Es stürzte seinen Baumeister in Selbstzweifel. Es bescherte seinem Bauherren Glücksgefühle. Es machte Hightech zum romantischen Beiwerk. Das Schlösschen in Weil hat royales Flair. Doch in ihm stecken auch Widersprüche.

Prachtvoll – doch auf verschämte Weise. Romantisch – doch mit Hightech gepaart. Idyllisch – doch umgeben von modernen Wohnbauten. Das Schlösschen im Esslinger Stadtteil Weil steckt voller Widersprüche. Als Sommerfrische, als Landsitz, als schickes Domizil in der Nähe seines Gestüts hatte sich der württembergische König Wilhelm I. den Pavillon errichten lassen. Heute befindet sich das Gebäude in Privatbesitz und kann nicht besichtigt werden. Doch im Umfeld finden sich zwischen Wohnbebauung, Sportanlagen und der nahe gelegenen B 10 Spuren der königlichen Vergangenheit.

 

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Wann setzte Weil auf das richtige Pferd?

Wilhelm I. war ein Pferdefan. Die Zucht edler Rosse war sein Steckenpferd. 1817 erklärte der Monarch laut Quellen des Stadtarchivs Esslingen per Dekret die Königlichen Domänen Weil, Scharnhausen und Klein-Hohenheim zu seinem Privatgestüt. Edle arabische Vollblüter wurden hier gezüchtet, die europaweit einen ausgezeichneten Ruf hatten. Der König wollte in der Nähe seiner geliebten Vierbeiner sein. Darum ließ er das Schlösschen Weil für regelmäßige Stippvisiten erbauen. Seine Tierliebe hatte aber auch ihre Grenzen. Der Landsitz entstand an der heutigen Königsallee am Rande des damaligen Gestüts – abseits von Geruch, Lärm und Umtriebigkeit der Stallungen.

Ist die Umgebung in Weil denn königlich?

Zu Wilhelms Zeit ja. Das Schlösschen entstand in einem idyllischen Ambiente. Beim Baustart im Jahr 1818 wurde das Gebäude vor einem See auf einem künstlich aufgerichteten Hügel in einer Wiesenlandschaft mit Park und einer Kastanienallee errichtet.

Warum ist dann das Schloss eher schlicht?

Es sollte etwas hermachen. Doch auf versteckte Weise. Wilhelm wollte einen standesgemäßen Landsitz mit architektonischer Zurückhaltung. Der 1816 auf den württembergischen Thron gelangte Monarch wollte sich laut einer an der Universität Stuttgart entstandenen Bachelorarbeit von seinem verschwendungssüchtigen, unbeliebten Vater Friedrich I. abheben.

Nach den verheerenden Napoleonischen Kriegen, wegen der rückständigen Wirtschaft, dem darbenden Volk und der hohen Staatsverschuldung wollte er nicht protzen. Zumal seine Untertanen in Folge des Ausbruchs des Vulkans Tambora in Indonesien Missernten einfuhren. Denn die Asche befand sich noch jahrelang in der oberen Stratosphäre und schirmte das Sonnenlicht ab. Wilhelm wollte daher ein Schlösschen mit gebremstem Pomp.

Warum war der Architekt so unglücklich?

Giovanni Salucci machte sich an die schwierige Aufgabe. Der 1769 in Florenz Geborene studierte bereits mit 14 Jahren Architektur. Doch dann wurde er zum Revolutionär. 1797 schloss er sich der Befreiungsbewegung gegen den Regenten Pietro Leopoldo in der Toskana an. Er wurde als einer der Drahtzieher der Aufstände zum Tode verurteilt und entging seiner Hinrichtung nur durch Flucht. Über mehrere Stationen landete er in Württemberg in Diensten des Königs. Das Schlösschen in Weil war sein erster Auftrag. Es gebe nur einen schwachen Eindruck seiner Fähigkeiten, meinte der Baumeister selbstkritisch. Doch der König stellte ihn nach Ablauf der Probezeit ein – und behielt ihn bis 1839. Dann wurde Salucci entlassen, weil man ihn für den Hausschwammpilz im Schloss Rosenstein verantwortlich machte.

Was macht die Technik in der Romantik?

Im Schlösschen Weil wurden einheimische Hightechprodukte der Zeit verbaut. Die Galerie gilt als frühes Beispiel industrieller Eisenproduktion. Die Elemente dafür wurden, wie aus Quellen des Stadtarchivs Esslingen hervorgeht, in der landeseigenen Eisenhütte in Wasseralfingen bei Aalen hergestellt und am Außenbau zur Schau gestellt. Als hochmodern gilt auch die Glas-Eisendachkonstruktion des Treppenhauses. Produkte „made in Württemberg“ wurden hier auch zur Eigenwerbung gezeigt.

Was gibt es um den Pavillon zu sehen?

Das Schlösschen Weil an der Königsallee 33 kann nur von außen bestaunt werden. Rund um den königlichen Pavillon finden sich Spuren des einstigen königlichen Gestüts und der dort veranstalteten Pferderennen. Am Wannenrain 1 und 3 hatte Salucci ältere Gebäude für Zwecke der Pferdezucht mit Scheune umgebaut. An der Klosterallee 20 kann noch der Stutenstall erahnt werden. In der Nähe des Schlösschens erinnern auch der neugotische Eckturm der erst 2007 abgebrochenen Traineranstalt des Württembergischen Reitvereins sowie ein ehemaliges Kartenhäuschen an die Vergangenheit. Auch der Straßenname „An der Rennbahn“ ist Zeugnis der früheren Nutzung.

Wann war das Schlösschen nicht royal?

Nach dem Tod Wilhelms I. wurde der Pavillon jahrzehntelang von der früheren württembergischen Königsfamilie genutzt. 1932 wurden die königlichen Besitzungen dem Staat Württemberg übereignet, 1935 das Gestüt aufgelöst und das Gebäude von privater Seite genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente der ehemalige Landsitz als Unterkunft für Flüchtlinge und Obdachlose und wurde zeitweise an einen Sportverein vermietet. Von 1969 bis 1972 wurde das Schlösschen von Privatleuten renoviert. Seitdem hatte es mehrere Besitzer. Einst war es der Stolz des Königs gewesen: „Ach, dass ich von so einem schönen Flecken scheiden muss“, soll Wilhelm I. 1864 kurz vor seinem Tod bei seinem letzten Aufenthalt gesagt haben.

Unterwegs in der Region

Serie
Auf Erkundungstour in der Region – zu geheimnisvollen Burgen und Ruinen, prächtigen Schlössern und eindrucksvollen Kirchen. Wir machen uns in und um Stuttgart auf die Suche nach Schlossgespenstern, erzählen spannende Geschichten aus vergangenen Tagen und liefern Wissenswertes zu mächtigen Mauern in luftigen Höhen. Unsere Sommerserie widmet sich diesen kulturellen und historischen Sehenswürdigkeiten und bietet Anregungen für Ausflüge, die sich lohnen. Wetten, dass auch für Sie etwas dabei ist?

Denkmaltag
Unter dem Motto „Den Pferden auf der Spur. Die spannende Geschichte der Domäne Esslingen-Weil“ bietet Lucas Bilitsch vom Landesamt für Denkmalpflege eine Fahrradtour nach Weil an. Am Tag des offenen Denkmals am Sonntag, 11. September, kann dort mondänes Ambiente, royales Flair und der einstige Tummelplatz der High Society unter fachkundiger Führung entdeckt werden. Treffpunkt ist um 10.30 Uhr am Landesamt für Denkmalpflege in der Berliner Straße 12 in Esslingen.