Zum 75-Jahr-Jubiläum der Stuttgarter Zeitung stöbern wir im Archiv und präsentieren unseren Leser die originale Berichterstattung früherer Zeiten. Dieses Mal: Stuttgarts erstes Open-Air-Konzert mit den Rolling Stones 1976 im Neckarstadion.

Stuttgart - Die Landeshauptstadt stand am Samstag sieben Stunden lang ganz im Zeichen eines heftigen örtlichen Gewitters. Der Grund für dieses weniger meteorologisch denn musikalisch bedingte Donnergrollen: bei Stuttgarts erstem Freiluftkonzert waren die weltberühmten „Rolling Stones“ mit der Urgewalt von 30.000-Watt-Verstärkern und Batterien von künstlichen im Neckarstadion zu Gast. Die amtlicherseits befürchteten Niederschläge blieben in dieser lau(t)en Sommernacht dennoch aus: Obwohl das Sportamt 42.102 zahlende Besucher zählte, stellte Polizeidirektor Günther Rathgeb der sitzenden, stehenden und spazierengehenden Pop-Gemeinde eine gute Note aus und sprach von einem ruhigen und harmonischen Festival-Verlauf.

 

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Am Rande des Rockreigens die amerikanischen, kanadischen und deutschen Ordnungshüter jedoch alle Hände voll zu tun: Währenci des ohrenbetäubenden Spektakel wurden still und leise 88 Personen festgenommen, allein 79 davon wegen Drogenmißbrauchs. Daß: Stuttgart nach diesem Mammutkonzert nicht mehr unter „ferner liefen“ am Rock-Zipfel hängt, ist sichergestellt: Über den lautesten Tag in der Stadion-Geschichte werden auch eigens eingeflogene Journalisten aus Los Angeles und Miami Beach berichten.

Im Stadion werden Haschischpfeifchen gehandelt

Erster Bürgermeister Dr. Jürgen Hahn kam mit der beatkundigen Tochter Christine. Stadtdirektor Dr. Walter Gehring in unauffälligen Blue jeans und Sportamtsleiter Adolf Haas mit der notwendigen Portion Ohropax. Solchermaßen zünftig gerüstet, ruhte das Auge des Gesetzes mehr oder weniger wohlgefällig auf dem abgedeckten Fußballfeld. Was sich da dem Betrachter bot, hatte dort zuvor noch kein Auge geschaut, geschweige denn ein Ohr gehört. Denn kaum daß nach 13 Uhr die Tore geöffnet wurden, hatten die Hörschaften im weiten Rund auch schon ihr Mini-Woodstock nachgebaut: Männlein und Weiblein streckten sich da auf dem überdimensionalen Flickenteppich aus. Die Wachen rollten sogleich ihren Schlafsack auf, und schwäbische Nasen hatten an orientalischen Räucherstäbchen zu schlucken.

Und wo sonst nur die Schiedsrichterpfeife gilt, wurden jetzt Haschischpfeifchen gehandelt, so fleißig, daß die Internationale der Polizeibeamten noch auf der Haupttribüne mit dem Filmen, Fotografieren und Observieren kaum nachkamen. Beim Vergleich mit dem üblichen Fußballpublikum allerdings schlossen die Premierengäste so schlecht nicht ab. Platzordner Josef Zeller, der schon Dutzende von Bundesliga- und Länderspielen an Tor 3 zugebracht hat: „Wenn 1860 München kommt, hat’s oft mehr Rowdies!“

Statiker müssen die Bühne nachträglich sichern

Während das Publikum also schafsgeduldig der Beat-Dinge harrte, die da von der 40 Meter breiten Bühne kommen sollten, wurde hinter den Kulissen an eben diesem imponierten Monstrum noch fleißig gebaut. Was die „Stones“-Techniker nämlich für absolut sicher hielten, hat die örtlichen Behörden doch sehr erschüttert. Und deshalb mußte vor der Schau noch schnell ein Statikbüro geheuert werden, das für 10 000 Mark Kosten wenigstens noch die notwendigsten Bühnen- und Zeltabsicherungen berechnen und anbringen lassen konnte.

Dies und noch viel mehr - zum Beispiel 130 Einsätze der Sanitäter - sah das harrende Beat-Völkchen allerdings nicht. Und während diese sich um 16 Uhr mit den müden „Metern“ begnügen mußte, ging es hinter Sichtblenden und Absperrungen bei Tor 14 schon recht munter her. Dort hatten die Veranstalter sechs gemietete Campingwagen zu einem Kreis und Küchenchef Norbert Jürgens vom Flughafen-Hotel eine Barbecue-Party auffahren lassen. Zwei Forellen für Mick·Jagger und jede Menge Steaks, Salat und Obst für seine Männer wurden von fünf Bediensteten auf- und schließlich eine Zeche von etwa 10.000 Mark vorgelegt.

Freie Liebe unter den Tausenden Zuschauern

Dann war’s Abend im Stadion und unter dem roten Bühnenzeltdach noch immer ziemlich müde. So müde, daß die polizeiliche Einsatzleitung neben der Bildschirmüberwachung der. Stadionmassen getrost auch noch im Fernsehen Sportschau und Königstrauung verfolgen konnte. Allerdings, an neuen Stadionperspektiven fehlte es an diesem friedlichen Tag dennoch nicht. FDP-Stadtrat Erich Kopp über das zum Teil hautnahe Treiben: „Amore, das ist etwas Neues im Stadion.“ Die ob der allzulangen Umbauphasen aufkommenden gellenden Pfiffe waren dies wiederum nicht; selbiges hat man im Stadion ja heuer bei fast allen VfB-Spielen erlebt

Schließlich kam die Dämmerung und mit ihr das angekündigte Feuerwerk und als letzter Knaller gewissermaßen dann die „Stones“. Diese hatten vor ihrem ersten Donnerschlag aber noch den Hausherrn Dr. Hahn in ihr Lager bemüht; der Sportbürgermeister sollte (und konnte) den Pop-Sternen noch bittschön einen schnellen, sternbestückten Wagen für die Rückfahrt nach München besorgen.

Die Massen sind beim Ausgang diszipliniert

Schlag 23 Uhr ging nach dem steinerweichend lauten Auftritt der Rock-Routiniers dann das Flutlicht an - und holte Sterngucker und Angehimmelte in die Wirklichkeit zurück. Eine Stunde nach dem Singspiel war der „ganze Spuk“ (Polizeichef Rathgeb) im Stadion vorbei; die Massen haben sich nach amtlicher Auskunft „diszipliniert und reibungslos“ von der Stätte des Ohrensausens gewandt.

Am Sonntag zog Sportchef Hahn nach einer „Tatort“-Besichtigung die erste Beat-Bilanz seines Lebens: „Das war eine positive Veranstaltung, was die jungen Leute angeht“’ - und auch eingefleischte Fußballer: Der Rasen, so Dr. Hahn, ist wie eh in Ordnung.

Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich um einen ungekürzten Bericht aus Stuttgarter Zeitung vom 21. Juni 1976. Angereichert ist der Artikel mit Fotos, die nicht im Zusammenhang mit dem Bericht erschienen sind. Die Rechtschreibung ist weitgehend im Original belassen.