Marion Oker muss nicht lange überlegen, um die Situation auf dem Ausbildungsmarkt im Kreis Böblingen zu schildern. „Mittlerweile kämpfen alle“, sagt die Geschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer im Kreis Böblingen. Es sei ein „Riesenproblem“, das große und kleine Betriebe durch die Bank beschäftige, sagt sie. Die Firmen müssten mittlerweile erhebliche Klimmzüge unternehmen, um geeignete Bewerberinnen und Bewerber für ihre Ausbildungsstellen zu finden.
„Seit Corona im Jahr 2020 ging die Zahl der Bewerber um ein Zehntel zurück“, sagt Oker. Doch die Hoffnung, dass die Delle nur pandemiebedingt war, erfüllte sich nicht. Oker: „Von diesem niedrigen Niveau hat sich der Markt bis jetzt nicht erholen können.“ Nicht nur die Zahl der Bewerber sei rückläufig, auch deren Qualifikation lasse hie und da zu wünschen übrig. Worauf führt die Expertin diesen Besorgnis erregenden Trend zurück? Die Gründe seien vielfältig.
Pandemie hat Spuren hinterlassen
„Zum einen ist es ganz klar der demografische Wandel, der jetzt immer mehr durchschlägt“, sagt sie. Geburtenschwache Jahrgänge der Nullerjahre seien jetzt im Absolventenalter, wodurch die sinkende Zahl schon biologisch gegeben sei. Doch auch die Pandemie habe ihre Spuren bei den jungen Menschen hinterlassen. „Viele wussten während Corona nicht so genau, was sie nach der Schule anfangen sollen – und haben erst mal ihr Glück auf einer weiterführenden Schule versucht“, sagt sie. Und das seien nicht nur allgemeinbildende Gymnasien – „auch Berufskolleg oder berufsbildende Gymnasien haben mehr Zulauf“, sagt Oker.
Dieser Weg sei aus ihrer Sicht keineswegs verwerflich, nur falle diese Entwicklung eben mit dem demografischen Wandel zusammen und verschärfe die Lage dramatisch. Oker: „Wir befinden uns in einer Talsohle, wissen aber nicht, wie tief und wie lange diese ist.“ Die gewerblichen und technischen Berufe erfreuen sich traditionell einer höheren Beliebtheit und sind weniger hart betroffen: Die Bewerbungen für eine Ausbildung zum Mechatroniker seien sogar im Plus.
Kaufmännische Berufe leiden besonders
Doch die vor allem der kaufmännische Bereich, zu dem auch Gastronomie und Handel gehören, sei stark rückläufig: Küchen, Hotel- und Gastrobetriebe, der Einzelhandel und sogar Banken kämpfen um geeignete Bewerberinnen und Bewerber. Ein ähnlich düsteres Bild zeichnen die Kreishandwerker. „4029 junge Menschen haben im vergangenen Jahr in Handwerksbetrieben in der Region Stuttgart eine Ausbildung begonnen – im Vergleich zum Jahr 2021 bedeutet das ein Minus von 5,3 Prozent“, sagt Thomas Wagner, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Böblingen. Der Rückgang verschärfe den grassierenden Fachkräftemangel weiter.
Schon der Azubi-Rückgang im vergangenen Jahr war nach den stabileren Vorjahren für ihn ein Alarmzeichen. Wagner: „Es braucht Anerkennung und Anstrengung für die berufliche Bildung.“ Denn auch wenn ein Handwerksbetrieb ausbildet, heißt dies ja keineswegs, dass die Ausbildungen auch erfolgreich abgeschlossen werden. Wagner: „Je niedriger der Schulabschluss des Auszubildenden zum Beispiel ist, desto höher das Risiko, dass sich Ausbilder und Azubi vorzeitig voneinander trennen.“ So werde im Handwerk durchschnittlich jede dritte Ausbildung abgebrochen. Die Gründe dafür seien vielfältig.
Mangelnde Berufsorientierung im Vorfeld
Die Betriebe nennen vor allem mangelnde Berufsorientierung des Azubis im Vorfeld, Fehlzeiten, Unpünktlichkeit, mangelnde Motivation und fehlendes Durchhaltevermögen oder mangelndes Sozialverhalten. Die Azubis geben im Gegenzug Kommunikationsprobleme und Konflikte mit dem Team an, Zeit- und Leistungsdruck oder ungünstige Arbeitszeiten. Es zeichnet sich ein Bild, nach dem viele Nachwuchskräfte den Anforderungen des Handwerks nicht mehr gewachsen sind. Bei allem Alarmismus sieht Wagner auch erfreuliche Entwicklungen.
„Erfreulich ist, dass das Interesse an klimarelevanten Berufen offensichtlich steigt“, sagt er. Gewerke wie Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Dachdecker oder Elektroniker konnten kräftig zulegen. Wagner: „452 Azubis begannen hier im Jahr 2022 ihre Ausbildung – so viele wie nie zuvor.“ IHK-Geschäftsführerin Marion Oker sieht in dem Trend zu einer längeren Schulbildung und mehr begonnenen Studiengängen ebenfalls eine Chance für die Wirtschaft: „Tatsächlich sehen wir eine steigende Zahl an Quer- und Späteinsteigern.“ Das seien all jene, die sich nach ein bis zwei Semestern Studium doch für eine Berufsausbildung entscheiden. „Die sind heiß begehrt, da sie schon mehr Lebenserfahrung und Vorbildung mitbringen“, sagt Oker.
Azubi-Speed-Dating unserer Zeitung im Riesenrad
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Anmeldung
Auf der Internetseite www.firstjob-dating.de gibt es alle Infos und die Anmeldemöglichkeit.