Mehrere Familien in der Gemeinde hat in den vergangenen neun Jahren ein schlimmes Schicksal ereilt: Vier Kinder sind an Krebs erkrankt. Weil das statistisch gesehen auffällig ist, wird mit diesen Schicksalen jetzt Politik gemacht – zurecht?

Eschenbach - Soll im Göppinger Müllheizkraftwerk künftig mehr Müll verbrannt werden, wie es der Betreiber fordert? Diese Frage beschäftigt seit mehr als zwölf Monaten nicht nur die Kreisräte, die im Oktober darüber entscheiden müssen, sondern auch die Bürger.

 

Im Moment sieht es nach einer Abstimmung im Umweltausschuss so aus, als würde der Betreiber seinen Willen kriegen – zum Verdruss vieler Bürger. Zur Unzufriedenheit mit den Politikern kommt jetzt bei vielen noch echte Angst. Denn in den vergangenen Wochen hat sich herumgesprochen, dass in Eschenbach, der Gemeinde, die dem Kraftwerk am nächsten liegt, die Zahl der Kinderkrebserkrankungen auffällig hoch ist.

Vortrag des Gesundheitsamtes mit unerwarteten Folgen

Bekannt wurde das durch einen Vortrag des Landesgesundheitsamtes während des Bürgerinformationsprozesses zum Müllheizkraftwerk. Eigentlich war es darum gegangen, darzulegen, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass das Kraftwerk Erkrankungen verursacht hätte. Denn es gebe keine erhöhten Krankheitsfälle im Landkreis – bis auf Auffälligkeiten „in einer Voralbkommune“.

Doch auf der Straße wird inzwischen kolportiert, Politik und Medien würden vor den Bürgern geheimhalten, dass Abgase des Müllheizkraftwerks Krebs bei Kindern verursacht hätten. Tatsächlich scheint der Fall ein Paradebeispiel dafür zu sein, wie das Misstrauen vieler Bürger gegenüber Politikern auf die Sorge vieler Amtsträger prallt, das Fakten falsch gedeutet werden könnten, weshalb sie lieber schweigen statt aufzuklären – mit dem Ergebnis, dass am Ende noch wesentlich mehr Aufregung herrscht.

Die bisher bekannten Fakten sehen so aus: In dem 2200-Seelen-Dorf Eschenbach sind in den vergangenen neun Jahren vier Kinder an Krebs erkrankt. Statistisch gesehen dürfte dort nur alle 18 Jahre ein Fall vorkommen. Das hat dazu geführt, dass Eschenbach im deutschlandweiten Kinderkrebsregister die Plätze 178 und 172 bei Krebserkrankungen und Leukämie von Kindern belegt – von rund 11 000 Kommunen. Ein erschreckender Spitzenplatz.

Gemeinde untersucht mögliche Ursachen

Doch wie die stellvertretende Leiterin des Kinderkrebsregisters, Claudia Spix, erklärt, ist das alleine noch kein Grund für Aufregung. Tatsächlich seien immer kleine Gemeinden auf den oberen Plätzen des Registers, während größere Städte eher im Mittelfeld zu finden seien. Der Grund: „In einer kleinen Gemeinde kann schon ein einziger Fall eine statistische Verdopplung bedeuten. In einer großen Stadt dagegen gehen Einzelfälle in der Masse unter.“ Als Beispiel führt Spix mehrere fiktive benachbarte Dörfer an. Für die Gesamtbevölkerung fällt statistisch gesehen ein Krebsfall alle paar Jahre an. Das Dorf, in dem dieser Fall auftritt, liegt statistisch über dem Durchschnitt, die anderen darunter.

Auf die leichte Schulter nehmen Verwaltung und Landesgesundheitsamt die Erkrankungen dennoch nicht. Die Gemeinde ist in Absprache mit der Behörde dabei, mögliche Ursachen zu untersuchen, etwa die Frage, ob es Schadstoffe in Schulen oder Kindergärten gibt. Am 16. Oktober soll der Gemeinderat in einer nichtöffentlichen Sitzung informiert werden. Weitere Hintergründe waren aus Eschenbach bisher nicht zu erfahren. Der Bürgermeister Thomas Schuster ist zurzeit im Ausland im Urlaub. Die Gemeindeverwaltung gibt keine Auskunft aus Sorge, Informationen könnten verzerrt wiedergegeben werden. Aus dem Rathaus ist zu hören, dass ein Bericht in der Lokalzeitung viele besorgte Anrufe von Bürgern zur Folge gehabt habe.

Keine Auffälligkeiten bei Erwachsenen

Im Gesundheitsministerium in Stuttgart weiß man erst seit kurzem von den Auffälligkeiten. Die Behörde gleicht nun Daten ab, um zu prüfen, wie signifikant die Zahlen tatsächlich sind. Das werde zwar noch dauern, sagt eine Sprecherin. Klar sei aber schon jetzt, dass es bei den Erwachsenen keine statistisch relevante Erhöhung der Erkrankungen gebe. Außerdem zeichne sich ab, dass es auch in den umliegenden Orten keine erhöhten Erkrankungsraten bei Kindern oder Erwachsenen gebe. Die Zahlen seien aber noch nicht vollständig geprüft. Solange noch nicht klar sei, ob man von einer normalen Schwankung innerhalb der Statistik sprechen müsse, oder ob es eine signifikante Erhöhung gebe, werde das Ministerium nicht über mögliche Ursachen der Erkrankungen spekulieren.

Die Reaktion aus Stuttgart passt zu Spix Erfahrung: „Nachdem so ein Fall aufgetreten ist, findet sich fast immer etwas, mit dem man die Erkrankungen in Zusammenhang bringt. Sei es ein Müllheizkraftwerk oder ein Truppenübungsplatz oder eine Fabrik oder etwas anderes.“ Tatsächlich aber sei in den seltensten Fällen nachweisbar, woher die Erkrankungen wirklich stammten. Speziell Leukämie habe in der Regel ohnehin eher genetische Ursachen.

Heftige Kritik der Stadt Göppingen an Kreisräten

Die Empfehlung des Umweltausschusses an den Göppinger Kreistag, einer Erhöhung der Durchsatzmengen im Müllheizkraftwerk zuzustimmen und den Vertrag mit dem Betreiber EEW bis mindestens 2028 zu verlängern, hat in der Stadt Göppingen Empörung ausgelöst. Der Ausschuss hatte am Dienstag bei zwei Gegenstimmen (Grüne) und einer Enthaltung (FDP) für die vom Betreiber gewünschte Erhöhung auf 180 000 Tonnen im Jahr gestimmt. Bekanntlich hatte die Gemeinderatsfraktion der Freien Wähler die Idee ins Spiel gebracht, das Kraftwerk zu rekommunalisieren und von der Energieversorgung Filstal betreiben zu lassen. Die Kreisverwaltung hatte argumentiert, man brauche Zeit, das zu planen und müsse deshalb zunächst den Vertrag verlängern. Doch viele Stadträte sowie der Oberbürgermeister Guido Till bezweifeln, dass dafür tatsächlich so viel Zeit nötig ist.