Die Arktis erwärmt sich stärker als jede andere Region der Erde. Als Folge taut der viele Tausend Jahre alte Permafrostboden unaufhaltsam auf. Die Frage ist nur: Kommt es zu einem globalen Permafrost-Kollaps oder zu vielen kleineren Kipp-Elementen? Ob so oder so: Die Entwicklung ist alarmierend.
Der arktische Permafrost bedeckt etwa ein Viertel der Landfläche auf der Nordhalbkugel. Die mitunter seit hunderttausenden Jahren gefrorenen Böden speichern riesige Mengen von organischem Kohlenstoff in Form von abgestorbenen Pflanzenresten und anderem nicht zersetzen Material.
Tauen die Dauerfrostböden Permafrost auf, werden durch einen mikrobiellen Prozess die Treibhausgase Methan und Kohlendioxid freigesetzt, die den Klimawandel weiter befeuern. Eine tickende Zeitbombe im Klimasystem.
Gigantisches Kohlenstofflager taut auf
„Der einst zuverlässig gefrorene Untergrund taut jetzt rund um die Welt auf“, erklärt Hugues Lantuit vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Dadurch sacke das Erdreich zusammen, und ganze Küstenabschnitte würden ins Meer gerissen, was Ökosysteme in den arktischen Ländern verändere und Infrastrukturen beschädige, warnt das AWI.
Der Permafrostboden ist normalerweise das ganze Jahr über bis in tiefe Schichten gefroren. Zu finden sind solche uralten Dauerfrostböden vor allem in Alaska, Kanada sowie im Osten und Norden Sibiriens. Darin sind große Mengen Kohlenstoff gebunden, die beim Auftauen in die Atmosphäre gelangen.
Laut AWI gilt der gefrorene Untergrund in der Arktis als eines der größten Kohlenstofflager der Erde. Im Fall eines Auftauens könne er Treibhausgase freisetzen, die so wirksam seien wie etwa 50 bis 200 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. „Diese atemberaubende Menge könnte einen gewaltigen Effekt auf unser Klima haben“, mahnt AWI-Experte Lantuit.
Wann und wie kippt der Permafrost?
Die Forscher sind sich allerdings nicht einig, inwieweit der arktische Permafrost ein entscheidendes Kipp-Element im Klimasystem der Erde darstellt. Solche Systeme wechseln bei Überschreiten eines kritischen Schwellenwerts – in diesem Fall der Temperatur – in einen neuen Gleichgewichtszustand.
Beim Permafrost könnte dies bedeuten, dass sich das Abtauen nach diesem Kipppunkt zum Selbstläufer entwickelt und ein rasanter, unumkehrbarer globaler Permafrost-Kollaps einsetzt. Doch ob Permafrost ein globales Kipp-Element ist und wo die Umkipp-Temperatur liegt, ist strittig, wie AWI-Forscher in einer Studie feststellen. Die Untersuchung ist im Fachmagazin „Nature Climate Change“ erschienen.
„Diese Fragen zu beantworten ist jedoch entscheidend, um die Wechselwirkungen von Klima und Permafrost zu verstehen und um Anpassungs- und Klimaschutzstrategien auf die Folgen eines Permafrost-Abtauens auszurichten“, schreiben Jan Nitzbon vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung und seine Kollegen.
Sie haben deshalb alle verfügbare Daten und Studien dazu ausgewertet und überprüft, wann und auf welcher räumlichen Skala – als lokal, regional und global – es zu einem Kippen des Permafrosts kommen könnte.
Ein großer Kipp-Punkt oder viele kleine Kipp-Elemente?
Die Analysen zeigen, dass es im Permafrost tatsächlich sich selbst verstärkende, teilweise irreversible geologische, hydrologische und physikalische Prozesse existieren. Diese wirken sich jedoch lokal oder regional und global aus.
„Es gibt keine Evidenz für sich selbst verstärkende interne Prozesse, die ab einem bestimmten Grad der globalen Erwärmung den gesamten Permafrost gleichzeitig erfassen und das Tauen global beschleunigen würden“, erklärt Jan Nitzbon.
„Auch die geschätzte Freisetzung von Treibhausgasen würde mindestens bis zum Ende des Jahrhunderts nicht zu einem globalen Sprung in der Erderwärmung führen“, ergänzt der Klimaforscher. „Deshalb ist die Darstellung des Permafrosts als globales Kipp-Element irreführend.“ Stattdessen könnte die Erderwärmung verschiedene lokale und regionale Kipp-Elemente zu verschiedenen Zeitpunkten kippen lassen.
Entwarnung? Ganz im Gegenteil!
Ob der Permafrost in einem globalen Prozess oder in einzelnen Ereignissen kippt, ist letztendlich unerheblich. Sollten viele kleine lokale Kipppunkte nacheinander überschritten werden, kommt es zu einem schleichend Auftauen. Am Ende würde aber der Permafrost trotzdem größtenteils verschwunden sein.
Die AWI-Forscher warnen, dass dieser Prozess nicht erst in der Zukunft geschieht.Schon heute und auch in naher Zukunft seien „mehr und mehr Gebiete unausweichlich vom Auftauen betroffen“. berichtet Jan Nitzbon. „Es gibt keinen beruhigenden Erwärmungsspielraum, den man bis zum Schwellenwert noch ausreizen kann.“