Zum inoffiziellen Beginn des Jubiläumsfests mischen sich rund ums Rathaus, die Lutherkirche und auf dem Schaugarten historische Persönlichkeiten unters heutige Volk.

Fellbach - Die genaue Uhrzeit für den inoffizielle Start des 900-Jahr-Jubiläumsfests in Fellbach hatte die Stadtverwaltung zuvor bewusst nicht veröffentlicht – weil sie es nicht durfte: Die Coronaverordnung untersagt Veranstaltungen, die größere Menschenmengen anlocken könnten. Dennoch schlichen am frühen Sonntagnachmittag mehrere Dutzend Neugierige durchs Oberdorf. „Wo isch denn jetzt die Luitgard?“, wollte eine Dame von dem an seinem Schreibblock erkennbaren Reporter wissen.

 

Nun, um 15 Uhr wurden die Türen des Kulturamts, wo sich die sechs Darsteller der historischen Fellbacher Figuren eingekleidet hatten, endlich geöffnet. Und während vom Glockenturm der Lutherkirche die Jugendbläser des CVJM-Posaunenchors das „Fellbach-Lied“ oder „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ ins Land schallen ließen, mischten sich die Akteure unters immer zahlreicher werdende Publikum – letztlich dürften es einige Hundert Besucher gewesen sein, die sich auf dem Schaugarten, im Rathaus-Innenhof und in der Hinteren Straße tummelten. Offenbar hatte sich herumgesprochen, dass sich ein nachmittäglicher Spaziergang im Stadtzentrum lohnen könnte. In vorschriftsmäßigem Abstand wurden die Schauspieler in ihren Gewändern, die Thomas Kerber vom Untertürkheimer Theaterkostümhaus Wagner zur Verfügung gestellt hatte, bemustert, bewundert und befragt.

Liutgard als „Urmutter“ Fellbachs

Und die sechs Akteure beherrschten ihre jeweiligen historischen Figuren aus dem Effeff. Kein Wunder, sind sie es als Schauspieler doch gewohnt, literarische Grundlagen zu erarbeiten – hier dank Recherche im Stadtarchiv Fellbach – und ausdrucksvoll wiederzugeben. Und sie haben keine Scheu, auf Menschen zuzugehen. So wie Rosa Wielandt. Die junge Frau ist noch Schülerin und verkörpert auch in den kommenden Monaten bei hoffentlich noch einigen Gelegenheiten Liutgard, die Pfalzgräfin von Calw. Sie war es, die vor vermutlich ziemlich genau 900 Jahren Teile von Fellbach dem Kloster Zwiefalten geschenkt hat – was zur ersten urkundlichen Erwähnung Fellbachs führte. Allerdings muss Liutgard vor den Plaudereien mit den gut neun Jahrhunderte jüngeren Menschen erst mal die Riemchen ihrer Ledersandalen fester schnüren, um nicht zu stolpern.

Auch zwei weitere Mitglieder des erst vor einem Jahr gegründeten Ensembles „Theater Bagage“ (darf ruhig in schwäbischer Lautmalerei ausgesprochen werden) verkörpern historische Persönlichkeiten: Niels Tochtermann gibt in würdevoller Zurückhaltung den Pfarrer und Dichter Georg Conrad Maickler, und Luis Widmann aus Fellbach ist der Lehrer, Musiker und Komponist Wilhelm Amandus Auberlen – eine ideale Besetzung für den väterlich-strengen Schulmeister, wie sich schon nach wenigen Sätzen erkennen lässt.

Pest, Cholera – und Corona

Ebenfalls engagiert bei der Sache sind die weiteren drei Akteure des Theaters Puellarum, die vom Kulturamt für ihre Rollen engagiert worden sind: Stephanie Lauppe aus der Nähe von Heilbronn spielt Margaretha Maicklerin, die Schwester des Astronomen Johannes Kepler und vierte Ehefrau von Georg Conrad Maickler. Die seinerzeit grassierende Pest ist ein guter Anknüpfungspunkt für die jetzige Pandemie knapp 400 Jahre später.

Eine der vermutlich bekanntesten Fellbacher Persönlichkeiten, wenn er auch nur einige Monate im Ort gelebt hat, darf Rolf Führinger aus Weinstadt verkörpern – als Dichter Eduard Mörike hat er natürlich einige Gedichte in petto. Die jüngste der historischen Figuren wird gespielt von Anita Güers: Die Fellbacherin stellt die renommierte Fotoreporterin Hansel Mieth dar – und ist deshalb an diesem Nachmittag mit einem altertümlichen Fotoapparat auf Motivsuche.

Beliebte Fotomotive

Freilich sind es diese Darsteller selbst, die umgehend zum beliebten Knipsmotiv werden, ohne sich natürlich allzu nahe zu kommen. Mitarbeiterinnen des Kulturamts verteilen zudem insgesamt 900 goldene Jubiläums-Luftballons, vegane Gummibärchen und ein Fellbach-Rätsel. Das eigentlich vorgesehene Flugzeug, das mit dem Fellbach-Banner über Fellbach kreisen sollte, muss allerdings wetterbedingt am Göppinger Flughafen bleiben.

Kein auf Sensation angelegter Auftakt für das Jubiläum war es, sondern ein eher stiller. Doch sind die Organisatoren zuversichtlich, Mitte Juli wie erhofft mit allen historischen Akteuren und in größerer Menschenmenge gemeinsam 900 Jahre Fellbach feiern zu können.