Ein paar Tonnen Sand verwandeln den Vaihinger Marktplatz seit einigen Jahren regelmäßig in eine Piazza. Das lokale Strandleben während der Sommerferien ist als bürgerschaftliche Initiative kein Selbstläufer.

Vaihingen/Enz - Die Sonne ist da – ab an den Strand! Ein kleiner Steppke, geschätztes Alter: zweieinhalb, stapft mit Sonnenmütze und nackten Beinchen durch den Sand. In der rechten Hand hat er einen Eimer, links ein Schäufelchen. Er bleibt stehen: Das Bauprojekt von drei älteren Kindern hat sein Interesse geweckt. Hier wird eine Rinne gegraben, mit der Wasser unter einer Sandburg durchgeleitet werden soll – quasi eine Art Sandburg 21.

 

Doch da dräut ein Konflikt. Ein etwa vierjähriger Bub interessiert sich stark für das Schäufelchen unseres Steppkes und beginnt, daran zu zerren. Noch bevor es zur Eskalation kommt, schreitet die Oma ein. „Komm, wir holen ein Eis“, ruft sie, nimmt den sandelnden Steppke bei der Hand und steuert die Strandbar an.

Szenen wie diese spielen sich im Sommer täglich hundertfach ab, am Mittelmeer – oder auf dem Vaihinger Marktplatz. Hier verbreitet das Bürgerprojekt „Vaihinger Strandleben“ seit vielen Jahren Mittelmeerstimmung. Der Löwenbrunnen fungiert als Wasserquelle, der Sand belebt die kindliche Fantasie und regt den Spieltrieb an – und rings herum sitzen Eltern oder Passanten, lesen ein Buch, trinken einen Kaffee oder essen etwas. Der Marktplatz wird zur Piazza, das übrigens sehr zur Freude der örtlichen Einzelhändler.

Die Gastronomen profitieren

Das Projekt ist auch eine Art Sozialexperiment: Was passiert, wenn man 200 Tonnen Sand auf den zentralen Platz einer schwäbischen Kleinstadt schüttet, garniert mit Liegestühlen und Sonnenschirmen? Die Antwort ist simpel: Das Strandleben ist viel mehr als die Summe seiner Sandkörnchen. Anders formuliert: mit dem Strand kehrt plötzlich und unvermutet südländische Gelassenheit in die schwäbische Kleinstadt an der Enz ein. Zunächst mal ist der Stadtstrand natürlich ein Paradies für Kinder. Hier wird gebuddelt, gebaut, rund um den gefüllten Marktplatzbrunnen wird gewässert, gewackelt und gewirbelt, dass es den Erwachsenen eine Freude ist zuzusehen.

Eine helle Freude haben auch die Gastronomen. Das Strandleben füllt die Zuschauerränge ihrer Außenbewirtung so gut, dass sie über die damit einhergehende Konkurrenz – die mobile Strandbar, die ein Gastronom während der Aktion aufgebaut hat – locker hinwegsehen können.

Vor allem am Wochenende, aber auch wochentags am Nachmittag, sind praktisch alle Tische besetzt, etliche Hefeweizen und Dönerboxen, süße Crêpes und Limonaden werden konsumiert.

Als Sinnbild der südländischen Gelassenheit gilt Thomas Hitschler. Seine Frau Ulrike Schmidt-Hitschler ist als Ideengeberin des Vorhabens bekannt. Er selbst verbringt regelmäßig seinen Jahresurlaub auf dem Marktplatz, sitzt im Liegestuhl, liest, plaudert, genießt die Sonne und den Trubel im Herzen der Stadt. Neuerdings verfügt er dafür über einen eigenen Liegestuhl, der ihm anlässlich seines Ruhestandes geschenkt wurde.

5000 Euro für 300 Quadratmeter

Doch das Strandleben verändert nicht nur die Haltung der Bürger im öffentlichen Raum. Es belebt auch das städtische Kulturleben. Der Terminkalender der Bühne am Sandstrand ist prall gefüllt. Zumba, Konzerte, ökumenische Gottesdienste: der Strand ist als Location für vieles ideal.

Was die Wenigsten heute noch wissen dürften: seinen Ausgangspunkt hatte der Stadtstrand in der Vaihinger Kulturaktion mit dem kuriosen Namen „Nigihaven na der Zen“ im Jahr 2001. Zur Jahrtausendwende hatte der Verein KulturRaum Stuttgart die Idee gehabt, die Städte im Ballungsraum Stuttgart mit besonderen Aktionen neu zu beleben. Die Einwohner sollten wieder lernen, ihre Stadt unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Der Vaihinger Ableger war von einer lokalen Gruppe ausgeheckt worden. Aus Vaihingen an der Enz wurde dann der imaginäre Küstenort Nigihaven na der Zen. Mancher Vaihinger erinnert sich heute noch gerne an die „Havenbar“ in einer ehemaligen Apotheke. Geblieben ist heute lediglich der Stadtstrand, der aber bis heute Groß und Klein zu begeistern vermag.

Dabei ist es keineswegs selbstverständlich, dass es Jahr für Jahr während der Sommerferien diese rund 300 Quadratmeter große Sandkiste gibt. Etwa 5000 Euro müssen die Macher dafür aus Spenden einsammeln, um den Aufwand, insbesondere das Mobiliar, finanzieren zu können. In der Ausgabe für dieses Jahr hat sich dabei leider wieder eine düstere Begleiterscheinung des Strandes gezeigt: Unbekannte hatten einige Sonnenschirme nachts mit roher Gewalt zerstört, die Strandleben-Macher erstatteten Anzeige gegen Unbekannt. Schwierig ist es zudem auch jedes Jahr, genügend ehrenamtliche Helfer zu finden, die abends oder früh morgens den Sand von allerhand Unrat befreien.

Beim eingangs erwähnten Steppke ist das zum Glück kein Problem. Kurz vor dem Abschluss seines Eisgenusses rutscht ihm seine Waffel aus der Hand und landet im Sand. Doch hier ist kein Putztrupp nötig. Die Oma beseitigt die Spuren sofort.