„Gynäkollege“ auf Instagram „Ich begegne der Scham meiner Patientinnen mit Humor“
Gynäkologe Mertcan Usluer nutzt Instagram, um über weibliche Gesundheit aufzuklären und Tabus zu brechen. Vor allem seine direkte Art kommt bei den Followern gut an.
Gynäkologe Mertcan Usluer nutzt Instagram, um über weibliche Gesundheit aufzuklären und Tabus zu brechen. Vor allem seine direkte Art kommt bei den Followern gut an.
Der Gynäkologe Mertcan Usluer tritt mit seinem Account Gynäkollege in den Sozialen Netzwerken auf, um über weibliche Gesundheit und Sexualität aufzuklären und Missstände in der Medizin anzuprangern. Dabei kommt vor allem seine direkte, humorvolle Art bei den Followerinnen und Followern gut an.
Herr Usluer, Sie arbeiten als Arzt in der Gynäkologie. Für viele Frauen ist der Besuch beim Frauenarzt ein zwar notwendiger, aber auch unangenehmer Besuch. Wie nehmen Sie Ihren Patientinnen die Scham?
Indem ich die Scham ernst nehme, aber nicht zu ernst. In der Gynäkologie ist Humor manchmal das beste Lokalanästhetikum. Viele Patientinnen kommen mit Scham, weil sie gelernt haben, dass ihr Körper „peinlich“ oder „kompliziert“ ist. Ich versuche, das zu entgiften – durch Normalität. Wenn jemand beim Ausziehen sagt: „Oh Gott, ich hab mich nicht rasiert“, antworte ich: „Ich hab mich auch nicht rasiert, also sind wir quitt.“ Medizin muss sich nicht mehr starrer Machtdiskrepanzen und patriarchalen Hierarchien bedienen. Begegnung auf Augenhöhe ist die beste Therapie gegen Scham.
Nach wie vor gibt es viele Tabus, wenn es um den weiblichen Körper geht. Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, diese Tabus zu brechen?
Weil Tabus krank machen. Wenn Menschen nicht wissen, was normal ist, suchen sie zu spät Hilfe oder gar nicht. Das Patriarchat hat jahrhundertelang den weiblichen Körper kontrolliert, sexualisiert oder verschwiegen – von der „Hysterie“ und der „wandernden Gebärmutter“ bis hin zur „Entdeckung“ der Klitoris. Es wird Zeit für Forschung, Aufklärung und Behandlung ohne Tabus.
Warum klären Sie in den Sozialen Netzwerken über medizinische Themen auf?
Aufklärung muss da stattfinden, wo Menschen sind – und das ist heute nicht mehr im Wartezimmer, sondern auf dem Handy. Ich sehe Social Media als verlängertes Sprechstundenzimmer. Gleichzeitig gehört wissenschaftliche Aufklärung nicht nur in elitäre Vorlesungssäle und Fachzeitschriften, sondern auch dorthin, wo alle Bildungsniveaus, alle sozialen Schichten und Personengruppen Zugang dazu haben.
Früher gab es die Zeitschrift Bravo und die Aufklärung von „Dr. Sommer“ – heute werden junge Menschen im Internet mit Informationen überschwemmt und es ist schwierig zu unterscheiden, was seriös ist und was nicht. Sehen Sie sich als eine Art moderner Dr. Sommer?
Vielleicht eher ein Dr. Sommer, der selbst Teil des Inhalts ist. In der Bravo-Zeitschrift konnte man wenig über den Arzt, der die Fragen beantwortet, erfahren. Ich hingegen zeige mein Gesicht und meine echte Reaktion auf intersektionale, wissenschaftliche und körperpolitische Fragen unseres Gesundheitssystems. Das ist nicht immer möglich, ohne dass ich mal traurig, wütend oder überfordert damit bin, und das schafft Nähe. Ich bin kein zweiter Dr. Sommer, ich bin Dr. Mertci.
In den Sozialen Netzwerken tummeln sich viele Menschen, die angeblich über medizinische Themen aufklären wollen, aber noch keine fertigen Ärzte mit Erfahrung sind, beziehungsweise überhaupt keine medizinischen Kenntnisse haben. Warum ist das gefährlich? Warum greifen Sie einige dieser Videos auf und beziehen dazu Stellung?
Reichweite ist kein Ersatz für Qualifikation. Wenn Menschen glauben, man könne mit Zitronensaft verhüten oder Endometriose mit Kräutertee heilen, dann ist das nicht harmlos – das ist potenziell schädlich. Ich greife solche Videos auf, weil ich will, dass Menschen lernen, zwischen Meinung und Medizin zu unterscheiden.
Sie wählen in Ihren Videos eine sehr direkte Ansprache, kritisieren und vertreten eine klare Meinung. Wie reagieren Ihre Kollegen und Kolleginnen aus dem Krankenhaus darauf?
Unterschiedlich. Manche sagen: „Endlich spricht das jemand aus!“ – andere eher: „Muss das so laut sein?“ Ich glaube, viele wissen, dass ich es aus Überzeugung mache. Aber Medizin war schon immer ein Feld mit starken Hierarchien. Wenn da jemand den weißen Kittel öffnet und sagt: „Hey, das System ist unfair“, dann kratzt das am Status quo. Vor allem, wenn jemand mit meiner Herkunft und mit meinem Aussehen ein System kritisiert, in dem ich nie willkommen war. Aber das ist okay – Veränderung kratzt immer zuerst, bevor sie heilt.
Sie bezeichnen das Gesundheitssystem als unfair. Was sind Ihrer Meinung nach die schlimmsten Missstände, die geändert werden müssten? Und wie?
Wie viel Zeit habe ich, um diese Frage zu beantworten? Menschen mit wenig Geld, Migrationsgeschichte, queerer Lebensrealität oder Behinderung werden statistisch bewiesen schlechter behandelt, in der Forschung übersehen oder ignoriert. Wir haben ein Gesundheitssystem, das Krankheit verwaltet, statt Gesundheit zu fördern – und das sich an Profit, nicht an Patienten- und Patientinnenwohl orientiert. Und eine Wissenschaft, die weiße Cis-Männer als „Norm“ sieht und alles andere vernachlässigt. Ich wünsche mir weniger Abrechnungscodes und mehr Begegnung, weniger Hierarchie, mehr Menschlichkeit. Und dass wir endlich begreifen: Medizin ist politisch. Wer Körper behandelt, darf die Gesellschaft nicht ignorieren, die sie krank macht.
Werdegang
Mertcan Usluer arbeitet in der Geburtshilfe und Gynäkologie am EVK Klinikum Köln Weyertal. Zusätzlich arbeitet er als Freier Journalist und Content Creator. Auf Instagram folgen seinem Account Gynäkollege rund 334000 Follower und Followerinnen. Mit der Stuttgarter Hebamme Cathi Kaiser nimmt er den Podcast Gynäkollegis auf.