Neun Bands an drei Tagen: Die Böblinger Songtage haben am Donnerstagabend begonnen. Von den miesen Wetterbedingungen ließen die Fans sich den Spaß nicht verderben. Im Gegenteil: Die Stimmung war bestens.

Böblingen - Nach einjähriger Pause ging auf dem Parkdeck am Donnerstagabend zum ersten Mal wieder richtig die Post ab. Für kurze Zeit vergaß man alle Corona-Sorgen. Es war eine tolle, geradezu euphorische Stimmung, die das Publikum hier überraschte. An drei Tagen präsentiert Böblingens Kulturmanager Andreas Wolfer, der Initiator und Organisator des Liedermacherfestivals, neun Bands und insgesamt 40 Musikerinnen und Musiker auf dem Parkdeck.

 

Den Anfang am Donnerstagabend machten Albert Schnauzer, Theodor Shitstorm und die Kapelle Petra. Allesamt legten einen wirklich fulminanten Start hin, dessen elektrisierende Stimmung auf die Gäste überging. Die Stimmung steigerte sich im Lauf des Abends noch erheblich.

Punkig-poetische Texte

Den Anfang machte der unverwüstliche Albert Schnauzer, der oftmals als deutscher Tom Waits bezeichnet wird. Punkig-poetische Texte und eine facettenreiche Mischung aus Blues, Polka, Gospel und Folk überraschten dabei die Fans – darunter auch Kinder und Jugendliche, die sich begeistern ließen. Mit knisternden Rhythmen wartete der „Schwarze Afghane“ auf. Mit dem Song „Stulle“ erinnerte er an Marilyn Monroe und Uschi Glas. Federnd-fetzige Melodien ergänzten den groovigen Sound, wobei es Schnauzer immer wieder perfekt gelang, seine ironischen Seitenhiebe mit bohrendem Sound zu würzen.

„An allen Grenzen stehen Pfosten“ leitete dann über zum sarkastischen „Anti-Stuttgart 21“-Song „Lasst uns einen Bahnhof bauen“. Liebe und Sehnsucht packte Schnauzer schließlich gekonnt in einen Schlager, der unter dem Motto „Im Rausch der Gefühle untergeh’n“ stand. Die Angst vor dem Überwachungsstaat nahm er ebenfalls scharfzüngig aufs Korn. „Der Tropf“ beschrieb die Regenüberflutung in einer Wohnung auf originelle Weise.

„Das ist Kunst“

Mit der Band Theodor Shitstorm aus Berlin ging es rasant, aber auch melodisch überaus eingängig weiter. Der auch als Filmemacher tätige Dietrich Brüggemann (Gesang) zauberte sogleich beim „Ratgeberlied“ vielschichtige Harmonien hervor. Gitarre und Elektronik begleiteten dabei Berliner Indie, Hamburger Schule, knackigen Hiphop und österreichisches Sauflied.

Die „Extrawurst“ besaß einen eher spritzig-witzigen Charakter, während das sensible Kinderlied „Ozean“ diese Formation von einer ganz anderen, leiseren und nachdenklicheren Seite zeigte: „Das ist Kunst“. Apropos: Unter dem Mantel der Kunstfreiheit hatte Brüggemann im April mit der Aktion #allesdichtmachen die Pandemiemaßnahmen satirisch-kritisch kommentiert und sich damit selbst einen veritablen Shitstorm eingefangen. An diesem Abend spielte dieses Thema jedoch keine Rolle.

Stürmischer Abschluss mit Kapelle Petra

Den stürmischen Abschluss des gelungenen Abends bildete die Kapelle Petra. In der aktuellen Besetzung mit Guido „Opa“ Scholz (Gesang, Gitarre), Rainer Siepmann (Bass), Markus „Ficken“ Schmidt (Schlagzeug) und der „Bühnenskulptur“ Timo „Gazelle“ Sprenger ließ die Band gesellschaftskritische, postmoderne und intellektuelle Themen in rasanter Weise Revue passieren.

Gegründet wurde diese Band im Jahr 1996 in Münster. Sie wurde oftmals mit der damals populären Hamburger Schule in Verbindung gebracht. Bekannt wurde die Kapelle Petra außerdem durch das virale Musikvideo zu „Geburtstag 2007“. Anfang des vergangenen Jahres folgte eine weitere Clubtour, die kurz vor ihrem Ende von der Corona-Pandemie unterbrochen wurde.

Allmähliche Erholung von der Corona-Zwangspause

Der Abend machte deutlich, wie glücklich die Musiker waren, sich von dieser Situation allmählich wieder zu erholen. Im Januar veröffentlichte die Band mit „Ein bunter Strauß“ eine neue Single, dann folgte im Februar mit „Meine Zeit“ das nächste Album. Und jetzt gibt es wieder eine neue Aufnahme mit dem beziehungsreichen Titel „Der Frühling“, der deutlich Bezug zu Antonio Vivaldis Zyklus „Die vier Jahreszeiten“ besitzt.

„Geht mehr auf Konzerte“ lautete denn auch das von der Band ausgerufene Motto dieses Auftritts, der für die jubelnden Fans keine Wünsche offenließ. Das „Weltkulturerbe“ leitete harmonisch vielschichtig zu weiteren Nummern wie „Morgen ist frei“, „Meine Zeit gehört nicht dir“ und „Befund“ über. Und auch der dringende Wunsch hinsichtlich der „Einsamen Insel“ fehlte nicht.

Lebende Bühnenskulptur

Die humorvolle Liveperformance kam beim Publikum sehr gut an. Die lebende Bühnenskulptur „Gazelle“ Sprenger war übrigens der erste Bassist der Kapelle Petra. Er nahm frühzeitig diese skurrile Rolle ein und wurde von Rainer Siepmann ersetzt.

Die ausgelassen-explosive Stimmung auf dem Parkdeck erreichte bei der enthusiastischen Hymne an den Schlagzeuger „Ficken Schmidt“ („Nimm’ mich mit auf deine Reise“) ihren absoluten Höhepunkt. Die Leute waren ganz aus dem Häuschen und ließen sich vom Schwung und der Energie der Kapelle Petra regelrecht mitreißen. Und das in Strömen fließende Bier sorgte für einen zusätzlichen Rausch, dessen Intensität nicht mehr nachließ. So war man zuletzt doch froh, auf den Liegestühlen zu sitzen. So konnte man wenigstens nicht umkippen.

Auf dem Parkdeck wurden hinsichtlich der kulinarischen Köstlichkeiten vor allem „Maultaschen“ serviert. Doch der musikalische Hunger der Fans konnte an diesem Abend kaum noch gestillt werden. Es gab Jubel, es gab Ovationen.