Die unterschiedlichen Ansichten zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in Kinderheimen der Brüdergemeinde drohen die Gruppe der Betroffenen zu entzweien. Denn die Opferhilfe, eine Unterstützergruppe aus Korntaler Bürgern, organisiert ein eigenes Treffen für Betroffene – was vor allem den Sprechern der IG Heimopfer nicht gefällt, die die Aufarbeitung will.

Korntal-Münchingen - Sie waren einst gemeinsam angetreten, um die zu unterstützen, die zwischen den Fünfziger Jahren und 2000 in einem Kinderheim der Brüdergemeinde Korntal missbraucht worden sind. Doch von Gemeinsamkeit ist nur noch wenig übrig, stattdessen prägen Streit und gegenseitige heftige Vorwürfe das Verhältnis der Interessengemeinschaft (IG) Heimopfer und der Opferhilfe (OH) zueinander. Das gipfelte nun in der Absage des nächsten Opfertreffens – aber nur seitens der IG. Die Opferhilfe, ein Bund von Korntaler Bürgern, hält an dem Termin fest.

 

Hinter dem Streit stehen die unterschiedlichen Ansichten über den Aufarbeitungsprozess unter der Leitung der Professorin Mechthild Wolff. Der Opferhilfe geht dieser zu langsam voran. Der Initiator Peter Meincke verweist auf eine Liste auf der OH-Internetseite, in der man auf offene Punkte hinweise, darunter auch die Frage nach der Unabhängigkeit und der Finanzierung der Beteiligten. Auf der Liste wird aber auch die Befürchtung geäußert, dass die Steuerungsgruppe – Wolff sowie Vertreter der Brüdergemeinde und der Heimopfer – die Zahl der zu untersuchenden Fälle niedrig halten will, um schneller fertig werden zu können. „Und man will gar nicht nach der Ursache suchen“, kritisiert Meincke. Es müsse geklärt werden, wie das Kinderheim versagen konnte und wie man eine Wiederholung verhindern könne.

Er wirft den Heimopfern in der Steuerungsgruppe – sie koordiniert die Aufarbeitung – zudem vor, zu wenig nach außen zu kommunizieren. Viele Betroffene würden sich deshalb an die Opferhilfe wenden. Den Streit bezeichnete er als „Ablenkungsspielchen“. Für Ulrich Scheuffele, einen OH-Sprecher, stecken dahinter die Brüdergemeinde und Wolff, die keine Kritiker wollten.

Für Mechthild Wolff sind die Vorwürfe „großer Unfug“. Es bestehe die Gefahr, dass viele Betroffene retraumatisiert würden, weil sie sich wieder bevormundet fühlen könnten. Die OH frage überhaupt nicht, wie sie helfen könne, sagte die Professorin, die erneut auf ihre Unabhängigkeit pochte.

Schärfer formuliert es Detlev Zander, einer der IG-Sprecher. „Die Opferhilfe macht immer mehr Dinge, die wir nicht akzeptieren können.“ Ohne Rücksprache seien Gäste eingeladen worden, die über ihre Missbrauchserfahrungen in anderen Heimen und die Arbeit in Selbsthilfegruppen berichten sollen. Der 54-Jährige spricht sich vor allem gegen eine Frau aus, weil diese schon deutlich geäußert habe, dass sie den Aufarbeitungsprozess unter Leitung von Mechthild Wolff völlig ablehne.

Zudem würden immer wieder Gerüchte und falsche Behauptungen gestreut. Etwa, dass die drei Opfervertreter in der Steuerungsgruppe bereits entschädigt worden seien. Oder dass Wolff nicht fähig sei, regt sich Zander auf. Als Folge habe er das Treffen am 1. August abgesagt, es soll nach den Ferien – wenn auch vielleicht noch mehr Betroffene Zeit hätten – einen neuen Termin geben. „Wir haben uns von der Opferhilfe distanziert“, wiederholt er sein Zitat, das schon im Streit um den Infostand beim Kirchentag gefallen war. Damals hatte die Opferhilfe moniert, dass dieser keine Präsentation mehr nur der Heimopfer sei, sondern auch die Brüdergemeinde vertreten sei.

Ganz so verfahren sehen die Vertreter der Opferhilfe die Situation derzeit nicht. Sie wollen an ihrer Hilfe und an dem Treffen von Betroffenen – diesmal ohne Vertreter der Brüdergemeinde, der Presse und von Wolff – festhalten. Die Einladung der Gäste sei zwar tatsächlich nicht abgesprochen gewesen, man hätte deren Präsentationen aber in einem anderen Raum parallel machen können, sagt Ulrich Scheuffele. Zander habe aber abgesagt, weil er Kritik an sich und an dem Aufarbeitungsprozess absolut nicht wolle.

Kritik sei ja gut, sagt Mechthild Wolff – aber die Opferhilfe bringe derzeit keine Inhalte ein. Sie habe ihr bisher nur Vorschriften gemacht. Die Dynamik, die der aktuelle Streit bekommen habe, sei ungut. Denn man sei mit dem Aufarbeitungsprozess schon weit gekommen und gestalte diesen transparenter als vergleichbare Fälle. Würde sich die eine Seite nun entzweien, sei das eine verpasste Chance.

Kommentar „Wenig hilfreich“

Kritik ist gut und richtig – aber sie muss fundiert und ehrlich gemeint sein. Kritik übt vor allem die Opferhilfe zurzeit deutlich. Es hat aber den Anschein, dass sie nur durch wenig Fakten gestützt ist, sondern dass es vor allem Gerüchte und Vorwürfe hagelt und gegenseitig die jeweilige Legitimation infrage gestellt wird. Ob persönliche Motive dahinterstecken, um die Brüdergemeinde nachhaltig zu schädigen, bleibt unklar, denn auch dazu gibt es nur Behauptungen.

Hilfreich für die Aufarbeitung ist das nicht, denn es ist ein unnötiges Störfeuer in einem ohnehin schon komplexen Prozess. Das gilt auch für Parallelveranstaltungen, will man nicht in den Konkurrenzkampf darüber treten, wer die Heimopfer besser vertritt. Gewiss, auch die IG Heimopfer hat in ihrer Kommunikation Fehler gemacht, und etwa mit ihrer Distanzierung von der Opferhilfe zu emotional reagiert. Wundern muss sich die Opferhilfe aber nicht, dass sie nicht mehr vorrangig informiert wird.

Alle sollten dringend zu einem klärenden Gespräch zusammenkommen. Denn der Streit dient letztlich keinem, der eigentlich auf Seiten der Opfer steht.