In Weissach haben die Bewohner einst ihre Kirche samt Friedhof befestigt, um sich vor Angriffen zu schützen. Dabei ist die Kirchenburg viel größer, als man bei der Größe der Ortschaft vermuten würde.

Bis heute ist sie Wahrzeichen von Weissach, ihr Kirchturm ragt über die Häuser der Gemeinde hinweg und ist von Weitem zu sehen – die Kirchenburg der Strudelbachgemeinde liegt auf einer Anhöhe zwischen der heutigen Flachter- und Porschestraße. Einst waren die Gebäude, also Ulrichskirche, Turm, Herrenhaus und „Gaden“ von einer festen Mauer umgeben, die heute noch in Teilen vorhanden ist. Und wer genau hinschaut, der sieht vielleicht: der Kirchturm war nicht immer ein Kirchturm, sondern einst ein sogenannter Bergfried ganz ohne Spitzdach, der zur Verteidigung angelegt wurde. Warum aber haben die Einwohner des beschaulichen Weissachs ihr Kirchenareal in dieser Größe abgeriegelt?

 

Warum sich die Weissacher schützten Erste Hinweise, dass es an der Stelle der heutigen Ulrichskirche zumindest eine Kapelle gab, zeigen bereits Dokumente aus dem Jahr 1110. In einer Urkunde aus dem Jahr 1254 geht es aber erstmals um eine befestigte Kirchenanlage. Zu dieser Zeit taten sich die Dörfler zusammen und baten beim Kloster Maulbronn, das damals die Ortsherrschaft innehatte, um Erlaubnis, die Kirche samt Friedhof zu sichern. Die Dorfbewohner bekamen diese Erlaubnis auch.

Es herrschte damals eine „unsichere Zeit“, erklärt Gerhard Mann, Weissacher Hobbyhistoriker und Vorsitzender des Förderkreises Kultur. Es war das Ende der Herrschaft der Staufer: Wenige Jahre zuvor, 1250, begann die Machtstellung des Adelsgeschlechts zu bröckeln. Inmitten dieser politischen Unruhe sehnte man sich in Weissach wohl nach Sicherheit – und baute sich eine Kirchenburg. Das ganze Dorf mit einer Mauer zu umgeben, hätten sich die Einwohner niemals leisten können, sagt Mann. So wurde also der Wehrkirchbereich im Falle eines Angriffs zur sicheren Zuflucht auf der Anhöhe.

Unsicher waren die Zeiten auch, weil Weissach vermutlich direkt an einer Handelsstraße von Cannstatt nach Pforzheim lag. „Dort hat sich auch Gesindel herumgetrieben“, erklärt Gerhard Mann. So hätten es Plünderer etwa auf die vorbeiziehenden Kaufmannszüge abgesehen. Auch davor wollte man sich in Weissach schützen. Als letzte Rettung konnten die Menschen über eine Leiter durch den einzigen Zugang zum Bergfried flüchten und die Leiter anschließend hochziehen. Ungewöhnlich war diese Art der Verteidigung übrigens nicht: „Es wurden nicht nur in Weissach Kirchenburgen gebaut“, so Mann. Als Beispiel nennt er etwa die in Lienzingen bei Mühlacker.

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Kirche, Gaden, Herrenhaus Besonders sind bei der Weissacher Kirchenburg auch die gut erhaltenen sogenannten „Gaden“, an die Wehrmauer gebaute Lagerräume. Diese wurden wahrscheinlich im 14. Jahrhundert populär und dienten den Familien aus Weissach als Lagerraum. Das Dorf breitete sich damals in Richtung des heutigen Marktplatzes aus, dort konnten allerdings wegen des Strudelbachs keine Keller gebaut werden.

Die Gaden wurden so zur alternativen Lagerfläche – und sind teils bis heute noch im Familiensitz und in Benutzung. Waren es zunächst kleine Hütten, in denen man auch Lebensmittel für den Notfall lagern konnte, wurden die Gaden im Laufe der Zeit immer größer, mehrstöckig und sogar unterkellert.

Außerdem Teil der Kirchenburg ist das alte Herrenhaus, das wahrscheinlich gleichzeitig mit dem Wehrturm errichtet wurde. Später diente es als Zehntscheuer – hier gaben die Bauern Naturalien an ihre Herren ab. 1876 brannte es ab und wurde zum Teil neu errichtet. Der Turm wurde im Laufe der Zeit zum Kirchturm umfunktioniert und erhielt sein heutiges Spitzdach. Eine der vier hier verbauten Glocken stammt aus dem 13. oder 14. Jahrhundert. Die Ulrichskirche wurde über die Jahre mehrfach baulich verändert und vergrößert. Alte spätgotische und romanische Elemente lassen sich aber noch erkennen.

Die Wehrkirche besichtigen Der Wehrkirchbereich ist frei zugänglich, ebenso die Kirche. Wer sie in Aktion sehen will, kann den allsonntäglichen Gottesdienst besuchten. Das Herrenhaus wurde in den 1970er-Jahren von der Gemeinde zurückgekauft und wird heute für kulturelle Ausstellungen und Aufführungen des Förderkreis Kultur genutzt.

Tag des offenen Denkmals Einen ganz besonderen Einblick in die bewegte Geschichte der Kirchenburg gibt Gerhard Mann im Rahmen des Tags des offenen Denkmals am Sonntag, 11. September. Mit den Teilnehmern der Führung besichtigt er den Wehrturm, die Gaden, das Herrenhaus, einen Rest des Wehrgangs und die Kirche, und erzählt nicht nur von trockener Geschichte, sondern auch von allerlei Besonderheiten, gibt Anekdoten und unterhaltsame Details rund um die Kirchenburg und die Gemeinde zum Besten. Es gibt zwei Führungen, um 11.30 und um 15 Uhr, Treffpunkt ist beim Turm.

So kommt man hin Wer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Weissach möchte, fährt am besten mit der S-Bahnlinie 6 nach Leonberg und steigt dann in den Bus der Linie 634. Mit dem Auto erreicht man Weissach über die A 8 bis zur Ausfahrt Rutesheim.

Rund um Weissach Länger in Weissach zu verweilen, lohnt sich: Im Heimatmuseum Flacht (geöffnet Sonntags von 14 bis 17 Uhr) lässt sich allerhand über die Geschichte der beiden Ortsteile lernen. Mit Kindern bietet sich ein Ausflug zum Walderlebnispfad in Flacht an, Startpunkt ist der Parkplatz am Friolzheimer Weg, alternativ am Waldhhäusle.

Nach dem Besuch der Kirchenburg Weissach und Flacht erkunden

Serie
Auf Erkundungstour in der Region – zu geheimnisvollen Burgen und Ruinen, prächtigen Schlössern undeindrucksvollen Kirchen. Wir machen uns in und um Stuttgart auf die Suche nach Schlossgespenstern, erzählen spannende Geschichten aus vergangenen Tagen und liefern Wissenswertes zu mächtigen Mauern in luftigen Höhen. Unsere Sommerserie widmet sich diesen kulturellen und historischen Sehenswürdigkeiten und bietet Anregungen für Ausflüge, die sich lohnen. Wetten, dass auch für Sie etwas dabei ist?

Service
Für die Verpflegung nach dem Besuch der Kirchenburg bietet sich ein kurzer Spaziergang durch die Weissacher Ortsmitte zu den Ratsstuben von Inhaber Thorsten Nufer. Wer nur eine kleine Stärkung braucht, kann für Kaffee und Gebäck das Café Clement direkt gegenüber des Wehrbereichs besuchen. Und wenn die Sonne scheint, dann hat vielleicht der Container der Rutesheimer Eiserei geöffnet: Er befindet sich unweit des Marktplatzes.