Am Donnerstag kommen drei Werke des Esslinger Künstlers in München unter den Hammer. Der Kunstverein will mit dem Erlös sein Projekt der Kulturschaufenster im Kögel-Gebäude finanzieren.
Man spürt den Rhythmus, hört die lustvollen oder panischen Schreie des Saxophons, begleitet von erstickten Klängen der gestopften Trompete. Dieses Bild tönt wie Jazz und stöhnt wie Sex. Aber die Nacktheit der Spielerin, aufreizend verstärkt durch Nylonstrümpfe an den langen Schenkeln, ist die einer Puppe unter Strom. Trieb wird mechanisch. Die gespreizten Beine bilden ein laszives Dreieck, in dem ein einsamer Löwenzahn sprießt: letzte Spur von Natur in einer Welt, wo Mensch und Musik zur Maschine geworden sind.
Das Bild „Swing Swing Madame Swing“ enthält alles, was den Esslinger Maler Volker Böhringer zu einem so bedeutsamen wie eigenständigen Künstler im Spannungsfeld der Neuen Sachlichkeit macht – zusammen mit einer gehörigen Portion persönlichem Risiko. 1942 hat er es gemalt, auf einer Hartfaserplatte statt auf Leinwand. Hätten ihn die Nazis erwischt, wäre es ihm doppelt übel ergangen: Den Künstler stigmatisierte ein Malverbot, sein Sujet der Rassenhass. „Negermusik“ war verboten.
Doch bis heute musste Madame im Verborgenen swingen: zuletzt im Speicher des Esslinger Kunstvereins, dem das Bild gehört. Das könnte sich an diesem Donnerstag ändern. Der Verein verkauft das Gemälde, das zu Böhringers Hauptwerken zählt. Im Münchner Auktionshaus Karl & Faber wird es versteigert, zusammen mit zwei weiteren bedeutenden Böhringer-Bildern aus dem Besitz des Kunstvereins, „Jazzmaschine II“ (1943) und „Schienenkreuz“ (1957/58). Unter den Hammer kommen die Werke in einem prominenten Umfeld der klassischen Moderne, von Edvard Munch bis Otto Dix, Böhringers erklärtem Vorbild. Und sein Schicksal. An Dix wurde Böhringer gemessen, maß sich selbst an ihm – und verschwand in seinem Schatten. 1961 ist Böhringer gestorben, mittellos, nur 48 Jahre alt. Kurz zuvor hätte sich etwas ändern können in puncto Renommee – dank Dix. Der Prominente unterstützte den Unbekannten, von ihm aber Hochgeschätzten durch eine gemeinsame Ausstellung in Heilbronn. In Esslingen hatte Böhringer im Landolinshof seine erste Einzelausstellung.
Aber posthum änderte sich nichts – oder zu wenig. Böhringer gilt in den Augen der Kunstwelt als regionale Größe. „Er ist international nicht bekannt“, sagt Sheila Scott, die Geschäftsführerin von Karl & Faber. Eine Millionenbombe, wie jüngst bei Maurizio Cattelans Banane, dürfte bei der Böhringer-Auktion nicht platzen. Die Werke werden taxiert auf 30 000 bis 40 000 Euro („Swing Madame“), 10 000 bis 15 000 Euro („Jazzmaschine II“) und 5000 bis 7000 Euro („Schienenkreuz“). Was sie tatsächlich erlösen, „kann ich nicht prognostizieren“, sagt Scott. Sie gibt aber zu verstehen, dass die Wertschätzung weit unter dem künstlerischen Wert von Böhringers Oeuvre rangiert: „Es ist eine ganz besondere Kunst, hervorragend gemalt und einzigartig im Kontext der Neuen Sachlichkeit.“
„Wir können die Bilder nicht sicher aufbewahren“
Was die große Frage aufwirft: Warum verkauft der Esslinger Kunstverein die verkannten Preziosen eines großen Esslinger Künstlers? „Wir brauchen das Geld zur Finanzierung eines Projekts, für das wir leider die angefragten Landesmittel nicht bekommen“, sagt Christian Gögger, der künstlerische Leiter des Kunstvereins. „Wir wollen die Schaufenster des Kögel-Gebäudes in der Esslinger Altstadt zu einem dauerhaften kulturellen Schauplatz machen – auch im Zusammenhang mit der eventuellen Nutzung des Gebäudes durch die Stadtbücherei.“ Ins Schaufenster stellen will der Kunstverein laut Gögger nicht nur Künstler-Kunst, sondern auch Arbeiten, die in „partizipativen Projekten entstanden sind, zum Beispiel zusammen mit Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Kunstunterrichts“. Dass der Kunstverein seine Böhringers ziehen lässt, hat aber noch einen anderen Grund: „Wir haben keine Möglichkeit, die Bilder sicher aufzubewahren, geschweige denn zu präsentieren“, sagt Gögger. Er hofft daher, dass bei der Auktion die Bilder nicht in Privatbesitz übergehen, sondern eine Institution den Zuschlag bekommt, die sie öffentlich sichtbar macht.
Die Stadt Esslingen wird diese Institution auf jeden Fall nicht sein: „Wir werden nicht auf die Bilder bieten“, teilt Rathaus-Sprecher Marcel Meier auf Anfrage mit. „Die Stadt hat bereits breite Böhringer-Bestände in ihrer Kunstsammlung, darunter auch sehr ähnliche Arbeiten, teils in besserer Qualität.“
Neue Sachlichkeit und verhinderte Karriere
Künstler
Volker Böhringer wurde 1912 in Esslingen als Sohn einer Lehrerfamilie geboren. Er studierte ab 1929 an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule, 1930 wechselte er an die Kunstakademie. Er stand der Neuen Sachlichkeit nahe, entwickelte aber seinen eigenen Stil. Die Machtübernahme der Nazis verhinderte den Start einer Karriere. Böhringer erhielt Arbeits- und Ausstellungsverbot, als er sich weigerte, in die Reichskammer der bildenden Künste einzutreten. Nach dem Krieg dominierte die abstrakte Kunst, Böhringer fand kaum Beachtung. Er lebte zunächst von Sozialhilfe, litt an einer Lungenkrankheit. 1961 starb er in Esslingen.
Auktion
Die Versteigerung der drei Böhringer-Bilder findet an diesem Donnerstag, 5. Dezember, beim Auktionshaus Karl & Faber in München (Amiraplatz 3) statt. Online-Teilnahme (www.karlundfaber.de) ist möglich. Die Auktion beginnt um 13.30 Uhr, die Böhringers kommen gegen 14.30 Uhr dran.