expertise, die unterdessen gesammelt wurde, keiner genau. Die Rückholung des gefährlichen Mülls gilt als die beste Variante - aber dass genügend Zeit für sie bleibt, ist ungewiss. Das wirft im Rückblick das grellste Schlaglicht auf die in den vergangenen Jahrzehnten so oft wiederholten Beteuerungen von der welthöchsten Sicherheit der deutschen Atomanlagen.

"A" kündet vom Protest gegen Atommülldepot

In der Region lösen solche Sprüche schon seit langem Verbitterung aus. Deshalb lehnen heute baumhohe, von weitem gelb leuchtende "A"s am Rand des Asse-Waldes. Kleinere Ausgaben des Buchstabens zieren die Vorgärten der gleichnamigen Gemeinde. A steht für "Aufpassen" und für eine der örtlichen Bürgerinitiativen. So wie das "X" im Wendland zum Symbol für den Widerstand gegen das Endlager Gorleben und die Castortransporte geworden ist, kündet das "A" hier vom Protest gegen das marode Atommülldepot.

Auch Heike Wiegel hat sich dem "A" verschrieben. Sie ist Vorstandsmitglied beim Verein "Aufpassen" und gehört zu den Bürgern, die über das Misstrauen gegenüber dem Atomlager zur Expertin geworden ist. Sie weiß, dass nur von 1967 bis 1978 Atommüll im Berg deponiert wurde. Sie dröselt geduldig auf, was im Einlagerungsverzeichnis dazu festgehalten ist: 102 Tonnen Uran, 87 Tonnen Thorium, 28 Kilo Plutonium und 500 Kilo Arsen. Sie hat die hinhaltenden Informationen der ehemaligen Betreiber und das kollektive Wegschauen der Aufsichtsbehörden erlebt und dafür gekämpft, dass die Asse dem strengen Atomrecht unterworfen wird und nicht mehr nur dem laxeren Bergrecht . "Die große Sauerei ist, dass ein Bergwerk für die Einlagerung von radioaktiven Abfällen benutzt wurde, das von vornherein nicht dafür geeignet war", sagt sie mit Nachdruck, und dass die Geschichte des Forschungsbergwerks wahrlich "kein Vertrauen in die fachlichen und politischen Institutionen schafft."

Die Gefahren im Lager kann man nicht sehen

Auch das mangelnde Vertrauen in der Bevölkerung ist eines der Probleme, mit denen Wolfram König jetzt zu kämpfen hat. Jetzt steht er mit Helm, blau-weiß gestreiftem Hemd und dem weißen Anzug der Asse-Bergleute auf der Ladefläche eines Lastwagens. Im Hintergrund heult eine Sirene, und eine Warnlampe lässt orangefarbenes Licht unter Tage blinken. Langsam öffnen sich die knallgelben Stahltore. Sie geben den Weg frei, der sich in engen Serpentinen tiefer und immer tiefer in den Salzstock schraubt. Dahin, wo die dreizehn mit Atommüll gefüllten Kammern liegen und die Risiken sich ballen; wo König und seine Mitarbeiter so etwas wie Sicherheit, Ordnung und einen gesetzmäßigen Zustand wiederherstellen sollen. Ihr Auftrag ist die sichere Schließung der Anlage.

Es ist eine seltsam unspektakuläre Fahrt durch die Salzstollen mit ihren weißlich-grauen Wänden. Denn die Gefahren dort kann man nicht sehen, nicht riechen, nicht schmecken; man muss sie sich zeigen und erklären lassen. Wolfram König hat darin - der Umweltausschuss des Bundestags war vor 14 Tagen auch mal da - mittlerweile Routine. Hier zeigt er auf die vor eineinhalb Jahren erst errichtete Stützmauer, aus der schon wieder Steine herausgebröckelt sind. Das zeigt, wie viel Druck auf den Decken lastet. Dort weist er auf einen mit schwarzer Plane abgedeckten Tank in mittlerer Swimmingpoolgröße. Er fasst bis zu drei Tagesmengen des einströmenden Wassers. Woher es kommt, ist unklar; was den Zufluss bisher gering hält, weiß man ebenfalls nicht. Aber dass das eindringende Grundwasser der größte Feind hier unten ist, daran lässt König keinen Zweifel. Würden es viel mehr als die bisher 12.000 Liter am Tag, könnte das weiteres Salzgestein lösen, die Standfestigkeit mindern und das Salzbergwerk absaufen lassen.

Probebohrungen beginnen bald

Nicht in die Abteilung Risiko, sondern zum Fortschrittsbericht über das Atomendlager Asse gehört, dass die dortigen Wasserspeicher von derzeit 12 auf 500 Kubikmeter Fassungsvermögen ausgeweitet und die Deckengewölbe der Schächte mit Beton stabilisiert werden. Wie gigantisch diese Stützmaßnahmen sind, zeigt König an einer Stollenkreuzung. Zwei der zwölf Meter hohen Durchgänge sind mit riesigen Propfen aus Spezialbeton verschlossen; sie reichen sechzig Meter weit in den Stollen hinein. All das ist Bestandteil der Stabilisierungsmaßnahmen und der Notfallplanung, die nach Königs Worten vor allem einen Sinn haben: Mehr Zeit zu bekommen. Das ist die knappste Resource für die Sicherung der Asse.

Immerhin hat sich allein die Probebohrung in Kammer sieben, die möglichst bald beginnen und mehr Klarheit über die Verhältnisse hinter der 27 Meter dicken Wand bringen soll, bereits um etwa ein Jahr verschoben. "Wir müssen davon ausgehen, dass Fässer zerstört und viele Behälter von Salz zerfressen sind", erläutert König. Unter Experten wachsen die Zweifel, dass die Bergung einer radioaktiven Matsch-Masse gelingen kann. Einen zweiten Schacht zu bauen - mit dem die Transport- und Arbeitskapazitäten erweitert werden könnten - würde neun Jahre dauern. Ob der Salzstock länger als zehn Jahre stabil bleibt, ist aber ungewiss. Wie soll da Zeit für die Bergung des Atommülls bleiben?

Sicherheit der Asse ist am prekärsten

Die gefährlichste Altlast der Atomkraft in Deutschland ist die Asse trotz alledem schon deshalb nicht, weil in jedem Castor-Behälter zweihundert mal mehr Radioaktivität steckt als in dem ganzen Bergwerk. Aber die Kombination der technischen und zeitlichen Risiken ist einzigartig. "Wir haben es laufend mit extrem komplexen Konfliktlagen zu tun", sagt König, der weder verharmlosen noch dramatisieren will. Von allen deutschen Atomanlagen ist die Sicherheit der Asse deshalb am prekärsten.

"Gott sei Dank ist jetzt das Bundesamt für Strahlenschutz der Betreiber. Seither gibt es Transparenz und mehr Sicherheit für die Mitarbeiter", sagt Regina Bollmeier, die Bürgermeisterin der Gemeinde Asse. Sie war vor fünf Jahren kaum im Amt, als bekannt wurde, wie groß die Probleme mit dem Atommüll auf ihrer Markung tatsächlich sind. Seitdem gehen aus der vormals aufstrebenden Kommune viele Leute weg, oder sie ziehen erst gar nicht mehr dahin, "wo das Atomproblem quasi zu Hause ist". Wenn Asse demnächst mit der Nachbargemeinde Schöppenstedt fusioniert, wird die Frage, ob die Kommune sich wegen des Negativimages von ihrem Namen trennen soll, nicht nur theoretisch diskutiert. "Asse ist unsere Heimat und eine wunderbare Landschaft, sagen die einen", erzählt Bollmeier. "Andere sind für die Trennung von dem problembelasteten Namen." Die Bürgermeisterin gehört zur zweiten Fraktion: "Auch wenn der Name weg wäre, wär das Problem doch noch da."

Bürgermeisterin fordert Entschädigung

Wer wegzieht, tut sich schwer, sein Haus zu verkaufen, erzählt die Bürgermeisterin. Und immer weniger kommen neu in die Gemeinde. Das sei sicherlich nicht alleine auf die Atomanlage unter Tage zurückzuführen. Aber die Endlagerproblematik habe den demographischen Wandel am Ort erheblich verschärft. Deshalb hat Bollmeier Angela Merkel einen Brief geschrieben und Entschädigung für ihre Einwohner gefordert. Immerhin habe das Kanzleramt signalisiert, dass man sich um ihr Anliegen kümmern wolle.

"Mittlerweile ist wohl allen klar, dass Salz der am wenigsten geeignete Stoff für die Lagerung von Nuklearmüll ist", sagt die Bürgermeisterin. Da allerdings würde Wolfram König ihr nicht Recht geben. Er sieht die jüngsten Windungen der Endlagerdebatte, die stark von den Schwierigkeiten in der Asse geprägt ist, mit Sorge. Das gilt sowohl für den Vorschlag des niedersächsischen Umweltministers Hans-Heinrich Sander, den Atommüll in alten Militärbunkern unterzubringen, als auch für das Plädoyer des niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister, man müsse in jedem Fall die dauerhafte Rückholbarkeit des Abfalls garantieren. Beides hält der Behördenchef König für falsch.

"Asse ist kein Beweis, dass Endlagerung generell nicht funktioniert", betont König. Er will sich auch nicht von der Konzeption verabschieden, den radioaktiven Müll in tiefen Salz-, Ton oder Granitschichten einzulagern. "Langzeitzwischenlager, egal ob im Bunker oder überirdisch, bedeuten Beton und Stacheldraht statt geologischer Barrieren in tiefen Gesteinsschichten. Das wäre eine Senkung des Sicherheitsstandards", erklärt König. In seinen Augen sind die vergangenen vierzig Jahre in Asse gerade keine Einladung, das Endlagerproblem künftigen Generationen aufzubürden. "Gerade hier hat sich doch gezeigt, wie schnell Risikobewusstsein und Sachkenntnis verloren gehen können."

Die Geschichte der Asse

Die Anfänge: Die Zeiten, als "Asse Sonnensalz" ein Exportschlager war und Speisen in ganze Europa die Würze verlieh, sind lange vorbei. Von 1909 bis 1964 wurde erst Kali-, dann Steinsalz in dem niedersächsischen Salzstock abgebaut. Auf 13 Sohlen zwischen 400 und 750 Metern unter der Erde entstanden durch den Salzabbau 131 Kammern. Von denen werden heute 13 als Lager für schwach- und mittelradioaktive Stoffe genutzt.

Das Atomlager: Von 1967 bis 1978 wurde nuklearer Müll eingelagert. Offiziell diente die Schachtanlage in dieser Zeit zu Forschungszwecken. Wie die Endlagerung strahlenden Mülls funktioniert, sollte wissenschaftlich erkundet werden - erst von der Gesellschaft für Strahlenforschung, später vom Helmholtz-Zentrum. Heute weiß man, dass das nur in den ersten vier Jahren galt. Seit 1971 wurde Asse, obwohl es dafür keine Genehmigung gab, faktisch nicht als Versuchs-, sondern als Endlager genutzt.

Die Krise: Seitdem die Probleme der Asse offiziell nicht mehr bestritten werden, wird sie als Endlager behandelt. Die Anlage soll stillgelegt werden. Dafür gibt es drei Optionen: die Umlagerung des Mülls im Bergwerk, die Verschließung des gesamten Schachts oder die Rückholung des Mülls. Letzteres gilt nach jetzigem Stand als beste Variante.