Spätestens nach der Schule müssen sich junge Menschen für einen Beruf entscheiden. Für jene, die nicht zum Studieren gehen, gibt es Ausbildungen, die seit vielen Jahren hoch im Kurs stehen. Wir haben mit Azubis und alten Hasen gesprochen.

Filder - Die Schule geht in dieser Woche wieder los, und auch das neue Ausbildungsjahr hat gerade begonnen. Laut einer Recherche der Deutschen Presse-Agentur (dpa) waren jedoch kurz vor dem Start etliche Plätze nicht besetzt. Gerade bei den mittelständischen Unternehmen, die in Deutschland neun von zehn Lehrlingen ausbilden, hatte sich demnach bereits Ende August ein Rückgang abgezeichnet.

 

Die Gründe: der demografische Wandel und damit verbunden sinkende Schülerzahlen sowie der Trend zum Studium. Und: Je kleiner ein Unternehmen sei, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass Lehrlinge beschäftigt würden – weil sie weniger erwirtschaften, als sie kosten. Von den Unternehmen mit weniger als fünf Mitarbeitern bildeten demnach zuletzt nur fünf Prozent aus. Dabei machten diese Betriebe 80 Prozent des Mittelstandes aus.

Nachwuchswerbung in Asylunterkünften hilft

Doch nicht überall ist der Trend negativ. Die Handwerkskammer Region Stuttgart etwa vermeldet für die 130 Berufsbilder ein Plus von 1,5 Prozent bei den neuen Lehrverträgen – obwohl durchaus Stellen frei geblieben sind. 4123 junge Menschen aus Stuttgart und dem Speckgürtel hätten Anfang September ihren Karriereweg im Handwerk gestartet. Laut der Sprecherin Julia Häcker sind der Kfz-Mechatroniker, Elektroniker, Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Friseur und der Tischler die beliebtesten Berufe, „die sind seit Jahren top“. Ein Grund fürs Plus sei unter anderem eine gute Nachwuchswerbung, etwa an Asylunterkünften oder Beratungsangeboten für Studienzweifler und -abbrecher. Auffallend: 17,2 Prozent der neuen Azubi-Generation brächten ein Abitur oder eine Fachhochschulreife mit. Vor zehn Jahren habe diese Quote noch deutlich unter zehn Prozent gelegen.

Doch was sagen die dazu, um die es geht? Wir haben mit vier Azubis und vier alten Hasen auf der Filderebene gesprochen.

Autohaus Briem in Filderstadt

Christian Lang grinst von einem Ohr zum anderen. „Dieses Rumgeschraube, auch wenn es mal etwas kniffliger wird, das Innenleben der Autos. Man lernt ständig etwas Neues“, sprudelt es aus dem 19-Jährigen heraus. Der junge Mann hat im Filderstädter Autohaus Briem sein drittes Lehrjahr abgeschlossen. In ein paar Monaten ist er Kfz-Mechatroniker, außerdem macht er nebenbei parallel an der technischen Philipp-Matthäus-Hahn-Schule in Nürtingen die Sonderausbildung zum System- und Hochvolttechniker. Kfz-Mechatroniker ist Christian Langs Traumberuf, dabei wollte er ursprünglich eigentlich Automobilkaufmann werden. Sein heutiger oberster Chef, Richard Briem, hatte ihm aber das Praktischere nahegelegt.

Der hat den Betrieb 1980 in Bernhausen gegründet. Den Kfz-Mechaniker hatte er selbst 1968 gemacht, später den Meister und den Betriebswirt draufgesattelt. Heute führt er drei Standorte in Plattenhardt, Unteraichen und Nürtingen. Knapp 20 junge Leute lernen dort. Seit Jahrzehnten entscheiden sich die meisten jungen Männer für die Ausbildung des früheren Kfz-Mechanikers. 2018 lernten laut dem Statistischen Bundesamt weit mehr als 64 000 Menschen diesen Beruf. Auch Richard Briem bekomme mehr Bewerbungen, als er Plätze anbieten könne. Dietmar Stauch, der Werkstattleiter in Unteraichen, lacht. Eine gewisse Affinität zu Autos gehöre in jedem Fall dazu, doch „man muss die jungen Leute manchmal auf den Boden der Tatsachen holen. Der Beruf besteht nicht nur aus Tuning“.

Im Gegenteil: Laut Dietmar Stauch, der seine Lehre in den 1980ern gemacht hat, ist die Lehre nicht mehr zu vergleichen. Vom einstigen Schrauber habe sich das Berufsfeld stark in Richtung Hightech entwickelt. In der Werkstatt müsse man heute ebenso mit Laptop und Diagnosegeräten wie mit dem Schraubenschlüssel umgehen können. Er spricht von Multitasking. Sein Chef Richard Briem nickt: „Der elektronische Part wird immer wichtiger. Da ist man heute Oberarzt.“

Kurzcheck:

Dauer der Ausbildung: 3,5 Jahre

Empfohlener Schulabschluss: Mittlere Reife

Karrierechancen: Meister, nach der Ausbildung hängen viele auch ein Studium an, etwa in der Entwicklung

Verdienst: 700 Euro im ersten und 850 Euro im vierten Jahr

Maler und Lackierer in Stuttgart-Degerloch

Ein bisschen Farbe, etwas Putz und hier noch ein paar Spritzer Lack. Unzählige weiße Tupfer sprenkeln Dennis Petschauers Arme. „Man wird auch mal dreckig“, sagt er und lacht. Dem 27-Jährigen macht das aber rein gar nichts aus. Er ist Maler und Lackierer aus Leidenschaft. Der Geselle ist Vorarbeiter beim Degerlocher Betrieb Giese. Wo manche wegen der Anstrengung abwinken, dreht er erst richtig auf. „Ich wollte immer was Handwerkliches machen. Man sieht abends, was man geschafft hat. Das motiviert.“ Außerdem sei der Beruf alles andere als eintönig. „Heute spachtle ich, morgen tapeziere ich, und übermorgen bin ich am Streichen.“

Seine Begeisterung hat auf den 18-jährigen Daniel Fischer abgefärbt. Er ist im Familienbetrieb gerade ins dritte Lehrjahr gekommen. „Büro ist nichts für mich. Ich möchte was anfassen“, sagt er. Diese Haltung ist heutzutage aber wenig verbreitet. Die Ausbildung zum Maler und Lackierer ist auf der Beliebtheitsskala abgerutscht. Laut dem Statistischen Bundesamt lernten 2018 gerade mal 12 200 der knapp 851 000 jungen männlichen Azubis diesen Beruf. Weibliche Maler und Lackierer gibt es sowieso kaum.

„Der Ruf des Handwerks hat in den letzten Jahren gelitten“, weiß Patrick Giese (30), der Chef, zudem gehe der Trend zum Studium. Viele kleine Betriebe bildeten auch nicht mehr aus. Bei Giese sind es mit den zwei neuen aktuell fünf Azubis. „Wir haben den Luxus, dass wir genug Bewerbungen haben“, sagt Patrick Giese.

Die Schulbank drückt Daniel Fischer in Feuerbach an der Schule für Farbe und Gestaltung. Von ehemals 20 Klassenkameraden seien nur noch zwölf da. Die anderen hätten hingeschmissen. „Die Ausbildung ist bei vielen eine Notlösung, weil sie nichts anderes gefunden haben“, weiß Dennis Petschauer, dann merkten manche, dass ihnen der Beruf doch nicht liege. Beim jungen Birkacher Daniel Fischer ist das aber nicht der Fall. „Hier lerne ich immer was Neues.“

Kurzcheck:

Dauer der Ausbildung: drei Jahre

Empfohlener Schulabschluss: Hauptschulabschluss

Karrierechancen: Meister, Fachrichtung wie Instandsetzungen oder Kirchenmalerei und Denkmalpflege

Verdienst: 510 Euro im ersten und 690 Euro im dritten Jahr.

Optiker Binder in Stuttgart-Möhringen

Möhringen ist nicht Mailand. Aus der italienischen Metropole kommen die Trends. In Sachen Mode, aber auch in puncto Brillen. Aber immerhin: In Möhringen sind sie dann auch zu finden. Darauf legt Martin Wenzel Wert. „Die Mode macht Mailand, danach wird eingekauft“, erklärt der Filialleiter des Optikergeschäfts Binder. Frische Trends gehören dazu, ebenso frisches Blut. „Wir bilden jedes Lehrjahr einen Auszubildenden aus“, sagt er.

Gerade ins zweite Lehrjahr gekommen ist Adonis Bajraj. Der 22-Jährige aus Möhringen schwärmt von der Vielseitigkeit seines Berufs. Er habe viel mit Kunden zu tun, und besonders die Werkstattarbeit, etwa das Einschleifen der Gläser, mache ihm Spaß, „denn ich bin der Typ, der Handarbeit sehr schätzt“. Sein Chef nickt. Man müsse vieles können. „Als Augenoptiker bin ich Psychologe, Einkäufer, Buchhalter, ich muss kommunizieren und bin ein kleiner Augenarzt“, sagt Martin Wenzel. Für den Lehrling außerdem wichtig: Mit einer Brille könne er anderen helfen. Itedal Hamdan (19) freut sich schon drauf. Sie hat ihre Ausbildung frisch am 1. September begonnen. Zum Vergleich: 2018 gab es in Deutschland knapp 480 000 weibliche Auszubildende – darunter aber nur knapp über 5000 angehende Optikerinnen. Die junge Frau aus dem Stuttgarter Osten ist aber voll motiviert. „Ich wollte einen Beruf mit Menschen, nichts Monotones“, sagt sie.

Martin Wenzel (48) hat seine Ausbildung in den 1990ern abgeschlossen. „Sie hat sich verändert, definitiv“, sagt er. Digitale Messgeräte, individueller angepasste und hochwertigere Gläser kämen ebenso dazu wie neue Trends, auch der Zusatzbereich Hörgeräteakustiker gewinne immer mehr an Bedeutung. „Die Leute hören und sehen immer schlechter“, sagt er, und die Kunden würden immer jünger. Grund sei die Arbeit am Bildschirm. Dementsprechend zukunftssicher sei der Job in seinen Augen. Er glaubt: „Jeder braucht irgendwann eine Brille.“

Kurzcheck:

Dauer der Ausbildung: drei Jahre

Empfohlener Schulabschluss: Mittlere Reife

Verdienst: 465 Euro im ersten, 655 Euro im dritten Jahr

Zahnarztpraxis Thomou in Stuttgart-Sillenbuch

Nur der Gedanke an den Gang zum Zahnarzt treibt manchen Menschen den Angstschweiß in die Handflächen. Mahsa Emamchahi jedoch freut sich jeden Tag darauf, in die Sillenbucher Praxis von Eleni Thomou zu kommen. Sie macht dort die Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA), früher Zahnarzthelferin. Die 34-Jährige ist gerade ins zweite Lehrjahr gekommen und hat den meisten Spaß am Bereich Chirurgie, wie sie sagt. Dass sie älter als viele Mitschülerinnen ist – nur ein Mann absolviert aktuell in ihrer Klasse an der Alexander-Fleming-Schule im Stuttgarter Norden die Ausbildung –, liegt daran, dass Mahsa Emamchahi erst seit sechs Jahren in Deutschland lebt. Die gelernte Buchhalterin kam als Flüchtling aus dem Iran nach Deutschland und hat sich beruflich neu orientiert. „Der medizinische Bereich hat mich schon immer interessiert“, sagt sie. Außerdem möge sie Menschen und arbeite gern körperlich, „ich bin sehr aktiv“.

Mit dem Profil passt sie gut in den Job, bestätigt ihr Olga Reichardt (32). Sie hat ihre Ausbildung zur ZFA 2007 abgeschlossen und betont, dass neben einer ruhigen Hand beim filigranen Arbeiten und viel Wissen über Hygiene, Behandlungen, Röntgen oder Organisatorisches Feingefühl im Umgang mit Patienten wichtig sei, „das muss man mitbringen. Wir gehen auf jeden individuell zu“. Immerhin trage man in dem Beruf viel Verantwortung.

Die ZFA nimmt seit Jahren einen Spitzenplatz bei den beliebtesten Lehrberufen unter Frauen ein. 2018 lernten knapp 31 000 diesen Beruf, das ist Platz drei. Dennoch bezeichnet die Zahnärztin Eleni Thomou die Nachwuchssuche als schwierig. Bewerbungen seien rar, und bei manchen Interessentinnen fehle es an Dingen wie Pünktlichkeit oder Höflichkeit. „Das Paket muss stimmen.“ Dafür werde die Ausbildung immer vielseitiger und spiegle den technischen und medizinischen Fortschritt wider. Eine Errungenschaft: digitales Röntgen. „Früher hat man für ein Bild sieben Minuten gebraucht.“

Kurzcheck:

Dauer der Ausbildung: drei Jahre

Empfohlener Schulabschluss: Mittlere Reife

Karrierechancen: durch Zusatzkurse kann man sich bis zur Dentalhygienikerin weiterbilden

Verdienst: 740 Euro im ersten und 830 Euro im dritten Jahr