Die Agentur für Arbeit Stuttgart steckt in diesem Jahr deutlich mehr Fördermittel in die Qualifizierung ungelernter Erwachsener. Die Zielgruppe der unter 35-Jährigen soll angesichts des Fachkräftemangels ein großes Potenzial bergen.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - In seiner ehemaligen Firma hat sich Zanko Hama gelegentlich wie auf einem Schleudersitz gefühlt. Die Geschäftsführer wechselten häufig, und jedes Mal habe er sich neu beweisen müssen – nur, weil er der einzige Ungelernte ohne Ausbildung gewesen sei. „Ich war Vorarbeiter für zehn Personen und hatte mehr Ahnung als die anderen, aber das zählte nicht“, erinnert er sich. Auch wenn der Job als Prototypenbauer sein Traumberuf gewesen sei, langfristig erschien ihm die Stelle unsicher. Was würde sein, wenn er mal nicht fit wäre?

 

Zanko Hama beschloss, noch eine Ausbildung zu beginnen, obwohl er schon 28 Jahre alt und damit rund zehn Jahre älter ist als die meisten anderen Auszubildenden. „Ich bin dankbar, diese Möglichkeit bekommen zu haben“, sagt Hama. Seit Januar wird er in einem Stuttgarter Betrieb zum Karosserie- und Fahrzeugbaumechaniker umgeschult, gefördert über die Agentur für Arbeit Stuttgart. Die Förderung ermöglicht, dass Hama nicht das niedrige Lehrgehalt erhält, sondern einen Verdienst in Höhe des Arbeitslosengelds, auf das er Anspruch hätte, wenn er ohne Job wäre. Ohne diese Förderung wäre die Ausbildung nicht möglich gewesen, sagt Hama. Allein vom Lehrgeld hätte er sein Leben in Stuttgart nicht finanzieren können.

Die Agentur für Arbeit Stuttgart hat in diesem Jahr ihre Bemühungen um die sogenannten Spätstarter wie Zanko Hama intensiviert. „Jeder, der kann, soll eine Ausbildung machen, das ist unser Ziel“, sagt der für Ausbildung und Arbeitsmarkt zuständige Geschäftsführer bei der Arbeitsagentur, Alfred Szorg. Rund zehn Millionen Euro würden in diesem Jahr in die Förderung der Spätstarter investiert. 2012 seien es sieben Millionen gewesen. Insgesamt, so schätzt Szorg, würden 2013 bis Ende des Jahres an die 300 Personen mit ihrer Ausbildung im Agenturbezirk begonnen haben; im Vorjahr waren es 225.

Viel Potenzial bei der Zielgruppe bis 35 Jahre

Die Zielgruppe der Ungelernten bis 35 Jahre birgt seiner Ansicht nach viel Potenzial – gerade vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels. 37 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Stuttgart unter 35 Jahren hätten keine Ausbildung. Aus Sicht der Arbeitsagentur bedeutet die Qualifizierung der Ungelernten Prävention. „Beschäftigte, die gering qualifiziert sind, werden in der Regel als Erste entlassen“, erklärt Szorg. Und dann landen sie bei den Sachbearbeitern der Agentur.

Nach der Schule mag es zunächst für die jungen Erwachsenen attraktiv erscheinen, erst mal Geld zu verdienen. „Die schnelle Chance ist langfristig aber nicht der bessere Weg“, mahnt der Geschäftsführer zur Weitsicht. Mit 30 Jahren mag es noch leicht sein, eine Alternative zu finden, mit 40 oder gar 50 Jahren sehe das jedoch anders aus.

Auch Martina Senne (Name geändert) zählt zu den Spätstartern. Am heutigen Montag beginnt sie ihre Umschulung zur Fachinformatikerin in einer kleinen IT-Firma in Stuttgart. „Die nächsten zwei Jahre werden anstrengend, aber langfristig lohnt sich das“, sagt die 27-Jährige. Auch sie hat bislang keine abgeschlossene Berufsausbildung. Nach der mittleren Reife war sie zwei Jahre in England, hat dort mit den A-Levels in Mathematik begonnen. Zurück in Deutschland hat sie im Vertrieb gutes Geld verdient: „Ich bin 80 000 Kilometer im Jahr gefahren“, sagt sie. 3000 Euro brutto gab es von dem Automobilzulieferer dafür. Doch als der Chef starb, gehörte sie als Ungelernte zu denen, die entlassen wurden. Sie hat Praktika gemacht und sich selbst um die Umschulung bemüht – auf ihre Bewerbungen habe sie sogar zwei Zusagen bekommen. „Die IT-Branche hat mich schon immer fasziniert“, sagt sie. Dass sie in der Berufsschule neben deutlich jüngeren Auszubildenden sitzen wird, stört sie nicht. „Ich mache das, um etwas zu lernen, und nicht, um Kontakte zu knüpfen.“

Auch Zanko Hama bereut seinen Schritt nicht. Natürlich sei es harte Arbeit, aber sie mache ihm Spaß. Er sei selbstständiger als die anderen Auszubildenden, habe manchmal einen anderen Blickwinkel. Mit der Berufsschule hat er keine Probleme, er sei immer gut in der Schule gewesen, sagt der Iraker. Später will er sich selbstständig machen. „Mein Bruder ist Fahrzeuglackierer, das ergänzt sich gut“, sagt er.