Mehrere Kommunen nehmen das Gutachten von Peter Poguntke zur Rolle des Dichters in der Nazi-Zeit zum Anlass, um ihre Schulen umzubenennen. Doch es gibt auch Kritik an der Expertise.

Leonberg - Der Vorstoß der Stadt Leonberg, den Namen der August-Lämmle-Schule zu ändern, hat noch in zwei weiteren baden-württembergischen Kommunen den gleichen Stein ins Rollen gebracht. In Kusterdingen im Kreis Tübingen und im Rudersberger Teilort Steinenberg will auch niemand mehr, dass die örtliche Schule nach dem Dichter aus der NS-Zeit benannt ist. In der letzten Kusterdinger Gemeinderatssitzung des Jahres 2020 wurde das Thema auf die Tagesordnung gehoben, in der ersten des neuen Jahres ist der neue Namen bereits abgesegnet worden.

 

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Eine kleine Zeitungsnotiz, wonach der Leonberger Gemeinderat beschlossen habe, dass eine nach dem Mundartdichter August Lämmle benannte Schule umbenannt werden muss, war die Initialzündung in Kusterdingen. Der örtliche Geschichtsverein beschäftigte sich eingehender mit Lämmle und dem Gutachten aus Leonberg. Er kam zu dem Fazit, dass er als Namensgeber für eine Schule ungeeignet sei. Bereits 1999 stand der Name der Grundschule schon einmal auf dem Prüfstand. Mit deutlicher Mehrheit stimmte das damalige Gremium für die Beibehaltung des Namens.

Schule und Straße umbenannt

Doch nun fanden viele Räte und auch Bürgermeister Jürgen Soltauer, dass das Gutachten des Historikers Peter Poguntke, das Leonberg in Auftrag gegeben hatte, eindeutige Argumente für eine Entscheidung an die Hand gebe. Die Kernfrage, ob Lämmle sich als Namensgeber einer Schule eigne, beantwortete Poguntke mit „Nein“. Für Bürgermeister Soltauer daher eine logische Schlussfolgerung, auch die August-Lämmle-Straße umzubenennen.

Im Kusterdinger Gemeinderat wurde auch von einem Bürgerentscheid gesprochen, aber die Idee verworfen. Gehört wurde die Rektorin der Schule. Sie erklärte, dass die Schule nicht am Namen hänge und erzählte, dass 2010 eine Büste Lämmles aus Brandschutzgründen entfernt werden musste. Das Lehrerkollegium schlug „Grundschule am Wasserturm“ vor.

Astrid Lindgren ist neue Namensgeberin

Und so machte sich Kusterdingen über die Weihnachts- und Neujahrszeit auf die Suche nach einem neuen Namen. Das Lehrerkollegium rückte nach längeren Gesprächen von dem alten Vorschlag der Namensgebung „Schule am Wasserturm“ ab. Und es ließ Pragmatismus regieren und überlegte, was man aus dem Logo „ALS“ machen könnte. Die Idee: „Astrid-Lindgren-Schule“.

Die Pädagogen befanden, dass der Name aufgrund der Bücher der Schriftstellerin einen guten Bezug zu Kindern und außerdem jeder Erwachsene Kindheitserinnerungen daran hätte. Ganz nebenbei könne das Logo und der Web-Auftritt der Schule bestehen bleiben. Diese Argumentation leuchtete dem Gemeinderat ein und er stimmte zu. Außerdem wurde die „August-Lämmle-Straße“ in „Bruckenäcker“ umbenannt.

Ende April haben nun auch der Steinenberger Ortschaftsrat und der Rudersberger Gemeinderat einstimmig beschlossen, dass August Lämmle kein geeigneter Namensgeber für die Grundschule im Rudersberger Teilort Steinenberg sei und diese umbenannt werden soll. Die Anwohner der August-Lämmle-Straße sollen nun zu einer möglichen Namensänderung ihrer Straße befragt werden.

Vier Jahre in Steinenberg tätig

Von 1906 bis 1910 ist August Lämmle Lehrer in Steinenberg gewesen. Er lebte in dem Dorf am Rande des Wieslauftals, dirigierte hier den Liederkranz, orgelte in der Kirche. Grund genug, dass die örtliche Schule nach einer Renovierung bei der Einweihung 1951 den Namen des anerkannten Mundartdichters, Volkskundlers und Heimatforschers erhielt.

Das staatliche Schulamt hatte Raimon Ahrens, dem Nachfolger des Leonberger Oberbürgermeisters Martin Georg Cohn (SPD) im Amt des Rudersberger Rathauschefs, Ende vergangenen Jahres mitgeteilt, dass es neue Erkenntnisse zu August Lämmle gebe. Gemeint war das von Leonberg in Auftrag gegebene Gutachten von Peter Poguntke.

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Der Rudesberger Schultes hatte daraufhin die Entscheidungsträger informiert, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Von der einzügigen Grundschule war schnell zu hören, dass man das Thema angehen wolle. Die Entscheidung in den Gremien fiel zwar einstimmig, aber in Steinenberg wurde kontrovers diskutiert. Nun soll die Schulgemeinschaft einen neuen Namen erarbeiten. Im Fall der August-Lämmle-Straße wurde entschieden, dass die Anwohner gehört werden sollen. Ahrens könnte sich dabei vorstellen, dass künftig ein Infoschild auf die zwei Seiten von Lämmle hinweist.

Findungsprozess im Gange

Und so bleibt bis auf Weiteres die August-Lämmle-Schule Oßweil (ALSO) im gleichnamigen Ludwigsburger Stadtteil die einzige, die weiterhin den Namen des Mannes trägt, der als heimatbezogener schwäbischer Volkskundler und Dichter geschätzt wird. August Lämmle (1876-1962) ist in Oßweil geboren. Er trägt die Ludwigsburger Bürgermedaille. Neben der August-Lämmle-Grundschule ist er auch Namensgeber einer Straße sowie der Apotheke in der Friesenstraße.

Aber auch in der Barockstadt ist ein Findungsprozess in Gange. Die Stadtverwaltung hat dem Gemeinderat vorgeschlagen, einen ergebnisoffenen Diskussionsprozess einzuleiten. Daran sollen die Schule in Oßweil, Eltern, der Freundeskreis August Lämmle, der Stadtteilausschuss und der Gemeinderat beteiligt werden. Der Gesprächstermin wurde coronabedingt bereits zweimal verschoben.

Freundeskreis missfällt Gutachten

Dabei fährt der Ludwigsburger Freundeskreis schwere Geschütze gegen Peter Poguntke auf – unter anderem veröffentlicht er Schmähgedichte gegen den Historiker. Im Internetauftritt wird Hans Ulrich Jordan, der gemeinsam mit Waltraud Krautt und Siegfried Klotz den Vorstand des Freundeskreises bildet, zu dem Leonberger Beschluss mit den Worten zitiert: „Wir sind sehr enttäuscht, dass der Leonberger Gemeinderat auf Basis eines miserablen Gutachtens eine solche Entscheidung getroffen hat.

Gegen den Beschluss wurde inzwischen eine Beschwerde eingelegt. Vielleicht führt dies dazu, dass die Angelegenheit in Leonberg noch einmal auf den Tisch kommt. Auf jeden Fall darf dieses Gutachten die Diskussion in Oßweil nicht negativ beeinflussen.“

Ursula Fink, eine Verwandte von August Lämmle, schreibt dazu: „Der Gutachter Peter Poguntke ist weder mit dem Menschen August Lämmle noch mit dessen eigentlichem Werk wirklich vertraut. Er gibt selbst zu, dass er wegen der coronabedingten Schließung von Bibliotheken und Archiven keinen direkten Zugang zu den für das Gutachten relevanten Unterlagen hatte. Deshalb besteht die Ausarbeitung zu einem Gutteil aus Unterstellungen, Mutmaßungen und Spekulationen.“

Und wie geht es in Leonberg weiter?

Claire M
Eigentlich war für die August-Lämmle-Schule schon ein neuer Name gefunden: Eine Arbeitsgruppe aus Verwaltungsmitarbeitern, Lehrern, Eltern und Schülern hatte sich für Claire Heliot ausgesprochen. Am Ende des 19. Jahrhunderts machte sie als Dompteurin mit Bewusstsein fürs Tierwohl von sich reden. Doch viele Bürger und eine Mehrheit im Gemeinderat hält das Thema Dressur mit Schule und Pädagogik für nicht vereinbar.

Und nun?
Nun geht die Suche nach einer geeigneten Persönlichkeit weiter. Eine Frau als Namenspatin wird von vielen im Gemeinderat begrüßt. Der Namensvorschlag der Freien Wähler, schlicht Gemeinschaftsschule Leonberg, fand im Gremium keine Mehrheit.