Um die Energiewende zu schaffen, soll im Südwesten die Windkraft verstärkt ausgebaut werden. Jetzt legen Wissenschaftler ein Gutachten vor und kritisieren die Politik harsch.

Stuttgart - Endlich – sagen viele. Endlich hat die grün-rote Landesregierung Anfang Mai das schon lange versprochene Landesplanungsgesetz durch den Landtag gebracht. Es soll helfen, den Ausbau der Windkraft im Südwesten zu beschleunigen. Schließlich will die Landesregierung bis zum Jahr 2020 den Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung von derzeit 0,8 auf zehn Prozent steigern. Ende Mai wird zudem eine Verwaltungsvorschrift in Kraft treten, mit der die Genehmigung von Windrädern gesteuert werden soll. Dann könnte das kräftige Investieren in Windkraftanlagen beginnen.

 

Doch jetzt legt der Nachhaltigkeitsbeirat Baden-Württemberg ein Gutachten mit kaum verhohlen kritischen Tönen an dieser Politik vor. „Um zu vermeiden, dass in einem Eilverfahren irreversible räumliche Fehlentscheidungen für die nächsten Jahrzehnte getroffen werden, sollte nach Inkrafttreten der Novellierung des Landesplanungsgesetzes ein mindestens einjähriges Moratorium festgelegt werden, um besonders geeignete Standorte zu identifizieren“, fordern die unabhängigen Experten in ihrem 96 Seiten zählenden Dokument.

Unabhängige Berater

Und das ist einigen Mitgliedern dieses Gremiums immer noch nicht genug. „Das Land Baden-Württemberg wird bereits im Jahr 2020 ein völlig verändertes, stark beeinträchtigtes Landschaftsbild vorweisen, sofern der derzeit forcierte, landschaftsbezogen viel zu wenig strukturierte und nicht ausreichend überregional gesteuerte Ausbau realisiert wird.“ Das schreiben der Stuttgarter Landschaftsplaner Giselher Kaule und der Berliner Klimaforscher und ehemalige Direktor beim Bundesumweltamt, Lutz Wicke, in einer ergänzenden Stellungnahme.

Der Nachhaltigkeitsbeirat war unter dem Ministerpräsidenten Erwin Teufel im Jahr 2002 gebildet worden. Seine Aufgabe ist es, „die Umweltsituation in Baden-Württemberg zu bewerten“,. Er soll Fehlentwicklungen in der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik vermeiden helfen und selbst Impulse für nachhaltige Entwicklung setzen. Der Beirat besteht aus zwölf Mitgliedern, die jeweils für drei Jahre bestimmt werden. Vorsitzender ist der Stuttgart Sozialwissenschaftler Ortwin Renn.

Das letzte Gutachten

Seit seinem Bestehen hat der Beirat elf Gutachten zu ökologischen, ökonomischen und sozialen Themen erarbeitet. Er soll damit „die Urteilsbildung bei allen staatlichen und gesellschaftlichen verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit bei der Entwicklung eines dauerhaft umweltgerechten und zukunftsfähigen Baden-Württemberg“ unterstützen. Das gestern übergebene Gutachten wird zugleich auch das letzte des Beirates sein. Das Gremium wird in der Form nicht fortgeführt.

„Der Beirat steht hinter der Energiewende“, erklären die Wissenschaftler in ihrer aktuellen Stellungnahme, „ er möchte aber sicherstellen, dass alle Wirkungen und Nebenwirkungen der notwendigen Maßnahmen hinreichend beachtet und negative Auswirkungen wo immer möglich vermieden oder ausgeglichen werden.“ Das sagte Ortwin Renn bei der Übergabe des Gutachtens an den Umweltminister des Landes, Franz Untersteller (Grüne).

Veränderung des Landschaftseindrucks

Der Beirat entdeckt auch bei anderen Energiequellen wie etwa der Fotovoltaik oder der Biomasse Nachteile. Am kritischsten sieht er aber die angepeilte Verwirklichung des Zieles, die Windenergie massiv auszubauen. Dieses Ziel dürfe „nicht durch eine signifikante und für viele inakzeptable Veränderung des Landschafseindrucks erkauft werden“, heißt es in dem Gutachten. „Die Landesseite sollte deshalb behutsam vorgehen und die Vor- und Nachteile sorgsam abwägen.“ Das Land, so die Empfehlung, solle doch in den ersten Jahren erstmal an „vergleichsweise unsensiblen Standorten Erfahrungen mit diesen Installationen“ sammeln.

Das Kritiker-Duo Kaule-Wicke – beide sind Gründungsmitglieder des Beirates – sehen es als ihre Pflicht, die Menschen „mit noch größerer Deutlichkeit“ auf die „gravierenden Konsequenzen“ der so Gestalt annehmenden Energiewende hinzuweisen. Das findet freilich nicht den Gefallen der anderen Beiräte, die sich „ausdrücklich“ von Kaule und Wicke distanzieren.

So hoch wie das Ulmer Münster

Die beiden argumentieren, bis zum Jahr 2020 bedürfe es rund 1300 Windkraftanlagen im Land, um das Ziel zu erreichen. Sie seien „etwa so hoch wie das Ulmer Münster und fast so hoch wie der Stuttgarter Fernsehturm“, also „gewaltige großtechnische Anlagen, die mit den bisherigen kleinen Windanlagen nicht vergleichbar sind“. Diese werden dafür sorgen, „dass das Land bereits 2020 nicht wieder zu erkennen sein wird“. Und dabei sei dies nur der Einstieg. Bis zum Jahr 2050 müssten im Südwesten „8000 Riesenwindkraftanlagen installiert werden“. Hier sei die Landesregierung in einer besonderen Verantwortung. Die räumliche Verteilung dieser Anlagen könne „nicht an Gemeinden delegiert und auf unzureichende formal-rechtliche Kriterien reduziert werden“.

Wo der Gesamtbeirat noch mahnt, die Vor- und Nachteile sorgfältig abzuwägen, ist das Minderheits-Duo schon sicher: die „immensen Schäden am Landschaftscharakter, die einer Zerstörung der derzeitigen visuellen Umwelt des Landes gleichkommen“, seien ein zu hoher Preis, um das „prinzipiell sehr wünschenswerte“ Ausbauziel für die Windkraft zu erreichen. Das gelte umso mehr, als der Beitrag des Landes zur Rettung des Weltklimas „praktisch vernachlässigbar ist“.

Mit Stromimporten ist zu rechnen

Der Gesamtbeirat weist darauf hin, dass in den ersten Jahren, nachdem die Atomkraftwerke abgeschaltet seien, „mit einem Anstieg der Kohlendioxid-Emissionen und anderer Treibhausgase um bis zu mehr als 65 Prozent zu rechnen ist“. Importe „auch aus Kernenergienutzung“ seien dann wichtig, „um den Übergang wirtschafts-, umwelt- und sozialverträglich zu leisten“. Das Gremium empfiehlt zudem, öffentliche, „insbesondere auch landeseigene Gebäude“ verstärkt energetisch zu sanieren, um die Energieeffizienz zu erhöhen. „Die Energiewende wird auch Lebensstil-Änderungen notwendig machen“, sagen die Beiräte voraus.

Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) nahm das Gutachten entgegen. Mit vielen der darin dargelegten Forderungen könne er gut leben, erklärte ein Sprecher des Umweltministeriums. „Bei der Frage des Windes hat er aber eine dezidiert andere Meinung,“ sagte der Sprecher. Man nehme die Einlassungen des Nachhaltigkeitsbeirates auf und werde sie in die politische Arbeit einfließen lassen.