Vor 40 Jahren riss auf dem Oktoberfest eine Bombe 13 Menschen in den Tod und verletzte mehr als 200 - es war der größte rechtsextreme Anschlag in der bundesdeutschen Geschichte. Neue Ermittlungen konnten keine Täter vor Gericht bringen. Aber sie schaffen wichtige Klarheit.

München - Fast 40 Jahre nach dem Oktoberfestattentat belegen neue Ermittlungen eindeutig: Die Tat mit 13 Toten und mehr als 200 Verletzten war rechtsextremistisch motiviert. Der Bombenleger Gundolf Köhler wollte die damalige Bundestagswahl beeinflussen - und wünschte sich einen Führerstaat nach dem Vorbild des Nationalsozialismus. Das ergaben die umfangreichen neuen Untersuchungen, die gut fünfeinhalb Jahre andauerten. Konkrete Ansätze zur Verfolgung etwaiger Hintermänner oder Komplizen wurden aber auch nach Prüfung Hunderter Spuren nicht gefunden.

 

Die Bundesanwaltschaft stellte nun die 2014 neu aufgenommenen Ermittlungen ein. Auch „nach Ausschöpfung aller erfolgversprechenden Ermittlungsansätze“ hätten sich „keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung weiterer Personen als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen an der Tat des bei dem Anschlag ums Leben gekommenen Gundolf Köhler ergeben“, teilte die Behörde am Mittwoch mit. Sie schreibt aber auch, dass die „Möglichkeit einer Beteiligung weiterer Personen“ nicht ausgeschlossen werden könne.

Dritter Wiederaufnahmeantrag sorgt für neue Ermittlungen

Die Bundesanwaltschaft weicht damit von dem Ermittlungsergebnis bei der ersten Einstellung 1982 ab: Köhler wurde damals als Einzeltäter angesehen, der rein aus privatem Frust handelte. Nun kommt die Anklagebehörde zu dem Schluss, dass Köhler „vor der Gewaltanwendung zur Durchsetzung seiner demokratie- und verfassungsfeindlichen Einstellung nicht zurückschreckte“, wie der Opferanwalt Werner Dietrich, aus der Einstellungsverfügung zitiert. Dietrich hatte die neuen Ermittlungen mit seinem dritten Wiederaufnahmeantrag in Gang gebracht.

Über Gespräche Köhlers mit gleichgesinnten Freunden heißt es demnach weiter: „Köhler hat dabei nicht nur über das durch die Tat zu erreichende konkrete Ziel der politischen Einflussnahme auf die bevorstehende Bundestagswahl gesprochen, sondern darüber hinaus auch über einen Führerstaat und eine nationalsozialistisch-faschistische Diktatur, die er für wünschenswert halte.“

Schrauben und Nägel erhöhten die Zerstörungskraft

Schon länger wurde spekuliert, dass der Anschlag Linksextremen in die Schuhe geschoben und so die Politik der damals regierenden sozialliberalen Koalition diskreditiert werden sollte. Bei der Bundestagswahl am 5. Oktober 1980 war CSU-Chef Franz Josef Strauß als Kanzlerkandidat der Union gegen Kanzler Helmut Schmidt (SPD) angetreten. Schmidt wurde im Amt bestätigt.

Eineinhalb Wochen davor, am Abend des 26. September 1980, hatten am Haupteingang zur Wiesn 1,39 Kilogramm TNT zwölf Festgäste in den Tod gerissen und mehr als 200 verletzt. Schrauben und Nägel erhöhten die Zerstörungskraft. Auch Köhler starb. Der Geologie-Student hatte Kontakte in rechtsextreme Gruppen sowie zur NPD und war Anhänger der vor dem Attentat verbotenen rechtsextremistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ - die Strauß als harmlose Spinner abgetan hatte.

Die Akten wurden rasch geschlossen, das Verfahren eingestellt. Die Einzeltäterthese bezweifelten Angehörige, Opfervertreter und Politiker verschiedener Parteien. 2014 wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen - etwa eineinhalb Jahre nach dem Beginn des Prozesses um die rechtsextremen Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Die Rufe nach Aufklärung waren damit noch lauter geworden.

770 Spuren und 1081 Unterspuren

Die Ermittler bearbeiteten 770 Spuren und 1081 Unterspuren und führten mehr als 1000 Vernehmungen. Mehr als 300 000 Seiten aus Akten unter anderem aus Archiven von Polizei und Geheimdiensten wurden ausgewertet. Geprüft wurden auch die aus 888 Altspuren bestehenden Ermittlungsergebnisse aus den 1980er Jahren. Mit Hilfe von 2600 Fotos rekonstruierten Experten des Bayerischen Landeskriminalamts, an dem auch die neue Sonderkommission ermittelte, den Tatort. Bisher unbekannte Menschen auf Fotos wurden nachträglich identifiziert.

Die Bundesanwaltschaft habe gründlich und ergebnisoffen ermittelt und sei damit zu „dieser eindeutigen politischen Einschätzung gekommen“, sagte Dietrich. „Schon deshalb hat sich der jahrzehntelange Einsatz gelohnt.“ Der 73-Jährige betreut bis heute 15 Opfer. „Durch die Einstufung der Tat als rechtsextremistisch sehe ich auch bessere Chancen für eine angemessene Opferentschädigung.“ Und: „Den Opfern kommt es vor allem darauf an, dass alles getan worden ist, um die Hintergründe aufzuklären. Dann können sie auch zur Ruhe kommen und dieses düstere Kapitel in ihrem Leben leichter bewältigen.“

Dietrich forderte genau wie der SPD-Landtagsabgeordnete Florian Ritter und der Überlebende Robert Höckmayr erneut einen Opferfonds. „Die Opfer leiden nach wie vor seelisch unter dem schrecklichen Ereignis, auch viele Existenzen sind durch den Anschlag zerstört worden“, sagte Ritter. Höckmayr setzt sich grundsätzlich für einen Fonds für Anschlagsopfer ein. „Es wird nicht das letzte Attentat bleiben“, sagt der 51-Jährige. Viele Opfer hätten zeitlebens mit den Folgen zu kämpfen und höhere Kosten zu stemmen - etwa für gesundheitliche Hilfsmittel.

Höckmayr wird 42 mal operiert

Höckmayr hatte als Zwölfjähriger die Tat schwer verletzt überlebt. Er wurde 42 mal operiert und hat bis heute Splitter im Körper. Zwei kleine Geschwister starben vor seinen Augen. Die Eltern und zwei Geschwister überlebten - die Schwester und der Bruder hätten die Folgen des Attentats nicht verarbeiten können und sich umgebracht.

Die Spuren des Attentats waren 1980 in Windeseile beseitigt worden. Das Oktoberfest ging derweil weiter, schon am nächsten Tag wurde wieder getrunken und gefeiert. Bei den Ermittlungen gab es dann zahlreiche Pannen: Zeugen wurden nicht ausreichend gehört, ein nahe dem Explosionsort entdecktes Fragment einer Hand verschwand spurlos, 48 Zigarettenstummel aus Köhlers Auto wurden vernichtet. Heute hätten DNA-Spuren Hinweise liefern können. 504 Asservate wurden laut Dietrich vernichtet - angeblich aus Platzmangel.

Als Generalbundesanwalt Harald Range die Wiederaufnahme verkündete, war das auch ein Bekenntnis: dass nicht alles gut gelaufen war. Range sprach damals schon vom „schwersten rechtsextremistische Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“.