Die Regierung rechtfertigt die Aufwandsentschädigung für die neue Staatsrätin Gisela Erler mit ihrem vergleichsweise hohen Verdienstausfall.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Seitenhieb ging fast unter in der Abschiedsrede von Stefan Mappus. Ein letztes Mal teilte der einstige Ministerpräsident beim CDU-Parteitag in Ludwigsburg kräftig aus - unter anderem gegen die neue grün-rote Landesregierung. Deren mangelnder Sparwillen zeige sich nicht nur in den 180 neuen Stellen, die in den Ministerien geschaffen würden, sondern auch in der Vergütung der neuen Staatsrätin Gisela Erler. Die nämlich habe sein Nachfolger Winfried Kretschmann "im Handstreich verzehnfacht".

 

Ausgerechnet die formal ehrenamtliche (und zugleich für Ehrenamtliche zuständige) Staatsrätin "für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung" profitiert von einem solchen Gehaltssprung? Das klang nach einem Aufreger, der geeignet schien, die Glaubwürdigkeit der Grünen zu untergraben. Erklärungsbedürftig ist die Bezahlung der 65-jährigen Vertrauten von Kretschmann in der Tat. Doch die Dinge liegen nicht ganz so einfach, wie es Mappus' Hinweis insinuierte.

Der Expremier hat, entgegen seiner Art, sogar noch untertrieben. Nicht nur um das Zehnfache, sondern fast um das Dreißigfache ist die "Aufwandsentschädigung" der Staatsrätin - so der offizielle Terminus - im Vergleich zu ihrer Vorgängerin gestiegen. Das liegt allerdings auch daran, dass die Tübinger Theologin Regina Ammicht Quinn, zuständig für interkulturellen und interreligiösen Dialog, außerordentlich bescheiden war: Laut Staatsministerium ließ sich die noch von Mappus berufene Professorin, deren Hauptjob weiterlief, lediglich die "steuerlichen Nachteile" ausgleichen. Der monatliche Betrag: gerade mal 125 Euro. Das lag nahe an dem "One-Dollar-Job", den sich die Öffentlichkeit gemeinhin unter einem ehrenamtlichen Einsatz vorstellt.

Erler hat enormen Verdienstausfall

Eine andere Dimension hat die Aufwandsentschädigung bei der nicht minder ehrenamtlichen Staatsrätin Erler. Wie die Regierung auf StZ-Anfrage offenlegte, erhält die Soziologin und Tochter des SPD-Politikers Fritz Erler monatlich 3000 Euro, zuzüglich Reise- und Unterkunftskosten. "Frau Erler musste sich von ihrer hauptberuflichen Tätigkeit fast gänzlich zu Gunsten ihres Ehrenamts zurückziehen", heißt es zur Erklärung.

Sie sei derzeit nur noch einen Tag pro Woche beratend für die von ihr gegründete pme Familienservice GmbH in Berlin tätig - einer Firma mit 150 Mitarbeitern und 15 Filialen, die bundesweit Unternehmen und Behörden bei der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützt. Durch das stark reduzierte Engagement, so eine Sprecherin, habe sie einen "wesentlich höheren Verdienstausfall" als die Vorgängerin. Hinzu kämen die Reisekosten zwischen Berlin und Stuttgart und die Miete für ein Apartment in der Landeshauptstadt.

Kretschmann gibt ihr freie Hand

Ein Novum ist die Aufwandsentschädigung in dieser Höhe indes nicht, wie die Sprecherin betont. Sie sei vergleichbar mit den Bezügen des einst von Erwin Teufel berufenen Staatsrates für "Lebens- und Gesundheitsschutz", Konrad Beyreuther. Die summierten sich auf an die 40.000 Euro pro Jahr, womit ebenfalls Einnahmeverluste des Professors und Unternehmers ausgeglichen werden sollten.

Bei der damals noch opponierenden SPD stieß dieser Betrag freilich auf Unverständnis. "Ein Durchschnittsverdiener bringt das nicht einmal in seinem Hauptberuf nach Hause", schimpfte der seinerzeitige SPD-Fraktionschef Wolfgang Drexler. Für Erlers Bezüge - in Summe mindestens 36.000 Euro pro Jahr - gälte Ähnliches, ohne dass man ein kritisches Wort von den inzwischen mitregierenden Genossen gehört hätte.

Doch während der wegen seiner Ernährungstipps als "Apfelstaatsrat" bespöttelte Beyreuther eher ein Außenseiter blieb, soll Erler ein zentrales Feld der neuen "Bürgerregierung" beackern: nichts weniger als eine Belebung der Demokratie hat sie sich vorgenommen. Ihr alter Weggefährte Kretschmann gibt ihr dabei, wie sie in einem Interview verriet, völlig freie Hand: "Der Ministerpräsident verlässt sich darauf, dass ich ,was Gescheits daraus mache', wie er immer sagt."