Auftakt der Imaginale Hartes Familien-Porträt

Virtuos: Michal Sivroni Foto: Imaginale

Die Performerin Michal Sivroni ist Jüdin und kommt aus Tel Aviv. Sie hat im Fitz das Städte übergreifende Festival Imaginale eröffnet.

Arne Braun entschuldigt sich: „Sorry, dass ich kurz mal politisch werden muss.“ Denn eigentlich will der Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg keine großen Worte machen zur Eröffnung des Theaterfestivals Imaginale am Donnerstag im Fitz. „Wir wollen doch Theater gucken“. Auf der Bühne bereitet sich schon die Israelin Michal Sivroni auf ihre Performance „Carte Blanche“ vor. Der Vortag, an dem die CDU unter Friedrich Merz den Gesetzesentwurf zur Migrationsbegrenzung mit Hilfe der AfD-Fraktion in den Bundestag einbrachte, steckt Braun sichtlich in den Knochen.

 

Als Katja Spiess, Leiterin des Figurentheaters Fitz, Braun zum Internationalitätsanspruch der Kunst befragt, bricht es aus ihm heraus; die Kunst sei immer international und sie habe die Kraft, sich gegen antidemokratische Kräfte zu wehren. Aber: „Was da gerade verrutscht, können wir nicht mehr richten“, fürchtet er, und warnt vor „österreichischen Verhältnissen“. Die Tatsache, dass Friedrich Merz den Entwurf ausgerechnet am Gedenktag zur Befreiung von Auschwitz zur Abstimmung brachte und nur einen Tag später eine jüdische Performerin in einem deutschen Theater die Geschichte ihrer Familie entrollt, wirkt beschämend.

Sie wünscht sich Frieden für beide Seiten

Mit einem weißen Plakat, der „Carte Blanche“ vor der Brust und einem strahlenden Lächeln empfängt Michal Sivroni ihr Publikum. Sivroni, eine Frau in ihren Vierzigern, stammt aus Tel Aviv. In Frankreich ließ sie sich unter anderem in Schauspiel und Clownerie ausbilden. In ihrer Performance mischt sie Malerei, Musik, Puppenspiel und mündliche Erzählung, um ein psychologisches Familien-Porträt zu entwickeln. Zu Beginn malt sie in großen Schwüngen den eigenen Leib auf die beschichtete Leinwand, den Torso mit dem Ansatz der Beine in Rosa, mit Schwarz zeichnet sie die Konturen der Brüste, mit den Fingerspitzen tupft sie Kräusel in die nasse Farbe für die Scham.

Kurz darauf verwischt sie das Bild zu einem flächigen Grau, in das sie mit dem Fingernagel ihren Umriss als Embryo kratzt. Mit Hilfe dieser sich stetig verändernden Bilder berichtet Sivroni von ihren Vorfahren, die im Holocaust umkamen, von ihren Großeltern, die jung im Alter von 60 Jahren an Infarkten starben. Als Kind, erzählt sie, habe sie ohne ihre Mutter nicht atmen können, später habe sie wegen ihr keine Luft mehr bekommen, weshalb sie nach Paris ging. Die Eltern mochten keine Homosexuellen, sie wollten keinen französischen Mann für ihre Tochter, und auch nicht, dass sie sich von ihm scheiden ließ. Sivronis Spiel ist dicht und virtuos, sie erzählt vom Verlust der Eltern, die ihrem Kind nicht mal auf dem Sterbebett sagen konnten, dass sie es liebten.

Das klingt nach schwerer Kost, doch Michal Sivroni lacht viel und scherzt mit dem Publikum. Zum Schluss legt sie ein Buch auf die Bühne, in das jeder hinein schreiben kann. Es seien harte Zeiten, sagt sie, und spricht über die freigelassenen Geiseln der Hamas. Sie wünsche sich Frieden für beide Seiten. Ein schwerer Wunsch in diesen schlimmen Tagen.

Imaginale. Infos unter www.imaginale.net

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