Auf Erkundungstour in der Region – zu geheimnisvollen Burgen und Ruinen, prächtigen Schlössern und eindrucksvollen Kirchen. Heute: das Schloss in Hemmingen.

Das Hemminger Schloss lag viele Jahre lang in einem Dornröschenschlaf. Das Gebäude prägte über Jahrhunderte ebenso die Ortsgeschichte wie das Stadtbild, doch für die Bürger waren Schloss und Park tabu. Das ändert sich seit geraumer Zeit. Schloss und Park öffnen sich, zur Freude ganz unterschiedlicher Zielgruppen.

 

Ohne Schloss, besser: ohne die Schlossherrn, wäre die Gemeinde Hemmingen sicher nicht das, was es heute ist. Von hier aus ging alle Entwicklung des Ortes aus, hier lebten Generationen der Familie von Varnbüler, hier tagt heute der Gemeinderat.

Welche Geschichte erzählt das Schloss? Als ältester Teil einer mehrteiligen Anlage wird das Alte Schloss 1392 erstmals urkundlich erwähnt. Jedoch wird davon ausgegangen, dass das Schloss schon früher erbaut wurde. Mitte des 17. Jahrhunderts übernahm der Geheime Regierungsrat Württembergs, Johann Conrad von Varnbüler, das württembergische Lehen Hemmingen. Das Schloss befindet sich heute noch im Besitz der Familie derer von Varnbüler, die bis zum Zweiten Weltkrieg dort lebte und dort weiterhin bisweilen präsent ist. Danach war das Schloss unter anderem ein Damenstift, ehe es 1985 zum Rathaus umgebaut wurde.

Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Karl Friedrich Gottlob Freiherr von Varnbüler das Schloss nach den Plänen des Stuttgarter Architekten Christian Friedrich Leins in seiner jetzigen Form umbauen und erweitern lassen. Leins hatte kurz zuvor auch den Bau der Villa Berg in Stuttgart verantwortet, auch der Stuttgarter Königsbau stammt von ihm. Die Finanzierung war durch das Erbe der Ehefrau des Barons gesichert worden, wie die Gemeinde auf ihrer Internetseite mitteilt. Der Schlosspark wurde als Landschaftspark im englischen Stil angelegt.

Im Schloss wohnte also zunächst die Familie des Barons von Varnbüler, die dort auch illustre Gäste empfing: Im Gästebuch haben sich drei spätere Kaiser eingetragen – der erste Kaiser des Deutschen Reichs, Wilhelm I., sein Sohn Friedrich Wilhelm, der spätere Kaiser Friedrich III., und Wilhelm II.

Die Geschichte im 20. Jahrhundert war wechselvoll: Zunächst war ein Genesungsheim für verwundete Soldaten des Ersten Weltkriegs untergebracht. 1946 wurde das Schloss dann für mehrere Jahre zur ersten Unterkunft für 29 heimatvertriebene Familien, 1953 siedelte sich dort eine Fabrik für Jerseykleider an – es war der erste Industriebetrieb in Hemmingen. 1955 änderte sich die Nutzung abermals: Nun waren ein Damenstift und ein Altersheim untergebracht und allein die Bewohner hatten das Recht, den Schlosspark zu nutzen. Das änderte sich, das das Rathaus dort einzog.

   

Was ist heute zu sehen? Die teils wuchtigen Bilder des Hobbymalers Axel von Varnbüler hängen etwa am Treppenaufgang zum heutigen Sitzungssaal. In der Vitrine davor stellt der Ortsgeschichtliche Verein aus. Bei Kulturveranstaltungen öffnet das Rathaus, wird auch mal zur Galerie. Und natürlich ist das Gebäude eingebunden in einen historischen Ortsrundgang.

Im historischen Trauzimmer sind Trauungen möglich. Neben den Plätzen für das Brautpaar und die Trauzeugen sind Sitzplätze für rund fünfzehn Personen vorhanden. Sollte die Hochzeitsgesellschaft größer sein, kann die Trennwand zum ebenfalls historischen Sitzungssaal geöffnet werden. 2022 wurden im Schloss laut der Verwaltung 94 Ehen geschlossen. In der Vergangenheit waren es auch schon mal deutlich mehr: 2016 waren es 128. Bei gutem Wetter kann man am See im Schlosspark heiraten. Zudem besteht laut der Verwaltung die Möglichkeit, die Hochzeitsgäste im Anschluss an die Trauung zum Sektempfang in den Schlosspark einzuladen.

1987 wurde ein Teil des Parks nach Sanierung, Ausbau neuer Wege, Wiederherstellung des Springbrunnens und Anlage eines Kinderspielplatzes für die Öffentlichkeit geöffnet. Gleichwohl ist die Umgestaltung noch nicht abgeschlossen. Die Wege im Park sind für Kinderwagen ebenso nutzbar wie für Rollatornutzer und Rollstuhlfahrer.

Der ursprüngliche Baumbestand ist zum Teil noch vorhanden, auch die 1862 gepflanzten Mammutbäume. „Nach und nach“, so Bürgermeister Thomas Schäfer, erwachse der Park aus seinem Dornröschenschlaf. Gemeinderat und Verwaltung kümmern sich, die Bürger nutzen ihn zunehmend.

     

Wie ist das Schloss erreichbar? Busse der Linien 501, 502, 534 und 612 halten direkt am Rathaus. Vom Bahnhof – dort hält zudem die Strohgäubahn – sind es knapp zehn Minuten zu Fuß. Das Rathaus ist geöffnet Montag bis Freitag von 8.30 bis 12 Uhr sowie montags von 15.30 Uhr bis 18 Uhr. Mittwochs ist geschlossen. Die Bürgerämter haben donnerstags zusätzlich von 7.30 Uhr bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr geöffnet. Im Park ist um 22 Uhr Schluss. Danach darf man sich dort nicht mehr aufhalten. Hunde sind im Schlosspark nicht erlaubt.

Welche Bedeutung hat das Schloss heute? 1985 war das Rathaus in die Räume des Schlosses verlegt worden. Die Gemeinde wurde zum Mieter, der Bürgermeister scherzhaft zum Schlossherrn ernannt. Das ist bis heute so, daran wird sich laut Bürgermeister Thomas Schäfer (CDU) auch nichts ändern.

Im Gegenteil: Verwaltung und Gemeinderat sind bemüht, Gebäude und Schlosspark stärker im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern. Dazu beitragen soll eben auch der Park. Schäfers Vorgänger im Amt, Werner Nafz, habe bei der Verlagerung des Rathauses laut Schäfer auf die Öffnung der Anlage hingewirkt. Die Alternative zum Umzug in das Schloss wäre ein Neubau gewesen. Das Rathaus wäre dann allerdings laut Schäfer geworden, wie man derlei Verwaltungsgebäude in den 1980er Jahren eben baute: „Quadratisch, praktisch, hässlich.“ Hat der Verwaltungschef heute Besuch, wird er schon auch mal zum Schlossführer. Für Gäste, die das erste Mal kämen, sei das häufig ein „Aha-Erlebnis“.

Die Besitzverhältnisse sind unverändert. Der Bürgermeister ist auch deshalb um ein gutes Miteinander mit der Familie von Varnbüler bemüht. Gleichwohl blieb die Familie immer eng mit Hemmingen verbunden. Ulrich von Varnbüler habe sich „ehrlich über das Bekenntnis des Gemeinderates und der Gemeinde gefreut, den Schlosspark für zukünftige Generationen zu erhalten und deshalb das vom Landesdenkmalamt geforderte Parkpflegewerk erstellen zu lassen“, sagte Schäfer einmal. Ulrich Freiherr Varnbüler von und zu Hemmingen starb vergangenes Jahr im Alter von 93 Jahren. Verantwortung hat nun die nachfolgende Generation.

Und für den Bürgermeister selbst bleibt es auch nach 12 Jahren im Amt immer noch ein „erhebendes Gefühl“, durch die Einfahrt zu kommen.

Entdeckungstour rund um das Schloss

Serie
Auf Erkundungstour in der Region – zu geheimnisvollen Burgen und Ruinen, prächtigen Schlössern undeindrucksvollen Kirchen. Wir machen uns in und um Stuttgart auf die Suche nach Schlossgespenstern, erzählen spannende Geschichten aus vergangenen Tagen und liefern Wissenswertes zu mächtigen Mauern in luftigen Höhen. Unsere Sommerserie widmet sich diesen kulturellen und historischen Sehenswürdigkeiten und bietet Anregungen für Ausflüge, die sich lohnen. Wetten, dass auch für Sie etwas dabei ist?

Service
Familien, die sich nach dem Schlossbesuch beim Grillen stärken wollen, sind auf dem Familienfreizeitplatz richtig. Dieser liegt hinter dem Sportplatz in der Seestraße. Er bietet für alle Generationen etwas, neben dem Spielbereich für die jüngeren Kinder befindet sich im oberen Bereich eine Skaterbahn. Wer sich weder auf dem Familienfreizeitplatz austoben noch mit Grillgut stärken will, hat vielleicht Lust auf ein Eis: zu haben im Eiscafé Pavione in der Hauptstraße.