Inmitten lauter schlechter Nachrichten in Europa gibt es auch gute. Irland scheint sich von der Fastpleite zu erholen – dank Spardisziplin, einem unschlagbaren Steuermodell und gut ausgebildeter Arbeitskräfte. Drei Beispiele.

Dublin - Du bist verrückt“, haben ihr die Kollegen in der Firma gesagt und versucht, sie zum Bleiben zu überreden. „Du wirst unglücklich“, sorgte sich ihr australischer Partner, der immer nur das Beste für sie wollte. „Deine Heimat ist ein deprimierendes schwarzes Loch, in dem du versinken wirst“, warnten die Freunde.

 

Keiner konnte es fassen, als sich die junge Irin Ashley O’Toole entschied, ihren lila Koffer ein zweites Mal zu packen und alles hinter sich zu lassen, wofür sie so lange gekämpft hatte – einen festen Job in Melbourne, ein Haus, hinter dem die Hühner picken, ein unbefristetes Visum. Die 27-Jährige Umweltberaterin wollte aus dem Auswandererparadies zurück in einen Pleitestaat, von Australien heim nach Dublin, direkt in die Rezession. In ein Land voller Bauruinen, den Relikten eines Immobilienbooms, der in einer Katastrophe mündete und viele Iren mit erdrückenden Schulden zurückließ. In ein Land mit fast 15 Prozent Arbeitslosigkeit, auf Platz vier in Europa, hinter Griechenland, Portugal, und Lettland. In ein Land, das jeden Monat Tausende in die Flucht treibt. So viele, dass die „Irish Times“ auf ihrer Homepage die Rubrik „Generation Auswanderer“ eingerichtet hat.

Bereut hat sie es keinen Moment. Ashley O’Toole, lila Chiffonkleid bis zum Knie, lila Lidschatten, lila Schirm, nippt im Nebenzimmer eines Dubliner Pubs an ihrem Weißwein und strahlt. „Vergiss das Geld, vergiss den Wunsch nach Sicherheit“, sagt sie, „ich hatte einfach Heimweh.“ Und etwas Glück. Von den 60 Bewerbungen, die sie im Frühjahr an alle irischen Firmen schickte, die etwas mit Umweltdienstleistungen zu tun haben, schrieben etliche freundliche

Ermunterungen zurück. Drei baten sie zu einem Bewerbungsgespräch, eine gab ihr eine Stelle – gut bezahlt und unkündbar. Ashley O’Toole fährt neuerdings einen Polo Volkswagen, gebraucht, selbstverständlich in einem Lilaton. Sie zog aus dem Haus ihrer Eltern in ein Haus mit anderen jungen Berufstätigen und richtet es dieser Tage ein. „Die Mieten sind Gott sei Dank wieder erschwinglich“, sagt sie, „die Boomjahre des keltischen Tigers waren furchtbar. Es ging nur noch ums Geld, nichts anderes zählte mehr.“

Es geht wieder bergauf

Die Insel mit ihren gerade mal viereinhalb Millionen Einwohnern fängt an, sich zu erholen – langsam, aber spürbar. Das ist die gute Nachricht inmitten der vielen schlechten in Europa. Während der freie Fall der Griechen kein Ende zu haben scheint, sind die Iren hart aufgeschlagen, nun aber wohl wieder auf dem Weg nach oben. Das Land, das als Zweites unter den Euro-Rettungsschirm schlüpfte und 2010 mit 85 Milliarden Euro vor dem Bankrott bewahrt wurde, könnte dank strikter Haushaltsdisziplin aus dem Gröbsten raus sein.

Die Wirtschaft legt zu, auch wenn es 2012 wohl nur ein halbes Prozent sein wird. Die Neuverschuldung, 2010 mit 32 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung einsame Spitze in Europa, ist auf prognostizierte 8,3 Prozent für das aktuelle Jahr gedrückt worden. Als Irland neulich auf dem Kapitalmarkt frisches Geld brauchte und Staatsanleihen versteigerte, erlöste das Dubliner Finanzministerium 500 Millionen Euro. Das Vertrauen in die Genesung der Wirtschaft wächst.

Im Teletubby-Land wird eingestellt

Der Aufschwung ist da, das grüne Wunder möglich – das zeigen die Zahlen und das zeigen die Geschichten von Ashley O’Toole, der Heimkehrerin, die ihrem Land nach Jahren in Australien eine zweite Chance gab. Von John Farrell, dem Dubliner Restaurantbesitzer, den die sündhaft teure Bankenrettung zu einem erfolgreichen Geschäftsmann gemacht hat. Von Lyam Rian, dem Geschäftsführer von SAP Irland, der einen festen Händedruck hat und ein gläsernes Büro in einem Industriepark, wo es aussieht wie im Teletubby-Land. Der Firmensitz liegt im Westen Dublins zwischen Chipherstellern und dem Onlinedienst AOL, umgeben von sanft ansteigendem Grün, Golfplatz, Wasserspielen und einem Schild, das vor Schwänen warnt, die die Straße kreuzen. Eine Infobroschüre, Hochglanz, stellt die Neuansiedler im Bilderbuchcampus vor und wirbt für die Straßenbahn, die vor Kurzem extra bis Citywest verlängert wurde.

Lyam Riam ist bester Laune, die Zukunft wieder rosarot. Der Irland-Chef des Walldorfer Softwareunternehmens, dem größten in ganz Europa, darf investieren: 110 Millionen Euro, um in den nächsten drei Jahren 250 neue Jobs in der Hauptstadt Dublin und in Galway an der Westküste zu schaffen. Das macht dann gut 1500 SAP-Mitarbeiter auf der Insel. Irlands Trümpfe stechen immer noch, der Manager schwärmt davon. Die unschlagbar niedrige Unternehmenssteuer, sie liegt gerade Mal bei 12,5 Prozent, das Arbeitskräftepotenzial: bestens ausgebildete, hochmotivierte Uniabsolventen, die alles andere als Schlange stehen würden. „Auch Google und Microsoft stellen ein, die Absolventen haben durchaus die Wahl“, sagt der 47-Jährige und hält selbst Gastvorträge an Universitäten, um den Nachwuchs anzuwerben. Mit 29 000 Euro Einstiegsgehalt plus zehn Prozent Bonus geht es bei SAP los. Und während die irischen Staatsbediensteten im Zuge der strengen Troika-Sparauflagen für die Hilfskredite auf fünfzehn Prozent ihres Einkommens verzichten mussten, habe SAP Irland die letzten Jahre keinen Cent Gehalt gekürzt, sagt Lyam Riam. Auch in der Rezession ließen sich IT-Dienstleistungen verkaufen, zumal weltweit die Nachfrage da ist.

Bei jedem Geschäftsabschluss ertönt die Schiffsglocke

Der Manager, der in seiner Freizeit lieber golft als bloggt und keine Lust hat auf ein Profil bei Facebook, lädt ein zur Besichtigung des zweistöckigen Komplexes: Hier ist der Pförtner mit seinen grauen Haaren der älteste, es gibt überall Großraumbüros, kostenloses Mittagessen in der Kantine, und der Tischkicker ist in den Pausen umlagert. Ganz hinten arbeiten die Verkäufer. Wenn einer die goldene Schiffsglocke an der Wand bimmelt, gab es einen Abschluss. Abgeschirmt durch leinenbezogene Trennwände sitzt Katharina Dinse vor zwei Bildschirmen und Pfefferminztee, sie bucht Bestellungen ins System ein. „Zweisprachigkeit ist ein großer Vorteil“, sagt die 29-Jährige aus Frankfurt/Oder. Sie ist ihrem Freund, einem Zimmermann, nach Irland gefolgt und ernüchtert worden, weil er plötzlich keine Aufträge mehr erhielt. Vor dem Platzen der Immobilienblase war die Baubranche lukrativ. Sie trug fast ein Viertel zum Bruttoinlandsprodukt bei, jeder baute, fast alle auf Pump. Mit schier uferlosen Darlehen der Banken, die sich ihr Geld dafür im Ausland holten. Das Ganze ging nicht gut. „Es ist ein Auf und Ab und gerade geht es gut“, sagt Dinse, die froh ist über ihre Festanstellung.

Ein paar Drehstühle weiter hilft eine irische Informatikerin einem französischen Luxusdesigner, seine Datenbankprobleme zu beheben. „Ein Glück, dass ich hier unterkam“, sagt die 25-Jährige und lässt die pinkfarbene Glitzermaus auf ihrem Schreibtisch kurz ruhen, „ich hatte mich überall beworben – sogar bei Mc Donalds.“

Die Exodus der Firmen ist ausgeblieben

Es ist die Exportwirtschaft, die Irland am Leben hält, die den Notfallpatienten beatmet. Das von Schulden geplagte Land verdankt das Plus einzig den multinationalen Firmen. Ein Massenexodus der ausländischen Investoren im Zuge der Krise war das, was Patrick Howlin, Abteilungsleiter bei der staatlichen Wirtschaftsfördergesellschaft IDA Ireland, am meisten fürchtete. Doch die Abwanderung ist ausgeblieben, Irland ist weiterhin beliebt. „2011 war das beste Jahr seit Langem, wir konnten 13 000 neue Arbeitsplätze schaffen“, freut sich Howlin. „Die Rezession hat unsere Wettbewerbsfähigkeit gestärkt.“

Die Krise hat ihre Verlierer: die Entlassenen, die Schuldner, die Kredite für ihre Häuser abbezahlen müssen, die nach den fetten Wirtschaftsjahren nur noch halb so viel wert als wie früher oder noch weniger. Und sie hat Gewinner wie John Farrell. Der Ire hat zugegriffen, als die Immobilienpreise am Boden waren, als die Konsumzurückhaltung das Dubliner Sternelokal Mint in den Ruin getrieben hatte. „Ich übernahm den Schlüssel für 50 000 Euro, drei Jahre früher hätte das Lokal 300 000 Euro gekostet.“ Das war 2009 trotzdem ein Wagnis, denn die Banken ließen den Neueinsteiger, der bisher nur gekellnert hatte, hängen. Sie gaben Farrell, aufgewachsen in einer Sozialwohnung im Norden Dublins, wo schon Kinder Drogen nahmen, kein Geld. Zu unsicher, zu riskant die Pläne. So stotterte der Gastronom die Handwerkerraten ab, bat die Elektriker, den Fliesenleger um Aufschub, bis die ersten Einnahmen kamen. Das Konzept mit Gelbflossentunfischburger und Ribeyesteak vom irischen Rind ging auf, das Dillinger’s florierte.

Rezession sieht anders aus. Das ganze Wochenende über quellen die Feiernden aus den Restaurants und Bars auf die Straßen im Tempel Bar District und im Viertel nebenan. „Ein Geschäft wie um Weihnachten“, jubeln die Wirte, „wir wollen feiern“, brüllen die Gäste. Selbst unter der Woche ist es im 777, John Farrells drittem Lokal, so voll, dass ständig Hungrige abgewiesen werden. Von draußen unauffällig, eine schwarze Fassade, ohne Aufschrift, die Fenster abgedeckt, drinnen ein

Gesamtkunstwerk. An jedes Detail hat Farrell gedacht. „Die Barhocker kommen aus Mexico City, die Fliesen stammen von einer alten Sporthalle in Brooklyn, acht Dollar das Stück.“ So ausgewählt wie die Einrichtung, so hochpreisig ist die Karte. „Ich verkaufe Qualität“, sagt der 38-Jährige, dafür sei die Kundschaft auch in Irland immer noch da. Der Gastronom löffelt eine Tortillasuppe. Ein Banker bleibt neben ihm stehen. Ob er der Besitzer sei? Ob er nachher mal ein paar Minuten Zeit habe? „Von denen habe ich genug“, sagt Farrell, als der Schönling im Anzug wieder über seinem Cocktail hängt. „Die wollten mir mal ’nen 1,2 Millionen-Euro-Kredit aufdrängen.“ Lange her, da hätte er gerade mal ein Fahrrad und eine Altbauwohnung in einer wenig angesagten Ecke der Stadt gehabt. „Das hätte mich ruiniert mit dem Immobiliendesaster.“

Es ist spät, als John Farrell die South Great Georges Street quert. Er will nach Hause, zu Fuß. An einer Brachfläche am Eck bleibt er stehen, alte Räder parken dort, Müll liegt in der Ecke. „Ein super Standort, städtisch, seit Jahren ungenutzt“, sagt Farrell und zeigt auf die paar Quadratmeter Beton. Auf seinem Smart Phone hat er einen Architektenentwurf gespeichert, die Zukunft für das vergessene Stück Innenstadt. Ein Imbiss für Nachtschwärmer, geöffnet bis morgens um vier, unter futuristischen Riesenregenschirmen, die in Deutschland hergestellt werden, es gibt Stadtpläne für Touristen und asiatisch-amerikanische Häppchen. Farrell hat seine Mitkandidaten abgehängt, auch den Hotelier, dem der halbe Block gehört. „Ich habe den Zuschlag von der Stadtverwaltung erhalten“, freut er sich, „nächsten Mai sieht hier alles anders aus.“