Der Sportwissenschaftler Ansgar Thiel sieht die Bedeutung der Sportvereine nicht nur für die Gesundheit wachsen. Nicht nur die Digitalisierung sei eine große Herausforderung

Wer 175 Jahre am Markt ist, muss vieles richtig gemacht haben. Das gilt auch für die Sportvereinigung Winnenden, gegründet 1848. Aber nicht nur Hans-Jürgen Will, der Vorsitzende, macht sich Gedanken über die Zukunft. Bei der Jubiläumsfeier am Freitag im Auditorium der Firma Kärcher in Winnenden wurde nicht in Erinnerungen geschwelgt, sondern über die Zukunft diskutiert. „Wir wollen uns selbstkritisch den Spiegel vorhalten“, sagte Will. Den Spiegelhalter gab der Sportwissenschaftler Ansgar Thiel aus Tübingen. Der 59-Jährige zeichnete ein optimistisches Bild von der wachsenden Bedeutung der Sportvereine in den nächsten Jahren. Ursächlich dafür sind auch die Babyboomer, zu denen er zählt, die demnächst in Rente gehen. „Die wollen Sport machen. Aber keinen medikamentierten und defizitorientierten Seniorensport.“

 

Angebote für Babyboomer

Neben den Chancen warteten deshalb große Herausforderungen auf die Sportvereine und den Sport im Allgemeinen in den nächsten Jahren, sagte Ansgar Thiel. „Denn Alter ist längst nicht mehr das, was es einmal war.“ Das Bewegungsangebot müsse an das Selbstverständnis der Zielgruppe angepasst werden. Bei den Babyboomern, die der hauptamtliche Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen und von 2010 bis 2022 Direktor des Instituts für Sportwissenschaft augenzwinkernd auch „Bissles“ nennt, weil sie von allem ein bisschen was mitbekommen hätten, zähle nicht das Alter, sondern der Leistungsstand.

Ansgar Thiel verriet, dass er noch immer locker 85 Liegestütze schaffe und zeigte Fotos der „Generation um die 80“, darunter die Rolling Stones. Die „Immobilitätsspirale“ bei der biologischen Alterung wurde mit einer kleinen Gleichgewichtsübung für die Gästen im Saal erlebbar. Nur bei denen, die es schafften, auf einem Bein stehend mit geschlossenen Augen und Kopf im Nacken mit dem rechten Fuß Kreise zu beschreiben, sei „gleichgewichtsmäßig alles okay“, sagte der Fachmann.

Fakt sei, Sportlerinnen und Sportler lebten länger und würden gesünder sterben, sagte Ansgar Thiel. „Die meisten Menschen in Seniorenheimen verbringen den Alltag sitzend, mit fürchterlichen Konsequenzen.“ Der Professor forderte mehr Bewegungsgelegenheiten in den Städten und Menschen, die andere in Bewegung bringen. In Barcelona tanzten die Menschen auf den Straßen, weil es Paare gebe, die eine kleine Musikanlage aufbauten und anfingen zu tanzen.

Der Sport, virtuelle Realität und KI

Die Potenziale der Sportvereine seien noch nicht alle bekannt, sagte Thiel. Die Gefahren schon. Die Digitalisierung sei eine große Herausforderung, die auch den sozialen Umgang verändere, was wiederum die Vereine fordere, die Menschen vereinten. Die virtuelle Welt werde wichtiger und sei vielleicht interessanter als das Leben in der realen Welt, in der jeder seine Malaisen habe. KI werde in alle Lebensbereiche eingreifen, erklärte der Sportwissenschaftler. „Die virtuelle Realität wird eine ähnliche Bedeutung haben wie die analoge.“ Damit werde dieses Thema auch für den Sport immer wichtiger, und den Vereinen komme eine besondere Bedeutung zu, so Ansgar Thiel. „Sportvereine waren früher politische Organisationen und sind es wieder. Sie sind gefordert, Leistungen für den Zusammenhalt der Gesellschaft und deren Überleben zu bringen.“