In diesem Jahr, in dem Georgien das Gastland der Frankfurter Buchmesse ist, richten sich alle Augen auf die dort geborene Autorin Nino Haratischwili. Hält ihr neuer Roman „Die Katze und der General“ dem Stand?

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Manches lässt sich einfach nicht wiederholen, auch wenn man noch so gewaltsame Anstrengungen unternimmt und einem die Mittel zu Gebote stehen, alle Gesetze der Wahrscheinlichkeit außer Kraft zu setzen. Der russische Oligarch Alexander Orlow setzt alles daran, die schreckliche Schlüsselszene seines Lebens noch einmal aufzuführen, um die seither auf ihm lastende Schuld endlich abzubüßen. Die aus Georgien stammende Schriftstellerin Nino Haratischwili wiederum versucht mit ihrem neuen Roman „Die Katze und der General“ den Erfolg ihres opulenten Epos „Das achte Leben (Für Brilka)“ über eine georgische Familie in den Wirren des 20. Jahrhunderts zu wiederholen. Beide scheitern. Und das eine hängt mit dem anderen unverbrüchlich zusammen. Denn Orlow ist eine der beiden Titelfiguren in Haratischwilis neuem Buch. Und je mehr er sich oligarchenallmächtig müht, seine Pläne mittels einer Schauspielerin mit dem Spitznamen Katze umzusetzen, desto weniger gelingt es der Autorin, Orlows Sühne in eine plausible Geschichte zu verwandeln.

 

Im Mittelpunkt steht das Verbrechen an einem Mädchen während des Tschetschenienkriegs Mitte der neunziger Jahre. So brutal dieser russische Feldzug die Freiheitshoffnungen des nach seinen eigenen archaischen Regeln tickenden Kaukasusstaats zerstört, so grausam spiegelt sich das politische Zerstörungswerk in der bestialischen Vergewaltigung und Ermordung der jungen Tschetschenin wider. Die daran Beteiligten wurden nie zur Verantwortung gezogen, einer davon, durch Zwang und Gewalt in das Geschehen verstrickt, ist eben jener Alexander Orlow. Bis dahin ein pazifistisch veranlagter Schöngeist, macht er nun eine grundlegende Wandlung durch: „Unschuldig würde er nicht lebend davonkommen. Es gab nur eine Möglichkeit – er musste aufhören, er selbst zu sein, er musste ein anderer werden.“

Brutale Übergriffe

Nachdem sein Versuch, die Tat gerichtlich ahnden zu lassen, an einer korrupten, alle Kriegsverbrechen deckenden Siegerjustiz scheitert, wird aus dem sympathischen Zweifler ein kühl berechnender Stratege, der die Goldgräberstimmung des erodierenden Großreichs zu seinem Nutzen wendet. Fortan nennen ihn alle nur noch den General. Doch auch in die höchsten ökonomischen Sphären des neuen Russland aufgestiegen, lässt ihn die alte Schuld nicht los. Und als er zwanzig Jahre später in Berlin das Plakat einer Schauspielerin sieht, die der jungen Tschetschenin wie aus dem Gesicht geschnitten scheint, reift in ihm der Plan, die Täter von einst mit der Doppelgängerin zu konfrontieren. Damit allerdings endet, was in der Nacherzählung als einigermaßen nachvollziehbar konstruierte Handlung durchgehen könnte.

Vielleicht wird man diesem knapp achthundert Seiten starken Wälzer gerechter, wenn man sich fortan an das hält, was er beabsichtigt, und weniger an das, was er tatsächlich ausführt. Ganz offensichtlich möchte die 1983 in Tiflis geborene und seit ihrem 13. Lebensjahr in Hamburg lebende Autorin die Wirren und Gräuel der Sowjetzeit, von denen ihr vorangegangener Roman handelt, in die postsowjetische Verfalls- und Gründerzeit weiterschreiben. Es ist durchaus interessant, was sie über die Erschütterungen in einem Reich, in dem durch die Perestroika die Erdplatten ins Rutschen geraten sind, mitzuteilen hat, wie aus der Auflösung eine neue Herrschaft entsteht. Und natürlich steht die Vergewaltigung der Angehörigen eines seit je drangsalierten muslimischen Bergvolks sinnbildlich für die brutalen machtpolitischen Übergriffe Russlands auf andere Kaukasusstaaten. Zum Beispiel Georgien, das Land, aus dem die Katze genannte Schauspielerin stammt, die eines der neun ihrem Wappentier zugutegehaltenen Leben der ermordeten Tschetschenin leiht.

Über die Katze wird der Roman zur Migrationsgeschichte, über den General zum Psychogramm der midashaften Titanen der russischen Geldaristokratie, die das Chaos der sterbenden Sowjetunion geboren hat. Eine weitere Figur, der deutsche Osteuropaspezialist und journalistische Krisengewinnler Onno Bender, öffnet eine medienkritische Perspektive. Ferner wüten noch vom Krieg verrohte Riesen wie der Vater der Schauspielerin durch die Szene, die nur noch alles zerbrechen können, was ihnen einstmals etwas bedeutet hat. Ganz schön viel Stoff. Zu viel. Wie die zivilen Strukturen unter den gewaltigen Geburtswehen des neuen Russland ächzen und stöhnen, so der Roman unter dem Gewicht, das sich seine Autorin aufgeladen hat. Zusehends brechen Intention und Handlung auseinander. Die Zwischenräume füllen ausgedehnte referierende und erklärende Partien, die den Fluss des Ganzen in kolossalen Parenthesen aufstauen.

Literarisches Blingbling

Um den überladenen Plot wieder flott zu bekommen, überzeichnet Haratischwili ihre Figuren. In einem überdrehten belletristischen Method Acting übt Katze ihre Rolle ein, umgeben von großspurigen Gestalten, hochtemperierten Superhelden und fiesen Knallchargen, die wie in einem James-Bond-Film von einer effektvollen Location zur anderen geschleust werden: antike Dramenschauplätze, Dostojewski, Moskau, Berlin, Venedig, Marokko bis zum High Noon mit russischem Roulette in den Bergen des Kaukasus.

Doch gerade im Außerordentlichen lauert das Klischee. Was in früheren Romanen der Autorin als unbändige Fabulierlust gepriesen wurde, klingt hier grell und forciert, als gelte es, die eklatanten Glaubwürdigkeitslücken und Gestaltungsschwächen zu übertönen. Je deutlicher die Künstlichkeit der Sühnehandlung zutage tritt, desto schwerer wird die wacklige Konstruktion mit Genreelementen behängt. Unfreiwillig wird der Roman dem überladenen Stilprinzip immer ähnlicher, das man mit dem neureichen Bombast jener Kreise verbindet, deren Soziogenese Haratischwili erzählt. Literarisches Blingbling – vielleicht ist das die bitterste Pointe.

„Die Katze und der General“ ist weder der beste Roman seiner Autorin noch einer der besten deutschsprachigen Romane des Jahres. Er ist weniger Roman als Plan. Dass er auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelandet ist, verdankt sich einzig dem diesjährigen Gastland der Buchmesse Georgien. Dessen Autoren standen hierzulande zumeist im Schatten Nino Haratischwilis. Eine gute Gelegenheit, endlich daraus hervorzutreten.

Nino Haratischwili: Die Katze und der General. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt. 750 Seiten, 30 Euro.