Der Richter Michael Cicconetti aus Ohio schickt Verkehrssünder zur Strafe auch schon mal in die Leichenhalle, um sich Opfer betrunkener Autofahrer anzuschauen.

Painesville - An Einfallsreichtum fehlt es dem Herrn Richter nicht: Eine Angeklagte musste, weil sie ihren Hund „Moose“ vernachlässigt hatte, acht Stunden lang im Gestank einer Abfalldeponie verbringen und Müll aufsammeln. „Wenn Sie sich übergeben müssen, dann müssen Sie sich eben übergeben“, sagte der Richter. Eine andere Angeklagte musste einen Fußmarsch von 50 Kilometern absolvieren, weil sie einen Taxifahrer um das Geld für eine Strecke von 50 Kilometern geprellt hatte. Wiederum ein anderer Angeklagter, der einen Polizisten als Schwein bezeichnet hatte, musste sich neben ein echtes Schwein an die Straße stellen und ein Schild mit der Aufschrift „Das ist kein Polizeibeamter“ in den Händen halten.

 

Was ein wenig an das „Königlich Bayerische Amtsgericht“ aus dem deutschen Fernsehen der frühen siebziger Jahre erinnert, ist gewissermaßen Standard im Gerichtssaal von Michael Cicconetti. Der Mittsechziger ist einer der exzentrischsten Richter in den USA und einer der kreativsten Köpfe, wenn es um ausgefallene Urteile geht. Regelmäßig macht er Schlagzeilen weit über seinen Gerichtsbezirk hinaus.

„Creative sentencing“ nennt man diesen Trend in den USA

Seit Mitte der neunziger Jahre ist Michael Cicconetti Amtsrichter im Städtchen Painesville am Erie-See in Ohio. 30 bis 40 Fälle verhandelt er pro Tag. Die meisten Angeklagten müssen, wenn sie schuldig sind, mit Strafen der konventionellen Art rechnen. Wenn Cicconetti allerdings einen Geistesblitz hat, dann kommen sie davon. Das heißt, sie kommen nicht wirklich davon. Sie können sich entscheiden, ob sie ins Gefängnis wollen oder lieber auf die Mülldeponie oder mit einem Schild um den Hals an die nächste Straßenecke oder, wenn sie betrunken mit dem Auto unterwegs waren, ins Leichenschauhaus, um sich die Opfer von betrunkenen Autofahrer anzusehen. Die Wahl hat immer der Angeklagte.

„Creative sentencing“ heißt dieser Trend in den Gerichtssälen der USA. Weil die Gefängnisse im Land überfüllt sind und die 2,5 Millionen Strafgefangenen pro Jahr Kosten in Höhe von rund 80 Milliarden US-Dollar verursachen, hat der Oberste Gerichtshof vor mehr als zehn Jahren schon die untergeordneten Gerichte angehalten, Fantasie walten zu lassen.

Dabei müssen die Richter allerdings beachten, dass ihre Urteile nicht gegen den Verfassungsgrundsatz verstoßen, wonach Strafen nicht grausam sein dürfen. Man könnte sagen: ein bisschen „Auge um Auge“ ist in Ordnung. Darunter fällt etwa die öffentliche Zurschaustellung eines Verurteilten, wenn dieser zustimmt. So wurde die Frau, die den Taxifahrer um sein Fahrgeld geprellt hatte, bei ihrem Fußmarsch von 30 Meilen von einem Kamerateam begleitet. Am Ende des Laufes sagte sie etwas atemlos, dass ihr diese Strafe lieber gewesen sei als ein Aufenthalt im Gefängnis.

Oft fangen kriminelle Karrieren erst im Knast an

Richter Cicconetti sieht sich von solchen Experimenten in seiner Urteilspraxis bestätigt. Er habe nach ein paar Jahren auf der Richterbank festgestellt, dass er ein und dieselben Menschen wieder und wieder vor sich stehen habe, sagte er der Lokalzeitung „News-Herald“: „Ich dachte mir, dass es doch einen besseren Weg geben muss.“ Es sei viel zu einfach, die Leute wegen geringer Vergehen einfach ins Gefängnis zu stecken, so der exzentrische Richter.

Oft beginne die kriminelle Karriere solcher Menschen erst nach dem ersten Aufenthalt im Knast: „Die Verbrechen werden immer größer.“ Also begann der Vater von fünf Kindern, ungewöhnliche Urteile zu sprechen, wann immer es ihm angebracht erschien. So geschah es etwa im Januar 2014. Ein Mann stand vor Cicconettis Richterbank, weil er als Angehöriger der Heilsarmee posiert und Passanten um Geld gebeten hatte, das er allerdings in die eigene Tasche steckte. Statt eine Haftstrafe anzutreten, entschied sich der Mann dafür, 400 Stunden lang Sozialdienste in der Nachbarschaft abzuleisten – mit einer Nikolausmütze auf dem Kopf.

Vor ein paar Monaten stellte Cicconetti eine Frau vor die Wahl, einen Monat ins Gefängnis zu gehen oder sich direkt im Gerichtssaal Pfefferspray ins Gesicht spritzen zu lassen. Die Angeklagte hatte genau das dem Kläger, einem Angestellten eines Burger-Laden, angetan. Die Frau entschied sich für das Spray. Das Opfer griff zur Flasche und sprühte los. Weil Strafen aber nicht grausam sein dürfen, hatte Richter Cicconetti dafür gesorgt, dass nur eine milde Salzlösung in der Sprühflasche war.

Kritiker monieren, Cicconetti schiele nach Publicity

Mit solchen ausgefallenen Methoden habe er durchaus Erfolg, sagt Cicconetti, dem Kritiker allerdings vorwerfen, er schiele nur darauf, bekannt zu werden. Doch der Richter aus Ohio versichert in jedem Interview, dass die Rückfallquote der von ihm Verurteilten bei nur zehn Prozent liege. Im US-Schnitt betrage dieser Wert dagegen 75 Prozent.

Manchmal, so sagt Cicconetti, erwüchsen aus den Urteilen sogar lose Beziehungen, wie jene zu dem Mann, der einen Polizisten ein Schwein nannte und deswegen mit einem Schwein an der Straße stehen musste. „Der Schweine-Mann kommt immer wieder vorbei und sagt Hallo. Manchmal ruft er mich auch an und will mit mir zu Mittag essen. Und das mache ich dann“, sagt der Richter: „Das macht meinen Job lohnenswert – die Leute, die ich nach zehn Jahren treffe und die mir sagen, dass sie ihr Leben verändert haben.“