Seit zwei Jahrzehnten werden von der regierenden CDU in Dresden rechte Gewalt und fremdenfeindliches Auftreten verharmlost. Auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich spielt dabei keine gute Rolle.

Dresden - Rund hundert Anwohner im Erzgebirgsweiler Clausnitz pöbeln so heftig, dass verängstigte Flüchtlinge, die schon durch halb Europa unterwegs waren, um ihr Leben fürchten müssen. Also greift die Polizei hart durch. Jedoch nicht gegen die Schreier, sondern gegen jene, die sich in Deutschland Schutz erhoffen. Erst schleppt man die Verängstigten teils im Schwitzkasten aus dem Bus in das Heim, das die Ausländerfeinde belagern, nun drohen einigen gar Strafen. „Was wir sicherlich ausweiten werden, sind Ermittlungen gegen den einen oder anderen Insassen des Busses“, erklärt der Chemnitzer Polizeipräsident. Ein Flüchtlingsjunge soll einen Stinkefinger gezeigt haben.

 

Man ist halt in Sachsen. Da verteidigt die Polizei ihre umstrittene Aktion als „absolut notwendig und verhältnismäßig“. Innenminister Markus Ulbig (CDU) zeigt dafür Verständnis – die Männer hätten „keinerlei Konsequenzen“ zu befürchten. Es klingt fast wie eine Einladung zu weiterer Eskalation, die dann auch prompt folgt: Im ebenfalls sächsischen Bautzen brennt der Dachstuhl eines großes Eckhauses, in das ebenfalls Menschen in Not einziehen sollten. Eine johlende Menge applaudiert noch den Flammen und behindert die Feuerwehr.

Täter empfinden sich als Vollstrecker des Mehrheitswillens

In Sachsen, so zeigt sich immer deutlicher, fühlen sich Aufrührer oder Gesetzesbrecher offenkundig als Vollstrecker einer Mehrheitsmeinung, sofern es gegen Asylbewerber geht. Man zündelt nicht heimlich, sondern gibt sich klar zu erkennen, brüstet sich gar der Taten. Zuweilen sind die Übergänge zwischen Biedermann und Brandstifter bereits so fließend, dass ein Erkennen des Unterschieds schwer fällt. Oder die Behörden ignorieren ihn einfach. Wie kann es sonst sein, dass der Leiter jener Flüchtlingsunterkunft in Clausnitz erst vor wenigen Monaten selbst noch als Sprecher auf einer AfD-Kundgebung gegen das „Asylchaos“ wetterte? Sein Bruder soll die Proteste gegen das Heim mit organisiert haben.

Es ist aller Ehren wert, wenn Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens anschießend flucht: „Wir lassen uns von ein paar Hohlköpfen nicht die Stadt kaputt machen.“ Doch der parteilose Sinologe, der von Linken und SPD unterstützt wurde, weiß, dass es in Sachsen eben um mehr als ein paar „Hohlköpfe“ geht. So fügt er denn auch selbst hinzu: In diesem Freistaat sei in punkto rechter Gewalt sowie Toleranz gegenüber solchen Ausfällen „bereits in der Vergangenheit einiges schief gelaufen“. Man habe „Dinge zu lange relativiert“.

In der Tat wurde die Saat, die jetzt immer unheilvoller ihre Blüten treibt, vor langer Zeit gelegt. Es begann in den früheren 1990er Jahren, als Ministerpräsident Kurt Biedenkopf nach den progromartigen Attacken gegen Ausländer in Hoyerswerda den Sachsen attestierte, „resistent gegen Rechtsextremismus zu sein“. Es schien wie ein Blankoscheck – für die Sachsen selbst wie für die Politiker der seit 1990 durchgehend regierenden CDU. Und das äußerte sich auch in ganz konkreter Politik.

Da wurde eine anfangs sehr effektiv agierende „Sonderkommission Rechtsextremismus“ beim Landeskriminalamt plötzlich aufgelöst. Da kungelten CDU-Landtagsabgeordnete öffentlich mit NPD-Leuten. Da wurden immer wieder Gelder für Aufklärungsaktionen an Schulen beschnitten und privat finanzierte Bürgerinitiativen, die dieses Vakuum zu füllen suchten, in die Nähe von Terroristen gerückt: Sie mussten eidesstattliche Bekenntnisse zum Rechtsstaat ablegen, um etwa am Demokratiepreis des Landes teilnehmen zu können.

So gedeiht ein Klima aus Intoleranz und Ablehnung

Und bis heute finden sich auch kaum je CDU-Funktionäre in den Protestzügen, die sich erst NPD und später AfD oder Pegida entgegenstellen. Das war schon vor dem heutigen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich so, aber mit ihm bekam alles noch eine neue Qualität. Denn er ließ es komplett laufen, gab sich stets unbeteiligt, unterließ nahezu jegliche Positionierung. Und eben damit gedieh jenes Klima der Intoleranz und der Ablehnung alles Fremden erst richtig. Und ordnete Tillich doch mal eine eigene kleine Protestshow an, traf er selten den richtigen Ton. Deshalb wirkt es heute für viel unglaubwürdig, wenn er plötzlich vom Leder zieht und seine zündelnden Landsleute als „Verbrecher“ bezeichnet, die „keine Menschen“ seien.

Dabei findet Tillich sonst immer sehr klare Worte, wenn es gegen Ausländer geht: So gehört für ihn der Islam demonstrativ „nicht zu Deutschland“, so forderte er jüngst bei einer Visite in Warschau „mehr Zuständigkeiten“ für die EU-Grenztruppe Frontex. Und nebenher verteidigte er fast im selben Atemzug Polens neue nationalkonservative Regierung. Man könnte auch sagen, so ein Grünen-Abgeordneter aus Leipzig, „Sachsens Politik und Polizei haben kein Problem – sie sind das Problem“.