Eingriffe in die Landschaft müssen bei allen Projekten ausgeglichen werden – doch oft fehlen entsprechende Flächen. Naturschutzverbände kritisieren, dass die Natur oft erst Jahre später oder nie zu ihrem Recht kommt. Ökokonten sollen helfen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Eigentlich ist es ganz einfach: Wenn jemand eine Straße, ein Wohngebiet oder einen Bahnhof baut, muss er einen Ausgleich schaffen, wenn er dabei Boden asphaltiert, Bäume fällt oder Tiere vertreibt. Zum Beispiel musste die Stadt Stuttgart für eine Logistikfläche am Rosensteintunnel neue Lebensräume für Mauereidechsen im Travertinpark schaffen. Oder die Stadtwerke Stuttgart mussten, weil ihr Windmessmast bei Feuerbach den Wald beeinträchtigt hat, die Pflege von 15 Obstbäumen in Sonnenberg übernehmen.

 

In der Praxis allerdings gibt es seit Langem ein großes Problem. Um es in einem Satz zu sagen: Gerade im Ballungsraum fehlen geeignete Flächen. André Baumann, der Landesvorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu), kritisiert deshalb, dass ein  immenses Vollzugsdefizit“ existiere – Ausgleichsmaßnahmen würden zwar verordnet, aber erst nach Jahren oder manchmal nie umgesetzt. Zudem werde zu wenig kontrolliert: Viele renaturierte Flächen würden kaum noch gepflegt oder bald wieder untergepflügt, so Baumann. Und er kenne Areale, die gleich dreimal als Ausgleichsmaßnahme gebucht worden seien.

Bei zwei Dritteln der Bebauungspläne gibt es Mängel

Eine Studie, die die Grünen im Land und der BUND vor vier Jahren erstellen ließen, kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Dabei war bei 20 Baugebieten untersucht wurden, wie gut die Kompensation funktioniert hat. Das Ergebnis: „Bei über zwei Drittel der untersuchten Bebauungspläne fehlten entweder notwendige Ausgleichsmaßnahmen von vornherein, oder es stellte sich bei der Kontrolle vor Ort heraus, dass diese entweder gar nicht oder nur mangelhaft umgesetzt worden waren.“ Kommunen rund um Stuttgart waren nicht untersucht worden.

Auch den Planern ist dieses Problem wohlbekannt. Thomas Kiwitt, der Chefplaner des Verbandes Region Stuttgart, spricht von einem „extrem virulenten Thema“, bei dem Handlungsbedarf bestehe. Er könne die Landwirte verstehen, die dagegen revoltierten, dass sie besten Ackerboden nicht nur für die Bauprojekte selbst, sondern auch noch für Ausgleichsmaßnahmen hergeben sollen – auf den Fildern war dies beim Bau der Messe ein heiß diskutierter Punkt. Aus diesem Grund greift Kiwitt nun gerne eine Anregung der Linken auf. Diese haben vorgeschlagen, sich das Konzept der Region Bodensee-Oberschwaben näher anzuschauen und eventuell auf die Region Stuttgart zu übertragen.

Ein Biotopverbund ist das große Ziel

Zwei innovative Punkte machen dieses Konzept interessant. Zum einen will man dort versuchen, die vielen Ausgleichsmaßnahmen so zu koordinieren, dass am Ende ein richtiger Biotopverbund entsteht. Zum anderen setzt das Projekt stark auf die sogenannten naturschutzrechtlichen Ökokonten, die vor drei Jahren landesweit eingeführt worden sind. Auf diesen Konten werden Ausgleichsprojekte vorab eingestellt, Bauherrn können dort dann – gegen Geld – Maßnahmen „abbuchen“.

Die Idee ist, dass über diese Konten Vorhaben gebündelt und so auch größere Projekte verwirklicht werden – zum Beispiel die Regeneration eines ganzen Moores in Oberschwaben. Und während Kommunen bisher verzweifelt auf ihrer eigenen Gemarkung nach Flächen suchen mussten, können sie über die Ökokonten nun auch in der Nachbarschaft fahnden.

Tatsächlich war der Start aber holprig. Der Bund funkte mit einer eigenen „Kompensationsverordnung“ dazwischen. Und für den besiedelten Bereich gelten die Ökokonten sowieso nicht; dort ist die Bauleitplanung zuständig. Daneben gibt es noch den Artenschutz. Die verschiedenen Systeme machen die Sache äußerst kompliziert.

Agentur bringt Bauherrn und Eigentümer zusammen

So kommt es, dass bis jetzt nur in 24 von 44 Stadt- und Landkreisen Ökokonten genutzt werden, wie Wolfgang Baur vom Ministerium für Ländlichen Raum kürzlich verkündete. Die Naturschutzverbände begrüßen die Ökokonten allerdings und setzen große Hoffnungen darauf. In Stuttgart spielen sie bislang keine große Rolle, allein schon deshalb, weil meist das Baurecht gilt. Allerdings: gerade beim Projekt Stuttgart 21 ist die neue Regelung eine Erleichterung für die Deutsche Bahn. Denn sie muss nicht mehr, wie Investoren früher, in vollem Umfang selbst Ersatzflächen suchen, die zudem möglichst nahe am Eingriffsort liegen sollten. Jetzt darf der Ausgleich teilweise weit entfernt erfolgen. So kommt es zum Beispiel, dass eine S-21-Maßnahme auf den Fildern in Bodelshausen (Landkreis Tübingen) ausgeglichen wird – die Region, die den Eingriff zu verkraften hat, kommt also nicht in den Genuss des Ausgleichs.

Die Flächenagentur Baden-Württemberg GmbH in Ostfildern hat sich seit einiger Zeit als Vermittler etabliert – sie will Investoren und Flächeneigentümer zusammenbringen. Früher, so Manuel Sedlak von der Agentur, habe ein Bauherr oft schnell nach einem Ausgleichsprojekt gesucht und beim erstbesten zugegriffen; jetzt könne er über die Ökokonten ein qualitätsvolles Vorhaben heraussuchen. Zudem lasse sich der eine oder andere Landwirt gewinnen, der bisher auf Fördermittel aus Brüssel gesetzt habe und jetzt lieber Geld für ein ökologisches Projekt nimmt.

Stuttgart habe keine größeren Defizite bei der Umsetzung

Für Stuttgart räumt Wolfgang Maier vom Stadtplanungsamt ein, dass auch hier manchmal zwei oder drei Jahre zwischen Bauprojekt und Ausgleichsmaßnahme vergingen – es sei aber nicht so, dass gar nichts gemacht werde: „Wir haben keine größeren Defizite bei der Umsetzung“, betont Maier. Das Grundproblem ist aber auch in Stuttgart virulent: die Flächen fehlen. Zumindest im Moment hat Stuttgart aber sogar einen kleinen Puffer mit 2,6 Hektar an bereits abgeschlossenen ökologischen Vorhaben, die für Bauherrn zur Verfügung stehen. Weitere 18,6 Hektar seien in einer fortgeschrittenen Planung. Für rund die Hälfte davon interessiert sich gerade die Bahn.