Erst Rekrutierungsort für die Kreuzzüge, dann drückte Hölderlin hier die Schulbank, bevor ein Senfhersteller übernahm. Eine lange und ungewöhnliche Geschichte macht das Kloster Denkendorf zu einem besonderen Anziehungspunkt für historisch Interessierte.

Eine Gottesfestung – so nannten die ersten Pröpste das Kloster Denkendorf. Hoch thront es auf einem Felsvorsprung über dem Ort. Es war die Zeit der Kreuzzüge, und auch hier im Gebiet des heutigen Kreises Esslingen warb man um finanzielle Unterstützung und versuchte Ritter für die gefährliche Reise ins Heilige Land zu rekrutieren. Die Klostergründung geht zurück auf eine Schenkung von Graf Berthold von Hohenberg/Lindenfels an den Orden der Chorherren vom Heiligen Grab zwischen den Jahren 1125 und 1129.

 

Wieso wurde das Kloster gebaut? Es war kein gewöhnliches Kloster. Laut Reinhard Mauz, Autor mehrerer Bücher über das Kloster, handelte es sich um einen Orden mit eigenen Regeln, der sich grob an den Augustinern ausrichtete. Ziel der Gottesfestung war es, Hochadelige anzuwerben, um die Kreuzzüge zu finanzieren und um Ritter zu rekrutieren. Große Wallfahrten gab es laut Mauz wohl nie – die Devise war Klasse statt Masse. Nur wer Geld und Einfluss hatte, war erwünscht. Zu diesem Zweck wurde auch die Krypta gebaut. Heute würde man es einen Geniestreich im Marketing bezeichnen: Ein Nachbau des Heiligen Grabs, das es im fernen Jerusalem zu erobern galt und auf das die zukünftigen Kreuzritter vorab einen Blick werfen konnten. Dazu gab es passend eine Reliquie mit einem Splitter des heiligen Kreuzes – diese Reliquie befindet sich heute im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart.

Nach dem Ende der Kreuzzüge stellte sich die Frage: Wohin mit den Spendengeldern? Das Kloster kaufte Rechte und Grund in 57 Ortschaften und wurde unermesslich reich. Das rief Neider auf den Plan: Die Freie Reichsstadt Esslingen überfiel das Kloster in den Jahren 1377 und 1449, um es auszurauben. Diesen Raubzügen fielen wohl auch viele Kunstwerke des Klosters zum Opfer.

Wann kam Hölderlin nach Denkendorf? Nach der Reformation Anfang des 16. Jahrhunderts wurde das Kloster protestantisch. Und da es nun mal keine protestantischen Klöster gibt, entschied man sich, eine Klosterschule daraus zu machen. Dies hatte den einfachen Hintergrund, dass es durch den abrupten Religionswechsel schlicht einen Priestermangel im Land gab.

Der Schriftsteller Friedrich Hölderlin und der Diplomat Karl Friedrich Reinhard dürften wohl die berühmtesten Schüler gewesen sein. Gefallen hat es vermutlich beiden nicht sonderlich. Auch wurden beide keine Priester, wie es eigentlich vorgesehen war. „Die Klosterschüler waren dort eingesperrt und durften nicht ins Dorf“, sagt Mauz. Die Klosterschule sei nichts für die gemeinen Leute gewesen. Nicht die fähigsten, sondern reiche und privilegierte Kinder drückten hier die Schulbank. Altgriechisch, Latein und Hebräisch standen auf dem Stundenplan – unterbrochen durch das Studium der Bibel. Nach der Schließung der Schule war das Kloster lange in Privatbesitz und wurde kommerziell genutzt. Klostersenf wurde dort beispielsweise hergestellt.

Was gibt es zu sehen? „Man braucht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie es früher aussah“, sagt Mauz, der dort auch regelmäßig Führungen leitet. Die Gebäude des ehemaligen Klosters sind größtenteils nicht mehr vorhanden. Nur die Kirche und die Krypta sind öffentlich zugänglich. Aber es kommt bei einem Besuch eben auch darauf an, dass man weiß, worauf man achten muss. Beispielsweise ist der Kirchturm bis zur Uhr aus dem 12. Jahrhundert. Der Turmhelm kam später hinzu und wurde von keinem Unbekannten gebaut: Er stammt von Heinrich Schickhardt, seines Zeichens württembergischer Hofbaumeister in der Epoche der Renaissance. Besonders schön sind auch die erhaltenen Teile des ehemaligen Kreuzgangs. Innen warten direkt hinter dem Eingang Epitaphien – Denkmale für die großen Persönlichkeiten des Klosters.

Neben dem Altar erinnert die kunstvoll geschnitzte Kanzel aus dem Jahr 1518 an die Zeit, als die Kirche noch mit katholischem Prunk geschmückt war. Auch durch die teilweise freigelegten Malereien über dem Altar kann man einen kleinen Blick auf die Vergangenheit des Gotteshauses erhaschen.

Was ist besonders an der Krypta? Über einen Treppenabgang erreicht man den zentralen Punkt des Klosters. Von außen betrachtet, ragt die Krypta monumental über den Felsvorsprung hinaus. Das einzige Fenster der leeren Gruft ist nach Osten ausgerichtet, so dass die aufgehende Sonne hindurchscheint und den Priester bei der Messe am Ostermorgen von hinten beleuchtet. Eine perfekte Inszenierung der Auferstehungsgeschichte.

Gibt es ein Plätzchen zum Entspannen? Unweit der Kirche befindet sich der neu angelegte und idyllische Klostersee, der mit seinen vielen Bänkchen zum Verweilen einlädt. Ursprünglich wurde der Zufluss vor Hunderten von Jahren so geschaffen, dass er ein kleines Mühlrad des Klosterbäckers antreiben konnte.

Anfahrt und Verpflegung? Mit dem Auto kann man im Klosterhof und unterhalb der Anlage kostenlos parken. Die Buslinie 119 fährt von Esslingen aus unter der Woche alle 15 Minuten nach Denkendorf und wochenends halbstündlich. Besuchen kann man das Gelände und die Kirche tagsüber immer. Für die Verpflegung gibt es in Denkendorf Bäckereien und Restaurants.

Unterwegs in der Region

Serie
Auf Erkundungstour in der Region – zu geheimnisvollen Burgen und Ruinen, prächtigen Schlössern und eindrucksvollen Kirchen. Wir machen uns in und um Stuttgart auf die Suche nach Schlossgespenstern, erzählen spannende Geschichten aus vergangenen Tagen und liefern Wissenswertes zu mächtigen Mauern in luftigen Höhen. Unsere Sommerserie widmet sich diesen kulturellen und historischen Sehenswürdigkeiten und bietet Anregungen für Ausflüge, die sich lohnen. Wetten, dass auch für Sie etwas dabei ist?

Führungen
Ein Besuch eignet sich vor allem für historisch Interessierte. Da vom ursprünglichen Kloster nicht mehr viel zu sehen ist, erschließt sich die historische Relevanz der Anlage nicht ohne Weiteres. Wer eine Führung buchen möchte, sollte sich vorab an das Gemeindebüro wenden. Weitere Informationen auf der Internetseite: www.ev-kirche-denkendorf.de/ueber-uns/unsere-kirchen/klosterkirche. Absolut empfehlenswert ist der virtuelle Rundgang durch die Anlage.

Öffnungszeiten
Die Kirche ist tagsüber immer für die Öffentlichkeit geöffnet. Die Krypta ist durch eine Treppe in der Kirche ebenfalls frei zugänglich.