Zum zweiten Mal hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in Baden-Württemberg Lehrlinge zu ihrer Ausbildungssituation befragt. Ein Drittel der Befragten beklagte teils gravierende Missstände in ihren Lehrbetrieben. Gewerkschaften fordern mehr Engagement von Unternehmen und Politik.

Stuttgart - Es klingt eher nach Ausbeutung als nach Ausbildung, was Alexander Münchow beschreibt. Der Landesbezirkssekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) spricht über Arbeitszeiten von 13 bis 15 Stunden täglich, nicht selten zwei Wochen am Stück. Er berichtet von Betrieben, die ihre Lehrlinge, nachdem diese von Montag bis Freitag in der Berufsschule gebüffelt haben, zum Dienst am Samstag und Sonntag verpflichten. Und er schildert die Situation von Azubis, die zu Hotelfachleuten ausgebildet werden wollen, aber dauerhaft und ohne Anleitung eines Ausbilders in den Service gesteckt werden, weil dort gerade das Personal knapp ist. „Dabei lernen sie gar nichts“, kritisiert Münchow, der von „skandalösen Bedingungen“ spricht. „Man macht mit den Azubis, was man will. Wer glaubt, auf diese Art neue Fachkräfte gewinnen zu können, der irrt.“

 

Die Jugendlichen würden ihre eigenen Schlüsse ziehen und die Branche wechseln – oder bereits vorher auf Alternativen ausweichen. Die Zahl der Abbrüche und die der unbesetzten Lehrstellen im Land spricht für sich: Für Köche sind nach Angaben der Industrie- und Handelskammer derzeit 340 Lehrstellen unbesetzt, für Restaurantfachleute 260 und für Hotelfachleute 200. Panikmache oder gar Rufschädigung will sich der NGG-Vertreter etwa vonseiten des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga nicht vorwerfen lassen. Er sagt: „Die Verhältnisse sind eklatant. Deswegen müssen wir den Finger in die Wunde legen.“Wo die Wunden sind und ob sie tiefer werden, untersucht der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) auf Bundesebene seit vielen Jahren und im Südwesten seit 2015 durch Befragungen von Auszubildenden in den Berufsschulen. Die DGB-Landesorganisation hat am Donnerstag ihren zweiten Ausbildungsreport vorgestellt. Zugrunde liegt die Befragung von gut 1300 Lehrlingen aus den 23 meistfrequentierten Berufen zwischen September 2015 und August 2017.

1300 Lehrlinge aus 23 Berufen wurden befragt

Demnach ist zwar die Mehrheit der Befragten – rund 68 Prozent, gegenüber 71 Prozent bei der vergangenen Befragung – mit ihrer Ausbildung zufrieden oder sehr zufrieden. Doch im Umkehrschluss sieht sich auch etwa ein Drittel teils mit massiven Missständen konfrontiert: So beklagten 34 Prozent der Befragten das Fehlen eines betrieblichen Ausbildungsplans. Bei knapp 20 Prozent der Befragten, die ihren Ausbildungsplan kennen, werde dieser nur manchmal, selten oder nie eingehalten. Jeder zehnte Azubi müsse regelmäßig ausbildungsfremde Tätigkeiten erledigen, etwa Botengänge oder Einkäufe für den Chef.Während viele der beklagten Missstände in ähnlicher Ausprägung auch bei bundesweiten Befragungen genannt werden, ragt ein Wert für Baden-Württemberg im negativen Sinne heraus: Mehr als 43 Prozent der Lehrlinge leisten regelmäßig Überstunden, der Bundesschnitt liegt bei gut 33 Prozent. „Das ist eine erschreckende Zahl. Es geht darum, einen Beruf zu erlernen, und nicht darum, gewinnbringend tätig zu sein“, erklärte der DGB-Bezirksjugendsekretär Andre Fricke.

Minderjährige dürfen nicht länger als 40 Stunden arbeiten

Die Grenze zur Illegalität überschreiten Betriebe, die minderjährige Azubis länger als 40 Stunden pro Woche arbeiten lassen. Dies trifft laut den Befragungsergebnissen auf mehr als zehn Prozent der Auszubildenden unter 18 Jahren zu. „Wir fordern, dass die zuständigen Stellen, wie die Kammern, ihrer Aufsichtspflicht nachkommen und Verstöße in den Betrieben konsequent ahnden“, so Fricke weiter. Von der grün-schwarzen Landesregierung fordert der DGB-Bezirksjugendsekretär die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe, um die Ausbildungsquote von derzeit 20 Prozent zu erhöhen. Betriebe, die nicht ausbilden, müssten demnach in einen Fonds einzahlen. Dieses Geld sollte dann an Unternehmen gehen, die „ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen“.

Wie die Jugendlichen die Ausbildungsqualität beurteilen, ist von der Betriebsgröße und dem jeweiligen Lehrberuf abhängig. Generell schneiden größere Betriebe besser ab. Zu den am besten bewerteten Berufen zählen Industriemechaniker, Fachinformatiker und Elektroniker. Dagegen landeten Friseure, Verkäufer und Köche – Berufe mit weit überdurchschnittlichen Abbrecherquoten – auf den hinteren Plätzen. „Wer weniger ausbildet und schlechtere Qualität bietet, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm bald die Fachkräfte fehlen“, erklärte DGB-Vertreter Fricke.