2007 wurde in Heilbronn die Polizistin Michèle Kiesewetter ermordet. Der NSU-Untersuchungsausschuss in Thüringen äußert Zweifel an der These, dass Kiesewetter zufällig zum Opfer von Rechtsextremisten wurde.

Stuttgart - Der zweite NSU-Untersuchungsausschuss im Thüringer Landtag bezweifelt, dass die am 25. April 2007 in Heilbronn ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter ein bloßes Zufallsopfer war. Das geht aus dem mehr als 2000 Seiten starken Abschlussbericht des Gremiums hervor, das über vier Jahre lang tagte. Die Erfurter Abgeordneten sehen „diverse Anhaltspunkte“, die zu einer weiteren Aufhellung des Falles beitragen könnten. Der Ausschuss verweist unter anderem auf mögliche Verbindungen zur rechtsextremen Szene im privaten Umfeld der aus Thüringen stammenden Polizistin.

 

So war etwa der Onkel von Kiesewetter als Staatsschutzbeamter mit Ermittlungen im rechtsextremen Milieu befasst. Die ehemalige Lebensgefährtin des Onkels heiratete später einen Mann, in dessen Sicherheitsfirma mehrere Rechtsextremisten arbeiteten. Der erste NSU-Ausschuss im Stuttgarter Landtag war ebenfalls auf diese Verwicklungen gestoßen, hatte sich aber eine weitere Aufklärung durch das Erfurter Pendant erhofft.

Beschränkter Zugang zu Akten aus Baden-Württemberg

Auch Verstrickungen von Neonazis aus Thüringen und Baden-Württemberg und mögliche Bezüge zur organisierten Kriminalität werden in dem Bericht genannt. So konnte der Erfurter Ausschuss die Rolle des aus Marbach am Neckar stammenden Jug P. nicht klären, der zeitweise in der Thüringer Neonaziszene aktiv war und einen Kameraden dort mit Waffen versorgte. Der Ausschuss geht davon aus, dass sich Jug P. und das spätere NSU-Mitglied Uwe Mundlos vor dessen Untertauchen kannten. Heute bewegt sich P. im Umfeld von Rockergruppierungen und der Türsteher-Szene in Baden-Württemberg.

Der Ausschuss konnte die Heilbronner Tat allerdings nur eingeschränkt unter die Lupe nehmen. Da die Parlamentarier laut Gesetz lediglich Behördenhandeln mit Bezug zu Thüringen untersuchen dürfen, hatten sie nur bedingt Zugang zu Akten aus Baden-Württemberg. Erschwerend hinzugekommen sei der „erhebliche Umfang des Beweisthemas“. Die Abgeordneten können daher nach eigener Aussage „nur Anregungen zur Tataufklärung“ geben.

„Netzwerk militanter Neonazis“

Im Juli 2018 wurde Beate Zschäpe vom Münchner Oberlandesgericht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Als Motiv für den Kiesewetter-Mord durch die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatte Zschäpe im Prozess zunächst die Beschaffung von Waffen angegeben. Kurz darauf hatte Zschäpe jedoch Zweifel daran geäußert, dass es Mundlos und Böhnhardt in Heilbronn nur um die Dienstpistolen der Polizisten gegangen sei.

Entgegen des Urteils im Münchner NSU-Prozess handelte es sich nach Ansicht des Thüringer Ausschusses beim NSU nicht um eine Zelle, sondern um ein „Netzwerk militanter Neonazis“. Aus Akten und Zeugenaussagen schließen die Abgeordneten, dass zum Unterstützernetzwerk der Gruppe mehrere Dutzend Personen gehörten. So könnten Listen mit rund 10000 Namen möglicher Anschlagsziele nur auf einer Zuarbeit weiterer Personen beruhen. Nach Informationen unserer Zeitung standen auch Politiker aus Baden-Württemberg, darunter der heutige Innenminister Thomas Strobl, auf einer solchen Liste.