Das Audi-Werk in Brüssel steht vor dem Aus. Die Arbeiter stehen seit Wochen vor dem Eingangstor. Sie wollen Klarheit über ihre Zukunft.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Der Wettergott meint es nicht gut mit den Audi-Arbeitern. „Seit wir hier sind, regnet es“, klagt Assis und schlägt den Kragen seiner Jacke hoch. Kalt und windig ist es an diesem Septembermorgen, was in etwa der Stimmungslage der Leute vor dem Werkstor am Boulevard de la Deuxième Armée Britannique 201 in Brüssel entspricht. „Aber wir geben nicht auf“, sagt Assis, der seit fast fünf Jahren in der Montage bei Audi arbeitet.

 

Das soll kämpferisch klingen, wirkt aber resigniert. Keiner der knapp 80 Männer hier hat noch Hoffnung, dass die Schließung des Werkes mit seinen rund 3000 Angestellten abgewendet werden kann. Seit Wochen warten die Arbeiter darauf, dass sich die Konzernleitung in Deutschland zur Zukunft des Standortes äußert, doch die bleibt stumm. „Es geht auch um Respekt“, sagt der 52-jährige Assis, „darum, wie man mit Menschen umgeht, die hier seit Jahren für die Marke schuften.“

Keine überraschende Nachricht von Audi

Überraschend kam die Nachricht vom Ende der Audi-Produktion in Brüssel nicht. Es sei noch keine endgültige Entscheidung gefallen, hieß es Ende Juli auf einer Betriebsversammlung. Eine „Umstrukturierung des Standortes Brüssel“ sei allerdings unumgänglich, ließ die Konzernspitze in einer dürren Mitteilung verkünden. Grund für diesen Schritt sei ein „Rückgang der Kundenaufträge im elektrischen Oberklassesegment“. In Brüssel werden die Modelle Q8 e-tron und Q8 Sportback e-tron gefertigt. Ursprünglich war von einer angestrebten Produktion von 48 000 Fahrzeugen im Jahr 2024 die Rede. Nach Angaben aus Gewerkschaftskreisen sollen allerdings nur 25 000 Autos vom Band gelaufen sein.

Schlechte Lage des Werkes in Brüssel

Doch nicht nur der Rückgang der Verkaufszahlen spricht gegen das Werk. Die Fabrik habe im Vergleich zu anderen Standorten sehr hohe Fixkosten und ein geringes Produktionsvolumen, was zu hohen Produktionskosten pro Fahrzeug führe, heißt es von Audi. Das zu ändern, sei äußerst schwierig, vor allem auch wegen der eingeengten Lage des Werkes zwischen einem Wohngebiet und einer Bahnlinie. Das erschwere die „Optimierung des Fabriklayouts“, heißt es in der Mitteilung.

„Seit Januar und der Entlassung von 450 Leiharbeitern wissen wir, dass etwas nicht stimmt“, empört sich Pascal, auch er arbeitet in der Montage. „Wir wissen auch, dass in Mexiko eine Fabrik gebaut wird, um den Q8 zu produzieren, der hier montiert wird. Aber wir wissen immer noch nichts über unsere Zukunft.“ In ihrer Frustration haben einige der Arbeiter die Schlüssel von rund 200 Fahrzeugen entwendet. Sie wollten damit erzwingen, dass die Geschäftsführung Klarheit über die Zukunft des Standorts schafft. Als die Unternehmensleitung drohte, das Werk sofort vollständig zu schließen und die Zahlungen an die Beschäftigten einzustellen, wurden die Schlüssel wieder ausgehändigt. An jenem Morgen stellten die streikenden Männer vor dem Werkstor vier große Lkw-Reifen zu dem Audi-Logo zusammen und zündeten sie an.

Die Arbeiter sind von der Politik enttäuscht

Von der Politik erwarten die Arbeiter keine Hilfe mehr. Aus dem Büro von Belgiens Premierminister Alexander De Croo heißt es, dass noch im April auf höchster Ebene eine Taskforce-Gruppe eingerichtet worden sei, um das Unheil abzuwenden – offensichtlich ohne Erfolg. In Rahmen der Gespräche mit Audi seien mögliche Investitionshilfen angesprochen worden, Unterstützung bei der Ausbildung von Fachkräften oder auch Flexibilisierung bei der Reglung für Nachtarbeit. Man sei gegenüber der Muttergesellschaft Volkswagen machtlos, räumt Wirtschaftsstaatssekretärin Barbara Trachte ein.

Unrealistisch sind wohl die Hoffnungen, dass ein chinesisches Unternehmen das Werk übernehmen könnte. Fachleute rechnen vor, dass solche Investoren eher nach Ost- oder Südeuropa gingen, wo die Gehaltskosten deutlich niedriger sind als in Belgien.

Auch an anderen Zukunftsideen für das Brüsseler Werk mangelt es nicht. Wegen der Erfahrung mit Elektromobilität könnte ein Batterierecyclingzentrum entstehen, heißt es. Angesichts der strenger werdenden Umweltvorschriften sehen manche die Möglichkeit in der Demontage von Altfahrzeugen. Wieder andere hoffen auf ein Logistikzentrum für Ersatzteile. Bei allen Plänen wird aber deutlich, dass nur ein Bruchteil der 3000 Angestellten weiter Arbeit finden würde.

Planen für die Zeit nach Audi

Die Streikenden wissen, dass die Aussichten auf Erfolg gering sind – auch angesichts der Krise des Mutterkonzerns VW in Deutschland. So wird auch in Brüssel hinter verschlossenen Türen offensichtlich schon an der Zeit nach der Ära Audi gearbeitet. „Es ist noch viel zu früh, um über konkrete Projekte zu sprechen, aber wir haben bereits Interessenbekundungen von Brüsseler Investoren“, räumt Isabelle Grippa von der Brüsseler Agentur für Wirtschaftsentwicklung „hub.brussels“ gegenüber der Tageszeitung „Le soir“ ein.

„Unser oberstes Ziel ist es, dass dort weiter Industriebetriebe angesiedelt bleiben“, beteuert Alain Mugabo, der in Brüssel zuständige Stadtrat für Stadtplanung. Aber man müsse auch darüber nachdenken, was aus dem rund 50 Hektar großen Standort wird, sollte sich Audi tatsächlich zurückziehen – und er sieht diese Möglichkeit auch als Chance. Denn ähnlich wie in anderen Großstädten fehlt es in Brüssel an Platz für die Ansiedlung von kleinen und mittleren Unternehmen oder auch an Fläche für den stadtnahen Wohnungsbau.

Hoffen auf neue Industriebetriebe

Die Arbeiter vor dem Werkstor wissen, dass im Hintergrund längst an der Zeit nach Audi geschmiedet wird und sie in diesen Plänen keine Rolle mehr spielen. Trotzdem wollen sie weiterkämpfen. Die Gewerkschaften rufen nun am 16. September zu einem landesweiten Streik auf, es wird wohl das letzte Aufbäumen. „Einfach aufgeben gibt’s nicht, wir wehren uns“, sagt Assis, das sei auch eine Frage der Selbstachtung.