Der Einsatz von 740 Meter langen Güterzügen im deutschen Schienennetz ist oft nicht möglich, weil Signalanlagen nicht an der richtigen Stelle stehen oder Überholgleise zu kurz sind. Das soll sich jetzt ändern.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Mehr Transporte auf die Schiene – dieses Ziel gehört seit Jahrzehnten zur Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung. In der Praxis kommt die Verlagerung kaum voran, im Gegenteil. Der Lkw-Verkehr auf den Straßen wächst weit stärker, die Frachtbahnen haben am gesamten Güterverkehr nur noch einen Anteil von unter 18 Prozent. Auch weil der Einsatz von 740 Meter langen Güterzügen – der bisher in der EU erlaubten Höchstlänge – im deutschen Schienennetz nicht möglich ist. Der Grund: Es gibt Engpässe, weil Signalanlagen nicht an der richtigen Stelle stehen oder Überholgleise zu kurz sind. Deshalb können nur elf Prozent der Züge bisher in dieser Länge fahren.

 

Das soll sich nun ändern. Nach langem Hin und Her hat die Bundesregierung das geforderte Programm zur Beseitigung der Engpässe inzwischen positiv bewertet und im Bedarfsplan hochgestuft. 405 Millionen Euro Investitionskosten sind veranschlagt. Damit sollen zum Beispiel Signalanlagen versetzt und Überholgleise verlängert werden. Wann die Baumaßnahmen starten können, ist bisher aber offen und hängt vor allem von der raschen Finanzierung durch den Bund ab, der das staatliche Gleisnetz von der DB Netz AG verwalten lässt.

Die Chefs der Frachtbahnen versprechen sich mehr Produktivität

Die Chefs großer Frachtbahnen begrüßen die Pläne und dringen nun auf die rasche Umsetzung. Ein mit 740-Meter-Zügen durchgängig befahrbares Netz werde Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessern, sagt Roland Bosch, neuer Vorstandsvorsitzender von DB Cargo, der größten Güterbahn Europas. Je Zug könnten künftig acht bis zwölf Container mehr im Kombinierten Verkehr transportiert werden, rechnet Harald Kreft, Leiter der Hamburger Hafenbahn, vor. Das bringe „spürbare Effizienzgewinne“.

Experten kritisieren die Engpässe im deutschen Netz seit Jahren als unhaltbaren Zustand, der dem Wirtschaftsstandort und der Umwelt erheblich schade. Der bisherige Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) setzte bei seiner Zukunftsplanung vor allem auf den Straßenverkehr und unter anderem durch, dass nun sogar 25-Meter-Riesenlaster regulär auf vielen Autobahnen und Anschluss-Strecken fahren dürfen. Das 740-Meter-Bahnnetz dagegen wurde im Bundesverkehrswegeplan 2030 nur als potenzieller Bedarf aufgenommen. Finanzierung und Bau: völlig offen. Darauf hagelte es Proteste. Die Opposition und viele Branchenexperten forderten, diese Entscheidung zu korrigieren. Die Gutachten, die der Bundesregierung inzwischen vorliegen, geben den Kritikern auf ganzer Linie Recht. Demnach bringt das 740-Meter-Netz der Volkswirtschaft extrem hohen Nutzen, der mit einem Faktor von 4,8 fast fünf Mal so hoch ist wie die Kosten. Das bestätigte der Staatssekretär im Verkehrsministerium, Enak Ferlemann (CDU), auf Anfrage des SPD-Verkehrsexperten Sören Bartol. Das Projekt werde deshalb „in den vordringlichen Bedarf aufsteigen“, so Ferlemann. Die Bauvorhaben in dieser Kategorie sollen möglichst rasch finanziert und umgesetzt werden. Über die Prioritäten entscheidet letztlich der Bundestag. Jedes Projekt hat seine Lobby, die für eine Bevorzugung kämpft. Das Ziel allerdings soll eine sachliche Nutzen-Kosten-Bewertung sein – und daran gemessen müsste die sofortige Umsetzung des 740-Meter-Netzes ganz oben auf der Erledigungsliste der neuen Bundesregierung stehen.

Die SBB Cargo sieht das 740-Meter-Netz nur als ersten Schritt

Michail Stahlhut, Vorstand von SBB Cargo in der Schweiz, sieht im 740-Meter-Netz nur den ersten wichtigen Schritt. Die wochenlange Unterbrechung der Nord-Süd-Strecke im Rheintal bei Rastatt nach einem Tunneleinbruch, die den Frachtbahnen auch mangels Ausweichstrecken große Umsatzverluste brachte, habe „gezeigt, dass wir umdenken müssen“. Ziel müsse sein, eine einheitliche Infrastruktur auf europäischer Ebene zu schaffen und aus einer Hand zu managen.