Zwei junge Männer aus Fellbach werden auf der Heimfahrt vom Christopher Street Day angegriffen. Die Täter sind jetzt zu einer Bewährungsstrafe und Schmerzensgeld verurteilt worden. Für eines der Opfer ist die Sache damit aber noch nicht abgeschlossen.
Die Entschuldigung der Täter bei der Verhandlung am Amtsgericht Waiblingen haben Moritz F. und Paul K. (beide Namen geändert) gehört. Geglaubt haben die Opfer, die als Nebenkläger auftraten, den gesprochenen Worten aber nicht. „Es kam für mich nicht sehr authentisch rüber“, sagt Paul K. Auch Moritz F. fand den Auftritt der beiden Angeklagten, obschon diese vollumfänglich geständig waren und ihre Taten bereuten, „nicht ehrlich“. Der 18-Jährige aber will „das Ganze nun endlich abschließen“. Sein ein Jahr jüngerer Kumpel Paul K. hingegen wünscht sich noch immer eine Erklärung für das Erlebte.
„Sie haben uns nicht einmal in die Augen geschaut“, sagt Paul K. und schüttelt den Kopf. Während die angeklagte Frau meist auf den Boden gestarrt habe, habe der Mann zumindest den Richter und die Zuschauer im Saal angeschaut. „Aber den Blickkontakt mit uns haben beide vermieden.“
Bewährungsstrafen für beide Täter
Gut gelaunt waren die Freunde am 31. Juli 2022 vom Christopher Street Day in Stuttgart gekommen. Doch der Tag, der so fröhlich begonnen hatte, endete für den 17-jährigen Schüler und den 18 Jahre alten Azubi im Krankenhaus. Die Täter, eine Frau und ein Mann, attackierten sie während der Busfahrt von Fellbach nach Oeffingen erst verbal und nach dem Aussteigen auch körperlich. Nun hat Richter Armin Blattner vom Amtsgericht Waiblingen Recht gesprochen: Ein Jahr Haft auf Bewährung für ihn, acht Monate auf Bewährung für sie und jeweils 1000 Euro pro Person Schmerzensgeld, zahlbar in Raten. Bei pünktlicher Zahlung werden jeweils 300 Euro erlassen. Es sei ein Urteil für eine Tat, bei der offen bleiben müsse, warum es dazu kam, sagte Blattner. Denn erklärt hatten die Angeklagten ihr Tun vor Gericht nicht.
Vor dem Amtsgericht hatte die Jugendgruppe des Rems-Queer-Kreises ein Zelt aufgestellt. Junge und Alte standen beisammen, manche trugen Regenbogenfarben in den Haaren, andere in der Kleidung. In Reden ging es um „queerfeindliche Gewalt“. Ein Mitglied vom Vorstand des Christopher Street Day Stuttgart, der ebenfalls aus Fellbach stammt, wurde fürs Radio interviewt. „Es war unglaublich schön, die Solidarität zu sehen, um ein Zeichen zu setzen, dass queerfeindliche Gewalt nicht akzeptiert wird“, sagt Paul K. mit einem Lächeln.
Im Gerichtssaal kam das Thema politische Gesinnung nicht zur Sprache. Auch die Opfer, die als Nebenkläger Rederecht haben, fragten nicht danach. Mit dem Urteilsspruch ist der Fall formal zu den Akten gelegt. Die äußerlichen Wunden bei Paul K. sind verheilt. Doch für ihn ist die Angelegenheit noch nicht erledigt. Das Aufeinandertreffen unter anderen Vorzeichen sei „interessant und sehr spannend“ gewesen, sagt er. „Sie kamen weitaus weniger bedrohlich rüber als an jenem Abend.“
Wird das Angebot eines Gesprächs angenommen?
Doch ansonsten riefen in ihm, der therapeutische Hilfe in Anspruch nimmt, Männer mit Glatze und Bart nach wie vor schreckliche Erinnerungen wach. Moritz F. erzählt, dass er tagsüber zwar wieder ab und an mit Bus und Bahn unterwegs ist. Bei Dunkelheit aber ziehe er nach wie vor das Auto vor. Für den Azubi ist mit der Verhandlung die Sache außen abgeschlossen, das möchte er auch innerlich. „Ich lasse mich wegen so was nicht einschüchtern“, sagt er fast trotzig.
Paul K. hingegen will noch nicht mit Tat und Tätern abschließen. „Ich möchte ihnen in die Augen schauen und fragen, warum sie es getan haben. Ich will wissen, was dahinter steckt, und ich will ihnen erzählen, was es mit mir gemacht hat“, sagt er. Bisher gab es auf sein Angebot keine Antwort von der Gegenseite, ob es ein Treffen von Angesicht zu Angesicht geben wird. „Wenn Interesse besteht, handeln unsere Anwältinnen das aus, es soll an einem neutralen Ort und mit entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen sein“, sagt Paul K. Einen Einblick in sein Innerstes hat der 17-Jährige in seinem Schlusswort vor Gericht gegeben. „Ich bin queer. Ich wurde queer geboren. Das gehört zu meiner Identität, zu mir, und das ist gut so.“
Paul K. quält die Frage nach dem Warum. „Warum haben Sie mir das angetan?“, hatte er die Angeklagten direkt angesprochen, blieb aber ohne befriedigende Antwort. „Es war ein großer Fehler“, hatte der Mann in seiner Entschuldigung vorgetragen. „Es war ein unmögliches Verhalten von mir“, hatte sie abgelesen. Paul K. ist das zu wenig. Er möchte ein klärendes Gespräch.
Eines hat er den Angeklagten bei der Verhandlung mit auf den Weg gegeben: „Sie haben es nicht geschafft, uns mundtot zu machen. Jetzt erst recht. Ich, wir als queere Community, lassen uns nicht kleinkriegen.“ Moritz F. hingegen will am liebsten alles vergessen. Vom Schmerzensgeld will er auch mal essen gehen. Paul K. will einen Teil für die Rechte queerer Menschen spenden.