„Massive Qualitätsmängel“ sehen die Ersatzkassen bei Krankenfahrdiensten im Land. Die Konsequenz: sie kündigen alle Verträge. Künftig soll der Rettungsdienst die Fahrten übernehmen. Das zuständige Ministerium weiß von nichts.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Krankenhäuser und Patienten in Baden-Württemberg stehen vor einem massiven Umbruch bei Krankenfahrten. Die Zukunft der privaten Fahrdienste, die seit Jahren Tausende von gehbeschränkten Menschen zur Behandlung in die Klinik oder nach einem Krankenhausaufenthalt nach Hause bringen, wird durch einen Ausstieg mehrerer Krankenkassen infrage gestellt. Zum Jahresende hat der Verband der Ersatzkassen (VDEK), zu dem etwa Barmer und DAK gehören, die Verträge mit allen Anbietern im Südwesten gekündigt. Künftig sollen die Fahrten, bei denen keine medizinische Betreuung notwendig ist, wieder über den Rettungsdienst abgewickelt werden.

 

Entsprechende Informationen unserer Zeitung bestätigte die Leiterin der VDEK-Landesvertretung, Biggi Bender. Als Grund für die Kündigung nannte Bender „massive Qualitätsmängel“ und zum Teil unerträgliche Missstände; es habe „Beschwerden gehagelt“. Durch den Umstieg solle die Qualität wieder gestärkt werden. „Wir wollen nicht billig, sondern gut“, sagte die Kassenfunktionärin und frühere Grünen-Politikerin. Bereits seit Jahresbeginn erhielten die Rettungsdienste eine erheblich verbesserte Vergütung, um Fahrzeuge und Personal für die Krankenfahrten bereitzustellen. Damit sollen lange Wartezeiten vermieden werden, wie sie früher oft vorkamen.

Sozialministerium gibt sich ahnungslos

Die angeführten Qualitätsmängel kommen nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern offenbar auch für die Politik überraschend. Solche Probleme bei den Krankenfahrten seien „nicht bekannt“, heißt es im Stuttgarter Sozialministerium, das für die Überwachung zuständig ist. Von den Kündigungen durch die Ersatzkassen wisse man ebenfalls nichts. Auch die AOK Baden-Württemberg sieht keinen Anlass für eine „grundsätzliche Kündigung“ von Verträgen mit den Anbietern. Wenn man konkrete Beschwerden erhalte, gehe man diesen im Einzelfall nach.

Bei den Fahrdiensten heißt es, es gebe einzelne schwarze Schafe, aber keine grundlegenden Probleme. Der landesweit tätige Krankenfahrdienst Schwaben sagt, man habe seit 2011 eine halbe Million Passagiere ohne größere Zwischenfälle befördert. Viele Patienten seien durch die Kündigung verunsichert und erwögen, nun die Krankenkasse zu wechseln.

Drittel der Mitarbeiter gekündigt

Die Firma hat bereits einem Drittel ihrer 150 Mitarbeiter gekündigt. Neben ihr gibt es im Land zahlreiche regionale Fahrdienste. Sorgen gibt es auch bei Krankenhäusern. Das Klinikum Karlsruhe berichtet, man spüre „erste Auswirkungen“ der Kündigung; für November sei ein Gespräch mit AOK und Rettungsdiensten geplant. Bei der Regionale Kliniken Holding in Ludwigsburg werden „massive Engpässe“ durch den Umstieg befürchtet. Mit den Fahrdiensten habe man bei jährlich 6000 Transporten gute Erfahrungen gemacht, sagte ein Sprecher. Sie seien eine wichtige Entlastung für die stark strapazierten Rettungsdienste. Angesichts der Probleme bei den Rettungsfristen und der aktuellen Personalnot bei Rettungssanitätern sollten sich diese nicht auch noch mit Krankenfahrten beschäftigen.

Das Deutsche Rote Kreuz begrüßte dagegen die Kündigung der privaten Fahrdienste. Man sei „zuversichtlich, die zusätzlichen Einsätze zu bewältigen“, sagte ein Sprecher des DRK-Landesverbandes. Dank der höheren Vergütung könne man dafür mehr Personal und Fahrzeuge bereitstellen. Allerdings sei noch unklar, wie groß der Bedarf sein werde.