Die Ausgrabung des jungsteinzeitlichen Dorfes im geplanten Leinfelder Neubaugebiet Schelmenäcker kostet nun doppelt so viel wie geplant. Sie liefert aber auch jede Menge interessante Erkenntnisse über die Vergangenheit der Stadt.

Leinfelden-Echterdingen - Es sind uralte Zeugnisse der Menschheitsgeschichte, die Jahrtausende im Erdreich geschlummert haben. Nun werden sie wieder ans Tageslicht geholt. Bevor auf dem geplanten Neubaugebiet Schelmenäcker in Leinfelden 600 neue Wohnungen gebaut werden, werden die archäologischen Funde eines jungsteinzeitlichen Dorfes gesichert. Im Auftrag der Stadt und unter Aufsicht des Landesamtes für Denkmalschutz birgt eine Spezialfirma noch bis Mitte April 2021 die historisch wertvollen Funde.

 

„Wir sind gut im Zeitplan“, sagt Landeskonservator Jörg Bofinger, der Referatsleiter für operative Archäologie beim Landesamt für Denkmalschutz. Auf einigen Flächen seien die Arbeiten bereits beendet. An der Max-Lang-Straße seien die Baufirmen seit einigen Tagen tätig. Die Archäologen arbeiteten nun auf der Fläche zwischen der alten Max-Lang-Straße und der S-Bahnlinie.

Insgesamt sollen zwei Hektar untersucht werden. Rund 7000 Quadratmeter, auf die sich ein genauerer archäologischer Blick ebenfalls gelohnt hätte, werden derweil ausgespart. Eine Obstbaumwiese im Süden des Gebietes will die Stadt nicht umgraben lassen, damit die Kosten nicht noch mehr ins Kraut schießen. Denn mittlerweile steht fest, dass die Stadt für diese Rettungsgrabungen 800 000 Euro und damit doppelt so viel, wie zunächst geplant, ausgeben muss. Die ausgesparte Fläche kann aber möglicherweise mit einem magnetischen Verfahren auf archäologische Strukturen untersucht werden.

Was hat die Spezialfirma bereits gefunden?

„Die Firma arbeitet sehr fleißig und findet sehr viel“, sagte Bürgermeisterin Eva Noller am Dienstagabend dazu in einem Gemeinderatsausschuss. „Wir bekommen also ein großes Puzzlestück unserer Geschichte.“ Was aber auch einiges an Geld koste. Die Forscher beziffern das Alter des Dorfes auf mehr als 7000 Jahre. Es entstand in den Jahren zwischen 5500 bis 5000 vor Christus, erklärte Bofinger in der Sitzung. Die Menschen ließen sich damals auf den Fildern nieder, betrieben Ackerbau und Viehhaltung. „Es sind die ersten sesshaften Gemeinschaften. Von den Siedlungen ist es das älteste, was wir im Land haben“, sagte Bofinger unserer Zeitung.

Typische Gebäude dieser Zeit waren sogenannte Langhäuser, laut dem Experten „beeindruckende Bauten“, die 20 bis 40 Meter lang waren und ganze Familienverbände beherbergten. Vermutlich wurden in diesen Häusern auch einige Tiere gehalten. Auf dem aktuellen Untersuchungsfeld seien sehr viele Spuren dieser Häuser gefunden worden, berichtet Bofinger. Insgesamt könnten dort rund 15 Häuser gestanden haben, erklärt er. Das sind deutlich mehr, als zu Beginn der Grabungen gedacht. Damals ging man von drei bis vier solcher Langhäuser aus. Das Ausgrabungsteam musste aufgestockt werden.

Teils zähneknirschend segneten die Stadträte des Ausschusses die zusätzlichen Kosten von 400 000 Euro ab. Diese Summe hätte die Kommune auch anderswo gut gebrauchen können, monierte die SPD, wenngleich man mit der Geschichte der Stadt sorgfältig umgehen müsse. Die L.E. Bürger/DiB sorgten sich, ob man hier eine „Geldquelle ohne Ende“ brauche.

Werden diese Funde auch ausgestellt?

Nicht sicher ist, ob diese 15 Gebäude alle zeitgleich existiert haben. Bofinger vermutet, dass das jungsteinzeitliche Dorf aus drei bis vier Gehöften bestanden hat, dass das Dorf vielleicht 200 Einwohner gehabt haben könnte und dass dort mehrere Generationen gelebt haben.

Scherben, die gefunden wurden, geben den Fachleuten Hinweise darauf, woher die Menschen in dem frühsteinzeitlichen Dorf stammten. Sie gehörten der Gruppe der sogenannten Linearbandkeramiker an. Die Bandkeramik war vom Balkan über die ungarische Tiefebene bis ins Pariser Becken verbreitet. Dass diese Menschen Viehhaltung betrieben haben, darauf weisen alte Knochen von Nutztieren wie Schweinen, Ziegen, Schafen und Rindern hin. Menschenknochen sind laut Bofinger bisher keine gefunden worden. Vermutlich hätten die Einwohner des Dorfes ihre Toten auf einem Friedhof außerhalb der Siedlung begraben.

Die Funde wie Keramik, Pfeilspitzen, Erntegeräte und Feuersteinklingen werden gereinigt, beschriftet und im zentralen Fundarchiv des archäologischen Landesmuseums in Rastatt gelagert, um auf ihre weitere wissenschaftliche Untersuchung zu warten. Wer die weitere Auswertung übernimmt, ist noch ungewiss. Stadträte unterschiedlicher Couleur machten sich dafür stark, die Funde in Leinfelden-Echterdingen in einer Ausstellung zu zeigen, die sicher über die Stadtgrenzen hinaus großen Zuspruch finden würde. Zur Idee, dass man künftig virtuell durch diese ersten Häuser von Leinfelden spazieren gehen kann, sagte Bofinger, dass eine solche digitale Darstellung zwar möglich wäre, aber sehr viel Geld kosten würde.