Nach dem Jaguar-Unfall Anfang März bricht für die Eltern der beiden Opfer eine Welt zusammen. Damit sie als Nebenkläger den Prozess durchstehen, haben sie psychosoziale Prozessbegleiterinnen an ihrer Seite.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Manchmal sind die letzten Meter die schwersten – oder sind es die ersten auf dem Weg zur Gerechtigkeit? Tina Neubauer zeigt auf die Tür von Saal 1 des Amtsgerichts. Nur ein paar Meter, vielleicht sechs, sieben Schritte sind es bis zum Stuhl in der Mitte des Raumes, dem Platz, auf dem die Zeugen sitzen. „Eine junge Frau stand ewig an der Tür und konnte nicht weiter“, berichtet sie. Kein Wunder, wusste die Frau doch, dass sie noch einmal all die Grausamkeiten einer Straftat berichten sollte, die man ihr angetan hatte.

 

Und der Beschuldigte würde nur wenige Meter entfernt auf der Anklagebank sitzen. Auch wenn der Gerichtssaal zu diesem Zeitpunkt noch leer war und der Termin nur dazu dienen sollte, sich mit dem Szenario vertraut zu machen: Es ist ein schwerer Gang für viele Opfer, die in den Zeugenstand treten.

Für Menschen, die so etwas durchmachen, sind Tina Neubauer und Patricia Kögel da. Sie sind psychosoziale Prozessbegleiterinnen. Als solche haben sie sich in einem der spektakulärsten und emotional stark beladenen Prozesse des Jahres, im Jaguar-Prozess gegen einen jungen Raser, um die Eltern der Opfer gekümmert. Sie saßen an allen Prozesstagen an der Seite der Ehepaare, die bei dem Unfall im März ihre Kinder verloren, die 22-jährige Jaqueline und den 25-jährigen Riccardo. Die Eltern traten als Nebenkläger in dem Verfahren auf, das mit fünf Jahren Jugendstrafe für den 21-jährigen Raser endete. Dagegen wurde Berufung eingelegt.

Max, die Gerichtsmaus, kennt sich im Saal aus

Neubauer und Kögel arbeiten mit vielen Mitteln. Kinder bekommen Max, die Gerichtsmaus, an die Hand. Ein kleines Stofftier. Die Maus kann in jede Ecke des Gerichtssaals schlüpfen, weiß alles und kennt jeden. Das hilft Kindern. „Wenn sie nicht schon zu cool dafür sind. Aber manche stecken sie sich auch in den Ärmel, dann sieht es ja keiner“, sagt Tina Neubauer. Max hilft. Oder aber der Blick in den eigens geschreinerten Playmobilgerichtssaal mit handgenähten Richterroben kann eine Hilfestellung sein. „Einen Ersatz-Max haben wir beim Verhandlungstermin immer in der Tasche – falls ein Kind seinen vergisst“, fügt Tina Neubauer hinzu.

Überhaupt die Tasche. Die wirkt auf Zuschauer, die im Gerichtssaal heutzutage aus Sicherheitsgründen höchstens noch Taschentücher dabeihaben dürfen, wie der wundersame Beutel im „Harry Potter“-Film, aus dem Hermine ganze Bibliotheken zaubert. Stress-Igelbälle, Knautschbälle, natürlich Taschentücher, eine Ersatzmaus, ein Hustenbonbon und sonst etwas für die Nerven sind darin. Jede hat da ihren eigenen Stil. „Ich bin da eher so der Traubenzuckertyp“, sagt Patricia Kögel. Auch ein Strickjäckchen für eine Frau, die sich für die Aussage eine schicke Bluse angezogen hat, aber nun vor Kälte bibbert im Saal, habe sie im Büro parat, sagt Tina Neubauer. „Und Humor muss auch immer dabei sein“, ergänzt sie. Oft werde sie komisch angeschaut, wenn sie in den Pausen ihre Schützlinge zum Lachen bringe. „Das hilft. Lachen entspannt“, sagt sie.

Ein Mann komplettiert das Trio

Patricia Kögel (32) und Tina Neubauer (47) sind bei der gemeinnützigen GmbH Präventsozial angestellt. Kögel hat soziale Arbeit studiert und vor ihrer Arbeit als psychosoziale Prozessbegleiterin zuletzt mit unbegleiteten minderjährigen Ausländern gearbeitet. Neubauer ist Sozialpädagogin und hat am Ende ihres Studiums bereits eine Diplomarbeit zum Thema Prozessbegleitung geschrieben. Beide haben eine 30-tägige Fortbildung gemacht. Insgesamt ist das Team der hauptamtlichen psychosozialen Prozessbegleiter zu dritt. Ein Mann, Christian Veith, ist der Dritte im Bunde. „Wir fragen auch, ob es ein Mann oder eine Frau sein soll. Männer und Jungs gehen anders mit Gefühlen um als Frauen und Mädchen“, sagt Neubauer.

Seit 2017 haben Opfer schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten einen gesetzlichen Anspruch auf die psychosoziale Prozessbegleitung. Das steht in der Strafprozessordnung. Die Begleiterinnen müssen es in der Vorbereitung schaffen, das Thema der Verhandlung – die Tat – auszuklammern. „Das hören wir bei der Anklageverlesung zum ersten Mal“, sagt Patricia Kögel. Davor geht es nur um den äußeren Rahmen: Wer sitzt wo, wie nahe sitzt der Täter, kann die Begleiterin sich so setzen, dass er keinen Blickkontakt hat? Das sei vielen Frauen wichtig.

Mit dem Urteil endet die Betreuung nicht. Das Erlebte wird nachbereitet. Die Prozessbegleiter rufen die Klienten an. „Aber nur, wenn sie reden wollen.“ Denn auch der Kontakt mit den Begleitern ist ein Erinnern an den Prozess und die Tat.