Die Landesregierung will im Verbund mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Kommunen die berufliche Ausbildung stärken. Das Konzept sieht mehr Beratung und leichtere Übergänge in Betriebe vor. Auch im Bund gibt es eine neue Initiative.

Stuttgart - Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) weiß, dass die Lage schlechter sein könnte: Beim Blick auf die Jugendarbeitslosigkeit in europäischen Nachbarländern könnte man meinen, Baden-Württemberg habe ein Luxusproblem, sagte der Landeschef am Dienstag bei der Unterzeichnung des neuen Ausbildungsbündnisses des Landes. Darin haben sich Regierung, Wirtschaft, Gewerkschaften und Kommunen auf konkrete Maßnahmen verständigt, mit denen die Ausbildungssituation in den nächsten vier Jahren verbessert werden soll.

 

Schließlich gebe es auch hier Schwierigkeiten, sagte Kretschmann und verwies auf die mehreren Hundert junge Männer und Frauen, die im vergangenen Jahr keine passende Ausbildungsstelle gefunden haben, auf die Zahl von knapp 6000 unbesetzten Ausbildungsstellen sowie auf den bereits augenscheinlichen Fachkräftemangel in mehreren wichtigen Wirtschaftsbereichen. „Wir können es uns angesichts der demografischen Entwicklung nicht leisten, dass Talente von jungen Menschen unentdeckt und unentwickelt bleiben“, so Kretschmann. Das gelte auch für jugendliche Flüchtlinge: „Die Wirtschaft im Land kann diese jungen, zumeist gut qualifizierten Menschen gut gebrauchen.“

Bewerber und freie Stellen passen nicht zusammen

Ein Grundproblem des derzeitigen Ausbildungsmarktes ist, dass die unversorgten Bewerber und die freien Stellen nicht zusammenpassen. Um das zu ändern, soll vor allem die Berufsberatung verbessert und ausgebaut werden. Ihre Hoffnung setzen die Partner des Bündnisses beispielsweise in das neue Schulfach Wirtschaft und Berufsorientierung, dass 2016 an allen allgemeinbildenden Schulen eingeführt wird. Auch der Übergang von der Schule in die Ausbildung soll vereinfacht werden, dazu sind bereits im vergangenen Jahr Projekte in vier Modellregionen angelaufen, in denen Jugendliche gezielter auf den Ausbildungsstart vorbereitet werden.

Als weitere Bestrebung des Bündnisses nannte Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) eine Senkung der Abbrecherquoten in der Berufsausbildung (derzeit 21 Prozent) sowie von Unterrichtsausfall an den Berufsschulen. Studienabbrechern soll der Wechsel in eine Lehre erleichtert werden. Zwar dürften Studium und berufliche Ausbildung nicht gegeneinander ausgespielt werden, allerdings sei es auch nicht verboten, für Letztere zu werben: „Die wenigen Länder, die ein ähnliches Duales System haben wie wir, haben auch ähnlich niedrige Jugendarbeitslosenzahlen“, so der Minister.

Die Ergebnisse werden in vier Jahren überprüft

Zum ersten Mal sei auch das Wissenschaftsministerium mit an Bord des Ausbildungsbündnisses, das 2004 erstmals in Baden-Württemberg geschlossen wurde. Eine weitere Neuerung sei, dass die erzielten Ergebnisse überprüft würden: „Wir wollen eine neue Verbindlichkeit schaffen“, so Schmid, der mit dem Pakt ein ambitioniertes Ziel verbindet: „Kein Jugendlicher darf ohne Ausbildung bleiben.“

Dass tatsächlich nicht alles eitel Sonnenschein ist, belegt eine weitere Zahl: In Baden-Württemberg leben 211 000 Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, die bereits Eltern von Kindern sind. Christian Rauch, der Chef der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit (BA) im Südwesten, sieht in der Erstausbildung von 25- bis 35-jährigen Erwachsenen einen weiteren Schlüssel für die Betriebe im Land, ihren Fachkräftebedarf zu decken. In den vergangenen drei Jahren sei es bereits gelungen, 6000 Menschen aus dieser Gruppe zu vermitteln. Gerade Teilzeitausbildungsmodelle seien für alleinerziehende Mütter interessant. „Wir wünschen uns, dass die Angebote, die wir im Bündnis machen, auch in den kommenden vier Jahren rege von den Betroffenen in Anspruch genommen werden“, so Rauch.

Opel will Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa bekämpfen

In Berlin hat unterdessen der Opel-Chef Karl-Thomas Neumann mit Unterstützung von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) eine Initiative der deutschen Wirtschaft vorgestellt, die helfen soll, die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa zu bekämpfen. „Wir tragen Verantwortung und wollen etwas tun, um den Betroffenen in ihren Heimatländern Chancen zu eröffnen“, betonte Neumann im Blick auf derzeit fünf Millionen arbeitslose Jugendliche in Europa. Dabei solle es gerade nicht darum gehen, Talente von anderswo nach Deutschland zu holen und hier auszubilden. 25 Unterstützer hat der Opel-Chef bisher gewonnen, hundert Unternehmen sollen es binnen Jahresfrist werden. Das Ziel der Initiative „In Charge“ ist es, durch Aktivitäten in den betroffenen Ländern jungen Leuten bessere Chancen auf ihrem heimischen Arbeitsmarkt zu erschließen. Dabei geht es um Beratung und Motivation, aber auch um Praktika, Lehrstellen und Arbeitsplätze.

„Wir werden nicht über unseren Bedarf hinaus ausbilden. Das kann kein Unternehmen leisten“, betonte Neumann. Aber hundert „Chancen“ für Arbeitssuchende – von der Beratung über Motivationstraining, Kontaktanbahnung bis hin zum Arbeitsplatz – soll jedes Mitgliedsunternehmen auf die Waage bringen. „Wir sind überzeugt, dass es falsch wäre, die jungen Talente nach Deutschland zu holen und hier auszubilden. Sie werden in ihren Heimatländern gebraucht“, betonte Neumann. Arbeitsministerin Andrea Nahles versprach volle Unterstützung. „Die deutsche Wirtschaft ist ein guter Botschafter für gute Ausbildung“, erklärte die Ministerin.