Langsam lernen Unternehmen und Behörden, Mitarbeiterinnen mit Kopftuch nicht nur als Risiko, sondern auch als Chance zu sehen.

Sindelfingen - Als Nesibe Yurtsever sich vor einigen Jahren auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz gemacht hat, wurde sie schnell fündig. Die junge türkischstämmige Frau brachte ihre Bewerbung bei einer Sindelfinger Apotheke vorbei, wenig später konnte sie anfangen. Dass die heute 21-Jährige ein Kopftuch trug, war für die Chefin kein Hindernis. „Sie hatte keine Angst, Kunden zu verlieren, sondern ging davon aus, dass sie neue gewinnen würde“, erzählt Yurtsever, die inzwischen ihre Ausbildung abgeschlossen hat.

 

Die Rechnung der Chefin sei aufgegangen, berichtet die junge Frau. „Es sind viele Türken in die Apotheke gekommen, die nach mir gefragt haben.“ Schließlich konnte Nesibe Yurtsever ihnen die Rezepte in ihrer Muttersprache erklären. „Ein paar deutsche Kunden haben mich am Anfang zwar schräg angeschaut“, sagt sie, doch nach einigen Begegnungen mit der neuen Auszubildenden seien die Vorbehalte verflogen, berichtet Nesibe Yurtsever.

Im Böblinger Bauamt, bei Ikea und H&M

Im Landkreis Böblingen hat jeder Dritte einen Migrationshintergrund, bei jungen Menschen ist der Anteil noch höher. Offizielle Zahlen gibt es nicht, aber im Straßenbild wird deutlich, dass viele junge muslimische Frauen ein Kopftuch tragen. Die meisten von ihnen sind in Deutschland aufgewachsen, viele sprechen gut Deutsch und haben durchaus berufliche Ambitionen. Doch auf dem Arbeitsmarkt seien ihre Chancen schlecht, hieß es bis vor Kurzem.

Inzwischen findet bei Unternehmen und Behörden ein Umdenken statt. Ein Kopftuch wird nicht mehr automatisch mit mangelnder Integrationsbereitschaft oder gebrochenem Deutsch assoziiert. „Wichtiger bei Bewerbungen sind Schulnoten, ein selbstbewusstes Auftreten und gute Deutschkenntnisse“, berichtet Gabriele Baderschneider, die in Böblingen die Arbeitsagentur leitet.

Ob beim Böblinger Bauamt oder in den Sindelfinger Filialen des schwedischen Möbelhauses Ikea und der Bekleidungskette H&M – Kopftuchträgerinnen arbeiten inzwischen in ganz unterschiedlichen Bereichen. Nicht alle wollen über ihre Erfahrungen mit Journalisten sprechen, denn sie sehen sich nicht als „Vorzeige-Muslima“. Die Stadt Böblingen stellte schon Anfang der 90er Jahre eine Kopftuchträgerin ein, um nach den ausländerfeindlichen Brandanschlägen von Mölln und Solingen ein Zeichen zu setzen. Inzwischen werde die Mitarbeiterin aber als „ganz normale Kollegin“ gesehen, sagt der Böblinger Sprecher Wolfgang Pfeiffer.

Warnung vor der Opferrolle

„Firmen können Kopftuchträgerinnen als Chance oder als Risiko begreifen“, findet Müserref Gündogdu. Sie ist die bekannteste Kopftuchträgerin im Landkreis Böblingen: Gündogdu engagiert sich ehrenamtlich in Initiativen wie dem Nisa-Frauenverein und ist seit einigen Monaten Mitarbeiterin des Böblinger Bildungsforums. Wenn junge Kopftuchträgerinnen keinen Ausbildungsplatz finden, hilft Gündogdu über die Grenzen des Landkreises hinaus.

Natürlich gebe es Diskriminierung, sagt Gündogdu. „Manche Ärzte haben beispielsweise Angst vor den negativen Reaktionen ihrer Patienten und stellen deshalb keine Sprechstundenhilfe mit Kopftuch ein“, erzählt sie. Sie ermahnt die jungen Frauen aber auch, sich nicht in der Opferrolle einzurichten. „Auch Deutschstämmige bekommen Absagen auf Bewerbungen, das muss nicht am Kopftuch liegen.“ Wie Baderschneider hat sie die Erfahrung gemacht, dass Muslimas mit guten Schulnoten und Deutschkenntnissen auch mit Kopftuch einen Ausbildungsplatz finden.

Kopftuch seit dem elften Lebensjahr

Dort, wo Safiye Yildirim arbeitet, ist das Kopftuch kein Nachteil. In die Sindelfinger Praxis, in der die 20-Jährige ihre Ausbildung zur Zahnarzthelferin macht, kommen viele türkische Patienten. Nur eine der drei Auszubildenden sei aber „bedeckt“, erzählt Yildirim. Sie selbst trägt das Kopftuch seit ihrem elften Lebensjahr. Sie habe den Koran und religiöse Romane gelesen und dann für sich die Entscheidung getroffen, „meine Schönheit für mich und meinen zukünftigen Mann aufzuheben“, berichtet Yildirim. Ihre Eltern beschreibt die 20-Jährige als „religiös, aber nicht so streng“. Sie seien damals der Meinung gewesen, dass sich ihre Tochter mit der Verschleierung ruhig noch mehr Zeit lassen könnte. Nur einmal sei sie gefragt worden, ob sie das Kopftuch freiwillig trage, erzählt die 20-Jährige – von einem türkischen Mann.

Kopftuch und berufliche Ambitionen schließen sich für Yildirim nicht aus. „Ich möchte später in einer Klinik arbeiten, am liebsten im Bereich der Prophylaxe“, sagt sie. Das Kopftuch dürfte dabei kein Problem sein: Das Tragen eines Kopftuchs ist für Lehrerinnen und Erzieherinnen in Baden-Württemberg zwar verboten, weil Mitarbeiter von Bildungseinrichtungen keine religiösen Bekenntnisse abgeben dürfen. Für staatliche Kliniken gilt das nicht.