Die Spannungen an der blockierten Grenze zu Griechenland eskalieren. Beobachter vermuten, dass Skopje mit der Verhängung des Ausnahmezustands mehr Hilfsgelder der EU lockermachen will.
Skopje - Blut, Explosionen und Tränen: dramatische Szenen spielten sich am Freitag an Mazedoniens Grenze zu Griechenland unweit von Gevgelija ab. Als im Niemandsland gestrandete Flüchtlinge die Grenze zu stürmen suchten, setzte die mazedonische Polizei nicht nur Tränengas ein. „Sie schießen auf uns, sie schießen!“, riefen bestürzt zurückweichende Menschen, als direkt in die Menge gefeuerte Blendgranaten detonierten. Mindestens vier Flüchtlinge wurden durch Splitter verletzt. Ein Polizist soll laut Agenturberichten bei einer Personenkontrolle im Grenzgebiet niedergestochen worden sein.
Völlig überraschend hatte Mazedoniens Regierung am Vortag mit der Begründung der stark ansteigenden Flüchtlingszahlen den Ausnahmezustand ausgerufen – und die Südgrenze zu Griechenland hermetisch abgeriegelt: Rund 3000 im Niemandsland festgesetzte Flüchtlinge blockieren seitdem die Schienen der internationalen Eisenbahnstrecke von Thessaloniki nach Skopje. Erst Mitte Juni hatte Mazedonien mit der Verabschiedung eines neuen Asylgesetzes die Grenzen für Transitmigranten auch mit Verweis auf humanitäre Gründe praktisch komplett geöffnet: Zehntausende von Flüchtlingen konnten das Land auf ihrem Weg nach Mitteleuropa in den letzten beiden Monaten per Zug in nur wenigen Stunden passieren.
Kehrtwende um mehr EU-Geld zu bekommen?
Am Freitag patrouillierten hinter ausgerollten Stacheldrahtrollen Spezialeinheiten der Polizei mit Maschinenpistolen. Eine Gruppe von 100 Flüchtlingen, denen in der Nacht der Grenzübertritt gelungen war, wurde laut Bericht eines Mitarbeiters der Hilfsorganisation Legis kurzerhand wieder abgeschoben, obwohl sie ihr Asylbegehren klar geäußert hatten. „Sie hätten von der Polizei eine Registrierung als Asylsuchende erhalten müssen. Aber sie wurden einfach in die Polizeiwagen gesetzt – und nach Griechenland zurückgefahren.“
Auffällig wortkarg reagierte am Freitag zunächst die EU auf Mazedoniens Grenzblockade, die sie weder kritisierte noch begrüßte. Die Kommission wisse um die Ausrufung des Notzustands, so Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn: Brüssel sei „weiter bereit“, Mazedonien humanitäre Hilfe zu gewähren. Deutlicher äußern sich Vertreter von Hilfsorganisationen und Analysten. Von einer „übereilten und ungerechtfertigten“ Maßnahme der Regierung spricht Jasmin Redzepi von der Flüchtlingshilfsorganisation Legis: Wenn die Schließung der Grenze aufrechterhalten werden sollte, werde Mazedonien in die Zustände vor der Verabschiedung des neuen Asylgesetzes im Juni „zurückfallen“: „Allen Schmugglern und Schleppern werden erneut die Türen geöffnet.“ Als Grund für die überraschende Kehrtwende der Regierung in der Flüchtlingspolitik vermutet Redzepi deren Forderung nach mehr Hilfsmittel: „Mit den neuen Maßnahmen wird auf die EU Druck ausgeübt, mehr Mittel zur Lösung der Flüchtlingsprobleme bereitzustellen.“
Der Premier hat auch die Neuwahlen im Blick
Mit außen- und innenpolitischen Gründen erklärt der Analyst Fejzi Hajdari in Skopje den plötzlichen Kurswechsel in der mazedonischen Asylpolitik. Einerseits versuche die Regierung mit der Schließung der Grenzen für die Flüchtlinge mehr Mittel und Hilfe von der EU zu erzwingen. Andererseits sei Premier Nikola Gruevski „ein Meister“ in der Kunst, mit überraschenden Manövern die Aufmerksamkeit der heimischen und internationalen Öffentlichkeit von seinen eigenen Problemen abzulenken: „Der Druck der EU ist groß, dass das im Juni erzielte Abkommen der Regierung mit der Opposition zur Vorbereitung von Neuwahlen auch umgesetzt wird“, sagte Hajdari. Die Verhandlungen über die Neubesetzung des Amts des Oberstaatsanwalts seien aber ins Stocken geraten – auch weil Premier Gruevski wegen seiner Verwicklung in Skandale selbst Anklagen fürchten müsse.