Vier Abende währt Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Die ersten beiden Teile, „Rheingold“ und „Die Walküre“ haben nun unter Regie von Frank Castorf Premiere gefeiert.

Bayreuth - „Traulich und treu“, singen die Rheintöchter am Ende des ersten Teils von Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“, „ist’s nur in der Tiefe: falsch und feig ist, was dort oben sich freut!“ Da ist weiß Gott viel Wahres dran! Man kann es jetzt in Bayreuth erleben, im neuen „Ring“, der am Freitag und Samstag mit den ersten beiden Stücken vielversprechend begonnen hat. Kirill Petrenko und die Musiker im Orchestergraben zauberten schon zum Auftakt so viel Unerhörtes, bisher Ungehörtes aus der Partitur heraus, dass einem um die restliche „Ring“-Reise nicht bange sein muss.

 

Fürs Falsche und Feige oben auf der Bühne ist der Regisseur Frank Castorf zuständig, als „Stückezertrümmerer“ berühmt und berüchtigt. Wenn es stimmen sollte – Äußerungen des gerne ironischen 62-Jährigen sind mit Vorsicht zu genießen –, dass er nur neun volle Probentage für den Vorabend „Das Rheingold“ hatte, kann man nur sagen: Hut ab; oder genauer: Cowboyhut ab! Hier hat er aus allen Sängerdarstellern restlos überzeugende singende Stars in einem trashigen Film à la Quentin Tarantino gemacht.

Natürlich erzählt Castorf die Handlung nicht so, wie sie im Opernführer steht. Aber er trifft den Kern des bitterbös-komödiantischen Kammerspiels zum „Ring“-Auftakt wie die Faust aufs Auge und ausgesprochen unterhaltsam. Es ist, haargenau wie der titelgebende Nibelunge Alberich es sagt, „ein gieriges Gaunergezücht, ein leichtsinniges, lustgieriges Göttergelichter“, das der Berliner Volksbühnen-Intendant auf die faszinierende Drehbühne von Aleksandar Denic stellt, die von allen Seiten eine heruntergekommene Tankstelle und ein Motel mit Swimmingpool an der legendären Route 66 im Amerika der 1970er Jahre zeigt.

Das Bühnenbild ist filmreif

Die Installation ist in ihrer hochprofessionellen Genauigkeit filmreif, gleiches gilt für die charakterisierenden Kostüme von Adriana Braga Peretzki. Die zu Gangstern, Halbweltdamen, Zuhältern, Schlägern und Schicksen umfunktionierten Personen der Handlung sind es auch. Also wird fleißig gefilmt und auf die große Videowand projiziert. Zum Teil sind es Vergrößerungen der Handlung in Echtzeit, zum Teil ist es vielsagendes, überraschendes Parallelgeschehen, dazu noch Filmkonserven (Video: Andreas Deinert, Jens Crull).

Fürs Publikum ist Multitasking angesagt: Es gibt unendlich viel zu sehen – zwar keine kreischende Nibelungenschar und auch keinen Speer, dafür aber auch Personal, das nicht im Original steht. Eine tragende Rolle kommt dem Kellner (Patrick Seibert) zu, der die Herrschaften und den sich an der Bar versammelnden kinomythologischen Abschaum mit Getränken aller Art versorgt, Schläge abkriegt und Goldbarren mit ins muffige Motelzimmer trägt, damit die Riesen Freia wieder freigeben.

Während der grellbunte amerikanische Vorabend in sich geschlossen scheint, wird in der düsteren, von hölzernen Bauten zur Ölförderung im aserbeidschanischen Baku beherrschten „Walküre“ klar, dass diese Interpretation sich nicht linear durch Zeit und Raum bewegt, sondern springt. Der erste Aufzug spielt tief im 19. Jahrhundert, wo Hunding noch mit Gehrock und Zylinder auftritt, während Wotan im zweiten Aufzug wie ein später Rasputin wirkt – mit dem Rauschebart, den er zum Aktschluss ablegt. Auch die noch aus dem zaristischen Russland stammenden Walküren entledigen sich schnell ihrer schwelgerischen, aber züchtigen Roben zu Gunsten eines Glamours, wie er zu Zeiten der russischen Revolution offiziell nicht erlaubt war.

Jeder „Ring“-Teil spielt an einem anderen Ort

Wenn man bedenkt, dass „Siegfried“ im Berlin der Mauerjahre und die „Götterdämmerung“ unter anderem an der New Yorker Wallstreet situiert sein werden, könnte das ein Globalisierungs-„Ring“ werden: Die Geschichte von Macht und Machterhalt, Liebe, Hass, Mord und Totschlag, Gold, Geld und Ausbeutung (wobei für das Gold eben Öl steht) findet nicht in abstrakter mythologischer Ferne statt, sondern in historisch konkreten Situationen an sehr unterschiedlichen Orten und Zeiten in Ost und West. Die Ausstattung bedient das in einer bewundernswerten ästhetischen Geschlossenheit.

Wo es an einigen zentralen Stellen sowohl im „Rheingold“ und deutlich mehr in der „Walküre“ hakt, ist die Personenregie. Zum einen ignoriert Frank Castorf gerne die dramaturgischen Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkte und erzählt lieber gegenläufige Geschichten, bricht mal gekonnt, mal eher dürftig die Erwartungen. Zum anderen gibt es – schon aus räumlichen Gründen – immer wieder bloßes Rampentheater. Wer im winzigen Motelzimmer singt, muss sich schwer aus dem Fenster lehnen und alle Bezogenheit auf andere Figuren fallen lassen. Im hölzernen Treppenturm ist es nicht viel anders.

In der „Walküre“, in der deutlich weniger Videos flimmern, kommt mit dem übergewichtigen Siegmund-Protagonisten ein inhaltliches Problem dazu. Tenor Johan Botha ist zwar aktuell grandios bei Stimme, aber ein so unbeweglicher, auf stereotype Gestik und Mimik reduzierter Darsteller, dass die inzestuöse Liebesgeschichte zwischen ihm und der als Sieglinde sich einen Wolf abspielenden, ebenfalls großartig singenden Anja Kampe leider nicht glaubhaft über die Rampe kommt.

Die Solisten sind bis auf Donner erstklassig

Womit wir bei den restlichen Solisten wären: Die „Rheingold“-Besetzung ist erstklassig, darunter Günther Groissböck als herausragender Fasolt, Martin Winkler als prollig-faunischer Alberich, der nur gegen Ende stimmlich leicht kämpfte, luxuriöse Rheintöchter, Göttinnen und Götter – mit Ausnahme des nur als Figur passenden Donner. Wolfgang Kochs Wotan und Claudia Mahnkes Fricka sind an beiden Abenden eine sängerdarstellerische Wucht. Franz-Josef Seligs Hunding und die nach dem 2. Akt unfair ausgebuhte Catherine Forsters als Brünnhilde sind es am zweiten Abend, der „Walküre“, auch, letztere, gerade weil sie an den richtigen Stellen ein wunderbares Piano und große Stimmkraft hat. Nur die Walkürenschar klingt reichlich unausgeglichen.

Kirill Petrenko arbeitet mit dem Orchester hörbar auf die Solisten zu, die ihre Rollen sängerisch sehr differenziert ausfüllen und eine Wortverständlichkeit bieten, wie sie in einem Bayreuther „Ring“ lange nicht mehr gegeben war. Die musikalische Interpretation hat, selbst wenn einem vor lauter Sehen manchmal das Hören vergehen könnte, von Beginn an immer etwas zu sagen. Mehr darüber nach den noch folgenden Premieren. Die ersten zwei Abende haben wenig Buhrufe und viel Jubel ausgelöst – vermutlich auch, weil das Regieteam sich noch nicht gezeigt hat.