In Alfdorf gibt es zwei Schlösser. Im einen residiert der Bürgermeister. Das andere ist – samt einem 600 Jahre altem Baum – im Besitz derer, denen einst der ganze Flecken gehört hat.

Nicht jeder Ort in der Größe von Alfdorf im Osten des Rems-Murr-Kreises mit seinen gut 7000 Einwohnern kann gleich zwei Schlösser vorweisen. Das gut 550 Jahre alte Untere Schloss ist nach wie vor in Privatbesitz. Im Mitte der 1980er gründlich renovierten Oberen Schloss sitzt schon seit einigen Jahrzehnten kein Adel mehr. „Schlossherr“ ist dort der Alfdorfer Bürgermeister, zurzeit also Ronald Krötz, der just vor Beginn der Pandemie Anfang des Jahres 2020 ins verantwortungsvolle kommunale Amt mit Sitz an exquisiter ortshistorischer Stätte gewählt worden ist.

 

Der Schultes wird Schlossherr

Mit dem Einzug der Gemeindeverwaltung ins Obere Schloss und dessen neuen Anbau ging 1985 in Alfdorf eine jahrhundertealte Tradition zu Ende. Seit dem 17. Jahrhundert hatte dort nämlich das Geschlecht derer vom Holtz residiert. Die Alfdorfer Adelsfamilie war gegen Ende des 20. Jahrhunderts aber, heißt es in den Ortsannalen, so klein geworden, dass ihr entgegen früherer Notwendigkeiten ein Schloss als Wohnsitz genügte. Das Untere Schloss, gelegen – natürlich – in der Unteren Schlossstraße zu Alfdorf.

Die Herren vom Holtz sind aus Bayern

Das Alfdorfer Adelsgeschlecht, das seit rund 400 Jahre eng mit der Gemeinde am Rand des Schwäbischen Waldes verknüpft ist, stammt ursprünglich aus Bayern. Anfangs, so berichtet die Oberamtsbeschreibung von 1858, habe man sich seitens der Angehörigen nicht so recht auf den adligen Namen einigen können. „Vom Holz, im Holz, aus dem Holz, zum Holz, vom hintern Holz“ waren damals offenbar im Gespräch und auch in unterschiedlichen Formen historisch überliefert. Am Ende sich dann das schlichte „vom Holtz“ durch.

Es geht um die evangelische Lehre

Baron Georg Friedrich vom Holtz hat, so belegen Urkunden, im April 1628 dem württembergischen Herzog einen Teil von Alfdorf abgekauft. Die Bedingung dafür war, dass er in seinem Leben „die evangelische Lehre pflegen“ müsse. Georg Friedrich war zu jener Zeit Kapitän in der kurbayerischen Armee unter dem katholischen Heerführer Tilly. Dieser hat dem Baron angeblich einen hohen Rang im Heer versprochen, wenn er katholisch würde – Georg Friedrich aber blieb Protestant.

Retter im 30-jährigen Krieg

Zu dem von ihm erworbenen Besitz gehörte unter anderem das Untere Schloss, das Mitte des 16. Jahrhunderts in der Tradition eines Steinhauses erbaut worden war. Der Herzog von Württemberg sei damals mit dem Baron so zufrieden, so die Oberamtsbeschreibung, dass er ihm anno 1640 auch noch die andere Hälfte des damaligen Örtchens dazugab – inklusive des im Jahr 1602 gebauten Oberen Schlosses samt dem dortigen Schlosspark. Im Dreißigjährigen Krieg soll Baron Georg Friedrich durch Unterhandlungen mit dem schwedischen Feldmarschall verhindert haben, dass sein Flecken geplündert wurde. Und nach seinem Tod hat er, so ist überliefert, Stiftungskapital hinterlassen, mit dessen Hilfe jeweils an seinem Todestag Brotlaibe an bedürftige Alfdorfer verschenkt wurde. Bis zum Jahr 1805 verwalteten die vom Holtz ganz Alfdorf. Am Ostportal des Oberen Schlosses zeugen davon noch heute Familienwappen, und eine Schrifttafel verweist auf Baujahr und Baumeister.

Das Untere Schloss

Das Untere Schloss ist im Jahr 1720 mit einem Torbau zur Straße hin versehen worden. Ein Torbau, der quasi direkt neben dem möglicherweise ältesten Baum der gesamten Region Stuttgart steht. Der geneigte Wanderer auf den Wanderwegen, die Alfdorf kreuzen, erblickt den auf Eichenholzkrücken ruhenden Methusalem, wenn er vor dem Tor des Unteren Schlosses in Alfdorf steht und über den Zaun linker Hand späht. Ein kurzer Gang durch jenen Torbau mit anschließendem direktem Blick auf das Naturdenkmal besonderer Art hat uns bislang keinen Rüffel der Schlossherren eingetragen.

Eine 1000-jährige Linde?

Eine Postkarte aus dem Jahr 1955 preist den in vier auseinanderstrebende Teile gerissenen Baum unbescheiden als „tausendjährige Linde“. So heiße sie im Volksmund, hat dazu vor einigen Jahren einer der Freiherren vom Holtz bestätigt. Er fügte allerdings hinzu, die Linde beim Unteren Schloss sei tatsächlich wohl nicht ganz so alt. Eine exakte Altersbestimmung ist nicht möglich, weil bei einem Gewitter 1884 die Linde nach einem Blitzschlag auseinandergebrochen ist. Damals war sie etwa 34 Meter hoch, berichteten Zeitzeugen. Die Linde habe einst das Schloss um fast zehn Meter überragt.

Eichenholz als Stützkorsett

Seit knapp 140 Jahren fehlt dem Baum die stabilisierende Mitte. Die auskragenden Reststämme des Baum-Methusalems stützen sich inzwischen auf massive Eichenholzbalken. Im Jahr 1906 wurde eine junge Linde ins Zentrum des Baumkranzes gepflanzt, die seitdem ebenfalls eine stattliche Höhe erreicht hat. Anhand der Maße ist trotz fehlender Baum-Mitte das Alter der ursprünglichen Alfdorfer Linde grob ermittelt worden. Sie hatte zum Zeitpunkt des Blitzeinschlags auf Brusthöhe wohl einen imposanten Durchmesser von etwa 2,75 Metern. „Eine Linde dieser Größe hat einen jährlichen Zuwachs von maximal drei Millimetern“, so die Schätzung, von der die Familie vom Holtz berichtete. Die klare rechnerische Folgerung: „Im Jahr 1884 war die Linde also mindestens 458 Jahre alt.“

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Weiter gerechnet wäre die Schlosslinde von Alfdorf heute rund 600 Jahre alt. Es wird vermutet, dass der – übrigens auch im württembergischen Baumbuch von 1911 verewigte – Baumveteran womöglich schon 1412 am angestammten Platz am Unteren Schloss zu Alfdorf gestanden hat. Gut 100 Jahre bevor hierzulande der württembergische Herzog von den Bauernkriegen überrascht wurde.

Zwischen Wald und Haselbachtal

Wanderwege
 Durch und nach Alfdorf führen – ob von den Seen nördlich des Ortes am Rand des Schwäbischen Waldes oder südlich aus dem Haselbachtal – einige Wanderwege. Ein Tipp: Von Parkplatz bei Lorch-Bruck über die Schillergrotte hinab zur Brucker Sägmühle, hinauf nach Großdeinbach bis Waldau und wieder links hinab nach Haselbach. Am manchmal geöffneten Gasthaus vorbei hoch nach Alfdorf zu den Schlössern und über den Hohlen Stein zurück nach Bruck. 16 Kilometer, 520 Höhenmeter – nachzulesen in: Dieter Buck, Erlebniswanderungen Remstal und Schwäbisch-Fränkischer Wald, Verlag J.Berg. Der direkte Weg von der Brucker Sägmühle nach Haselbach spart einige Kilo- und Höhenmeter.