In Dominik Grafs sehenswertem TV-Drama „Mein Falke“ widmet sich eine forensische Biologin und Rechtsmedizinerin der Dressur eines jungen Falken.
Inga Ehrenberg (Anne Ratte-Polle) ist Forensikerin am Wolfsburger Institut für Rechtsmedizin. An der Besiedlung einer Leiche durch Insekten kann sie sehen, wie lange jemand tot ist. Die Arbeit ist ihr Lebensinhalt – erst recht, seit ihr Mann sie verlassen hat. Das ändert sich, als ein Falkner sie bittet, sich eines Jungtiers anzunehmen.
Inga nennt den Vogel Giovanni, richtet ihm eine Voliere ein und offenbart hinter ihrem schroff wirkenden Wesen unvermutetes Feingefühl. Was sie beim verbitterten Vater (Jörg Gudzuhn) vermissen lässt – der Alte glaubt, sie werde sich erst für ihn interessieren, wenn er tot sei –, lebt sie mit dem Tier aus. Als sich Giovanni beim ersten Freiflug aus dem Staub macht, wird ihr klar, wie allein sie in Wirklichkeit ist.
Ein „kreuzwegartiges Stationsdrama“
Diese Inszenierung des vielfach ausgezeichneten Regisseurs Dominik Graf wirkt für seine Verhältnisse fast schon schlicht. Der kurzweilige Film konzentriert sich voll und ganz auf seine formidable Hauptdarstellerin; gerade die Szenen mit dem Falken waren zudem sicher nicht einfach zu drehen. Die Autorin Beate Langmaack hat schon das Buch für Grafs Film „Hanne“ (2020) geschrieben. „Mein Falke“ ist sehr episodisch strukturiert, Graf spricht von einem kreuzwegartigen „Stationsdrama“, zumal zunächst nicht klar ist, welcher der verschiedenen Handlungsstränge der rote Faden des Films ist: hier Ingas Arbeit, dort die Besuche bei Vater Hermann, schließlich die Beschäftigung mit Giovanni.
Maßgeblichen Anteil an der Verknüpfung dieser Ebenen hat eine junge Frau, die sich aufdringlich in Ingas Leben drängelt: Charlotte (Olga von Luckwald) ist die Tochter einer kürzlich verstorbenen Nachbarin Hermanns. Der Alte hat ihr gestanden, dass er ihr Vater sei. Das kann zwar eigentlich nicht sein, aber prompt fühlt sich Charlotte, die als „Stullenfee“ einen Sandwich-Service betreibt, zu Inga hingezogen. Die Biologin wimmelt die vermeintliche Halbschwester ziemlich unwirsch ab, aber die lässt nicht locker. Wie sich zwischen den beiden gänzlich unterschiedlichen Frauen Ingas Widerstand zum Trotz eine Freundschaft entwickelt, ist ebenso schön ausgedacht wie gespielt.
Drei Facetten desselben Themas
Die beiden anderen Stränge haben dagegen fast dokumentarischen Charakter. Das gilt vor allem für die kriminalistische forensische Arbeit, die maßgeblich zur Klärung von Todesfällen beiträgt. Besonders faszinierend ist ein Auftrag, bei dem Inga auf Wunsch der Nachkommen aus dem Knochengewirr eines Zwangsarbeitermassengrabs die Gebeine eines Holländers bergen soll. Anschließend fungiert sie gewissermaßen als Führerin durch eine Ausstellung über die Geschichte der Zwangsarbeiter im Volkswagenwerk.
Fesselnd ist auch die Dressur des Falken. Nach und nach zeigt sich, dass die drei zunächst nebeneinanderher laufenden Erzählungen Facetten desselben Themas behandeln: Es geht um Verlust und Einsamkeit. Hermann lebt allein, seit seine Frau vor geraumer Zeit Richtung Asien ausgebrochen ist, um dort nach dem Sinn des Lebens zu suchen, und auch Ingas Heim ist eine Art Mausoleum der einstigen Ehe. Das ändert sich, als Giovanni einzieht; der neue Mitbewohner sorgt am Ende dafür, dass auch sie in ein neues Leben aufbricht.
Unerwartete Heiterkeiten
Sehr sympathisch ist die mitunter fast improvisiert wirkende Leichtigkeit, mit der Graf Ingas Geschichte umgesetzt hat, auch dank diverser unerwarteter Heiterkeiten. Das gilt selbst für die eigenbrötlerischen Momente, wenn sie die Einladung einer Kollegin zur Karaoke ausschlägt und lieber daheim allein mit einem Bier auf dem Sofa singt; oder wenn sie nach Hause kommt und erfreut feststellt, dass keine neuen Nachrichten auf dem Anrufbeantworter sind.
Mein Falke: 24. November, 20.15 Uhr, Arte