Trumps Wahlsieg ist historisch. Er wird mehr noch als sein erster Triumph ein verwandeltes Land hinterlassen. Warum es mit den Vereinigten Staaten, die man zu kennen glaubte, vorbei ist.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Donald Trumps erster Wahlsieg 2016 erschien als Betriebsunfall – sein zweiter Wahlsieg hat eine historische Dimension, die womöglich mit den Wendepunkten des Jahres 1932 zu Gunsten des Demokraten Franklin D. Roosevelt oder 1972 und 1980 mit den Erdrutschsiegen der Republikaner Richard Nixon beziehungsweise Ronald Reagan vergleichbar ist.

 

Ein Wahlsieg verkörpert den Wandel

Trumps Wiederwahl signalisiert eine politische Neuorientierung der US-Gesellschaft, ein „realignment“, wie die Amerikaner sagen. Dafür gab es vor der Wahl klare Anhaltspunkte, wie Nate Cohn, Spezialist für Meinungsumfragen bei der New York Times nur Tage vorher ahnungsvoll skizzierte. Seit fast 20 Jahren hätten liberale Ideen die politische Kultur der USA dominiert. „In den vergangenen Jahren schien diese liberale Energie zu verschwinden“, schrieb er. Von der Wirtschaftspolitik bis zur Einwanderung sei die Gesellschaft nach rechts gerückt.

Und man kann die Hypothese wagen, dass es ohne die persönlichen Angriffspunkte von Trump angesichts der politischen Stimmung im Land noch ein größerer Erdrutsch hätte werden können.

Wie man sich durch persönliche Amoralität selbst ein Bein stellen kann, hat der Republikaner Richard Nixon vorgeführt. Wenn der nicht den Watergate-Abhörskandal provoziert hätte, hätte seine Wiederwahl 1972, die einer der deutlichsten Wahlsiege der US-Geschichte gewesen ist, bereits die konservative Wende markiert, die dann erst Ronald Reagan 1980 vollendete.

Trumps Sieg reicht in die Breite der Gesellschaft

Dennoch: Die Breite von Trumps Sieg sollte man nicht unterschätzen. Fast überall hat er gegenüber der Wahl 2020 zugelegt, teilweise massiv, auch in bisherigen demokratischen Hochburgen wie New York City mit plus acht Prozentpunkten oder mit plus zehn Prozentpunkten im Durchschnitt der von Latinos dominierten Counties in den USA. Als erster Republikaner 2004 dürfte er im Gegensatz zu 2016 auch die Mehrheit der abgegebenen Stimmen im Land hinter sich versammelt haben.

Der klare Sieg im Senat und der absehbare Erfolg im Repräsentantenhaus wird es ihm ebenfalls erlauben, dem Land seinen Stempel aufzudrücken. Trump hat ein klares Mandat. „Wir müssen uns der traurigen Wahrheit stellen, dass auf zu viele Amerikaner ein starker Mann anziehend wirkt“, schrieb die Kolumnistin Jennifer Rubin in der Washington Post, ihres Zeichens einst eine gemäßigte Republikanerin.

Demokratische Kernklientel ist übergelaufen

Trump ist in den Kern der bisherigen Klientel der Demokraten vorgestoßen: Er punktet bei Gewerkschaftsanhängern, bei weniger Gebildeten, bei Jungwählern, bei Latinos und Afroamerikanern, dort eher bei Männern. Der Vorwurf von 2016, Trumps Wählerschaft sei eine Ansammlung rassistischer Weißer, zündet nicht mehr.

Trump habe etwas geschafft, was die Republikaner lange angestrebt, aber nie vollzogen hätten, schreibt die „New York Times“: „Trumps Abschneiden hat die republikanische Partei nicht auf einen Schlag in die multiethnische Allianz von Wählern aus der Arbeitnehmerschicht verwandelt, die laut einiger Strategen für deren überleben in einem sich rapide verändernden Land ist. Aber er hat sie in diese Richtung geschubst.“ Es geht um nichts weniger als die Entmachtung und Demütigung der bisher im Bildungssystem, im Staatsapparat und auch in der Wirtschaft dominierten Eliten des Landes.

Vollkommene Verwandlung der Republikaner

Die Wandlung der Republikaner ist nun komplett: Von einer Partei des Freihandels und des Internationalismus, einer Interessenvertretung der Wohlhabenden zu einer Partei des Populismus in allen Facetten, vom Isolationismus bis zum Versprechen vor allem Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen etwa bei der Steuerpolitik im Blick zu haben.

Dass Trumps reale Politik in seiner ersten Amtszeit ganz anders war und dass in seinem unmittelbaren Gefolge die Reichen dominieren, ändert nicht an der durch ihn radikal umgekrempelten Selbstdarstellung der Republikaner. Er findet freundliche Worte über Gewerkschaften und die Verlierer der Gesellschaft, erweist ihnen einen Respekt, den sie von den als arrogant wahrgenommenen Bildungseliten der Demokraten vermisst haben. Den von diesen als Freund und Helfer propagierten Staat sehen ausgerechnet diejenigen, die von ihm eher profitieren, als inkompetent oder gar als Feind.

Bedingungsloser Führerkult

Die republikanische Partei ist dabei zu einer Führerbewegung geworden, die Trump blind ergeben ist. Alle seine Gegner sind an den Rand gedrückt oder haben die Partei verlassen. Auch im Kongress zeigt sich: Das Trumpsche Weltbild von Politik als Kampfsport ohne Kompromisse ist bei seinen Parteifreunden fest verankert.

Schon in seiner ersten Amtszeit hat Trump vor allem beim Obersten Gerichtshof der USA durch die Ernennung konservativer Richter Spuren hinterlassen, die noch über Jahrzehnte spürbar sein werden.

Der Staat wird umgekrempelt

Den durch die Republikaner zurückeroberten Senat im Rücken, wird er etwa durch die systematische Ernennung konservativer Richter die letzte unabhängige Säule im US-Staatsaufbau parteipolitisch prägen – mit langfristigen Folgen. Der Plan für einen massiven Umbau der Bundesbürokratie steht ebenfalls. Trump wird konsequent Loyalisten auf wichtige Posten setzen und nicht mehr wie 2016 auf ein Establishment zurückgreifen müssen, das ihm misstraute.

In Gestalt von zahlreichen Senatoren und Abgeordneten und vor allem seines ehrgeizigen Vizepräsidenten JD Vance, die Trump ihren Aufstieg verdanken, stehen loyale Erben seiner Politik bereit, wenn er von der politischen Bühne abtreten sollte.

Trump spiegelt die USA wie sie sind

Der Schock, dass ausgerechnet der verurteilte Kriminelle Trump das Land dauerhaft prägen wird, hat in den meist liberal ausgerichteten Leitmedien des Landes die Reaktionen geprägt. „Hört auf, euch vorzumachen, dass Trump nicht so ist, wie wir sind“, schreibt der Kolumnist Carlos Lozada in der New York Times: „Was einmal als unnormal, ja unamerikanisch galt, wurde zu etwas Akzeptablem umdefiniert und spiegelt das, was wir vorziehen.“ Eine Welle von Protesten und des Widerstands gegen Trump wie 2016 ist deshalb kaum zu erwarten.

Die Trump-Ära sei nicht nur ein Interregnum gewesen, sagt der Washingtoner Reporter-Veteran Peter Baker: „Sollte er tatsächlich seine jetzige Amtsperiode zu Ende führen, sieht es so aus, als ob es eine zwölf Jahre währende Ära wird, die Trump genauso lange in den Mittelpunkt der politischen Bühne rückt, wie es bei Franklin D. Roosevelt und Ronald Reagan der Fall gewesen ist.“