Mehrere Indizien belasten den mutmaßlichen BVB-Attentäter stark. Die Nachbarn in Rottenburg am Neckar sind entsetzt.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Rottenburg - Ein Holzzaun umgibt das große Grundstück, an dem weißen Einfamilienhaus ist eine Überwachungskamera angebracht. Vermutlich in der Einliegerwohnung der Immobilie in bester Rottenburger Lage hat er immer wieder übernachtet oder gar gewohnt: der 28-jährige Sergej W., der die Bombenattacke auf den Team-Bus des BVB verübt haben soll. Gleich vier große Polizeiwagen parken am Freitagmorgen vor dem Grundstück mit dem weitläufigen Garten und dem Wäscheständer auf der Terrasse. Etliche Beamten durchsuchen das Haus, auch ein Hund ist im Einsatz. Die ersten Fernsehteams positionieren ihre Kameras vor der gepflasterten Einfahrt.

 

In der ansonsten so unauffälligen Straße laufen inzwischen die Nachbarn zusammen. Sie sind entsetzt und können es kaum fassen, dass der Täter in ihrer Nähe lebte. „Ich habe im Fernsehen von der Festnahme erfahren“, sagt ein 75-jähriger Rentner, der nur ein paar Häuser weiter wohnt. „Bei uns ist sonst ziemlich wenig los.“ Den Mann, der die deutsche und die russische Staatsangehörigkeit und der auch immer wieder mit seiner Freundin gesehen wurde, kennt er nicht. „Da parkte seit einiger Zeit ein kleines rotes Auto mit Freudenstädter Kennzeichen mitten in der Kurve“, erzählt er, darüber habe er sich mehrfach geärgert.

Der 28-Jährige war vor dem Zugriff mehrere Tage lang observiert worden

Der aus Freudenstadt stammende und auch dort gemeldete Sergej W. arbeitete als Elektriker im Fernheizwerk auf der Tübinger Morgenstelle. Wie der Pressesprecher des Betreibers, des Mannheimer Unternehmens MVV Energie, bestätigt, war der 28-Jährige bereits seit zehn Monaten in dem Heizwerk, das das Universitätsklinikum mit Wärme versorgt, beschäftigt. Dort ist er auch am Freitagmorgen von Spezialkräften der GSG 9 nach einer mehrtägigen Observation festgenommen worden. Er war gerade auf dem Weg zur Arbeit. Augenzeugen im Uniklinikum berichten von Blaulicht und einem Großeinsatz der Polizei. Der der 28-jährige Mann hat 2008 seinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr in Dornstadt bei Ulm absolviert.

Kurz nach Mittag informiert Frauke Köhler im Siegfried-Buback-Saal der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe über den Fahndungserfolg. Die Wände dort zieren 20 Fotos von riesigen Rubik-Zauberwürfeln, vermutlich als Symbol dafür, dass in diesem Gebäude auch die kniffligsten Aufgaben gelöst werden. Die Sprecherin des Generalbundesanwalts tritt mit verschlossenem Gesicht auf und lässt auch keine Fragen der Journalisten zu. Aber in der Sache ist sie sehr sicher: „Wir gehen davon aus, dass der 28-Jährige verantwortlich ist für den Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund.“ Der Generalbundesanwalt veröffentlicht sogar den Vornamen und den abgekürzten Nachnamen. Tatsächlich wirken die Indizien erdrückend. Sergej W. soll bereits im März für zwei Zeiträume, die Hin- und Rückspiel im Viertelfinale der Champions League abdeckten, ein Zimmer im Dortmunder Hotel L’Arrivée gebucht haben; damals war noch nicht klar, wann der BVB zuhause und wann auswärts gegen den AS Monaco spielen würde. Bei der Buchung bestand er wohl auf ein Zimmer mit Blick auf die Zufahrt des Hotels, wo später die Sprengsätze deponierten. Und den Kauf von 15 000 sogenannten Put-Optionen auf die Aktie des BVB – er hatte dafür einen Verbraucherkredit aufgenommen – erledigte der Tatverdächtige am Tag des Anschlags, und zwar über den Internetanschluss des Hotels. Er muss sich seiner Sache sehr sicher gewesen sein.

Womöglich hat der Mann die Bomben vom Hotelzimmer aus gezündet

Im Moment hält Frauke Köhler es für wahrscheinlich, dass der 28-Jährige alleine gehandelt hat: „Es gibt derzeit keine Anhaltspunkte für Gehilfen oder Mittäter.“ Am Freitag war noch über zwei Komplizen spekuliert worden. Unklar bleibt auch, welcher Sprengstoff verwendet wurde. Bei der Explosion sei der Sprengstoff „vollständig verbraucht“ worden, so Köhler; die Untersuchungen dauerten deshalb an. In den Bomben haben sich sieben Zentimeter lange Metallstifte befunden, die bei der Detonation bis zu 250 Meter weit flogen. Der Täter habe die drei Sprengsätze wohl einzeln „über eine funkausgelöste elektrische Schaltung“ gezündet, so der Generalbundesanwalt – also vielleicht vom Hotelzimmer aus.

Der Rottenburger Erste Bürgermeister Thomas Weigel hat sich am Freitag erleichtert über die Festnahme gezeigt. „Es ist gut, dass er gefasst wurde.“ Erstaunlich sei aber, wie lange sich manche Menschen verbergen könnten. Verblüfft habe ihn auch die Tatsache, dass die Taktik des mutmaßlichen Täters hätte aufgehen können. Die örtliche Polizei sei über den Zugriff nicht informiert worden, sagt Weigel. Alles habe aber reibungslos funktioniert. „Ich bin froh, dass es keine islamistischen Hintergründe gibt“, sagt Weigel, „wir in Rottenburg sind bei der Integration nämlich gut unterwegs.“