Die Jugendarbeitslosigkeit in Tunesien ist hoch – auch weil die Ausbildung schlecht ist. Das Textilunternehmen Sartex will gegensteuern. Dazu wird das Konzept des Lehrberufes aus Deutschland kopiert.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Monastir - Kein Kopf hebt sich, als der Chef eintritt. Konzentriert blicken die jungen Frauen vor sich auf ihre Arbeit. Ein lautes Sirren liegt in der Luft, es ist das Geräusch von 100 Nähmaschinen. Kamel Zarrad lächelt zufrieden. Durch die langen Reihen gehen Ausbilderinnen und kontrollieren die Qualität der Nähte auf dem Stoff. Das Szenario verbreitet Fabrikatmosphäre und erinnert an stupide Akkordarbeit, doch das Gegenteil ist der Fall.

 

Als Vorbild dient Deutschland

Der Textilhersteller Sartex mit Sitz in der Nähe der Küstenstadt Monastir ist in Tunesien ein Vorzeigeunternehmen. Es ist eine der ganz wenigen Firmen, die eine betriebliche Ausbildung mit Praxis und Theorieeinheiten anbieten – ähnlich der dualen Ausbildung in Deutschland.

„Wir haben in Tunesien viele junge Menschen, aber trotzdem haben wir zu wenige gut ausgebildete Leute“, erklärt Kamel Zarrad, Geschäftsführer von Sartex. „Der Markt im Textilbereich wird zudem immer komplexer und es werden von den Kunden immer häufiger Dinge verlangt, die komplizierte Produktionstechniken erfordern.“ Außerdem leide die Branche unter einem sehr schlechten Ruf, weil viele kleinere Firmen ihre Mitarbeiter ausbeuten würden, erklärt Zarrad.

Ein modernes Ausbildungszentrum

Bei Sartex, einem Unternehmen mit rund 3400 Angestellten, wollte man das Problem offensiv angehen. Mit Unterstützung der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) wurde ein modernes Ausbildungszentrum aufgebaut. In der betrieblichen Textilakademie wurden bisher fast 500 Jugendliche ausgebildet und die allermeisten als Beschäftigte in das Unternehmen übernommen – das auch für die deutschen Firmen Hugo Boss und Brax vor allem Jeanshosen näht. Deutlich wird, dass das Unternehmen die jungen Menschen als Investition in die Zukunft sieht – eine eher ungewöhnliche Einstellung in Tunesien. Ein Auszubildender koste Sartex etwa 1500 Euro im Jahr.

„Wir versuchen, alle Leute zu halten, die wir ausbilden“, sagt Kamel Zarrad. Aber inzwischen habe sich herumgesprochen, wie gut die Ausbildung bei Sartex sei und andere Firmen zeigten immer häufiger Interesse an den Absolventen. Nicht zuletzt aus diesem Grund sei man dazu übergegangen, das Angebot des Ausbildungszentrums auch für andere Firmen des Textilsektors zu öffnen. Zudem kooperiert Sartex inzwischen auch mit Schulen in der Region. Von dort kommen immer wieder Schulabbrecher, die in der Firma dann eine Ausbildung beginnen.

Eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit

Thomas Seiberlich, Projektleiter der GIZ in Tunesien, erklärt dazu, dass die Schulausbildung in Tunesien grundsätzlich bis zum Abitur gehe. Wer vorher aussteige sei ein Abbrecher, habe keinen Abschluss und sei schwer zu vermitteln. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von rund 30 Prozent keine gute Startvoraussetzung.

Auch Salha Dellala hat die Schule vor dem Abitur verlassen. „Es war die Zeit der Revolution, es herrschte ziemliches Chaos überall in Tunesien, aus familiären Gründen musste ich abbrechen“, sagt sie. Doch die 25-Jährige wollte sich nicht als ungelernte Arbeiterin durchschlagen. Schließlich hat sie von dem Zentrum bei Sartex erfahren. Wie so oft in Tunesien lief die Vermittlung über Mundpropaganda. „Mein Bruder arbeitete in einem Café, der erzählte einem Kunden von mir und der kannte jemanden bei Sartex“, sagt Salha Dellala.

Zwei Jahre lang wurde die junge Frau ausgebildet und hat dabei alle Station durchlaufen – vom einfachen Nähen bis zur Verkaufsabteilung. Für Kamel Zarrad gehört diese Prozedur zur Firmenphilosophie. „Die jungen Leute müssen verstehen, wie das Unternehmen funktioniert, sie müssen begreifen, wofür sie arbeiten“, erklärt der Geschäftsführer.

Von der Schulabbrecherin zur Teamleiterin

Salha Dellala hat sich von der Schulabbrecherin mit mäßiger Lebensperspektive zur Teamleiterin hochgearbeitet und betreut inzwischen die Auszubildenden bei Sartex. Inzwischen arbeiten auch ihr Bruder und ihre Schwester bei dem Unternehmen.

„Wir müssen den jungen Menschen in Tunesien eine Perspektive bieten“, sagt Kamel Zarrad. Inzwischen hat auch die Regierung in Tunis den Erfolg honoriert und unterstützt das Ausbildungsprojekt. Der Geschäftsführer hofft, dass die Idee der Textilakademie nicht nur in Tunesien Schule macht. Zarrad: „Wir entwickeln ein ähnliches Programm für andere nordafrikanische Länder.“ Die ganze Region entlang des Mittelmeeres habe so viele begabte junge Menschen, sagt Kamel Zarrad, es sei eine Schande, diesen Schatz nicht nach Kräften zu fördern. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.studieren-in-deutschland-all-inclusive-service-fuer-junge-tunesier.e1c2087b-19e8-43be-90f9-324e252f547d.html https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.tunesiens-zukunft-ein-land-ohne-hoffnung.7af9efed-973a-4d3b-b2a9-d598e2faad28.html